Mittwoch, 23. Dezember 2009

Buddha-Natur, Geist und Atman - Teil I


Dieser Versuch einer Klärung von Begrifflichkeiten entstand ursprünglich anläßlich einer Polemik Hans Grubers (nein, gemeint ist NICHT der Oberfiesling aus 'Stirb langsam') - hier zu lesen:
Der Diskussion im Internetforum der DBU
entzog sich Herr Gruber leider recht schnell.

Da - wie Herr Grubers Polemik zeigt - Begriffe wie 'Buddhanatur' oder 'Wahres Selbst' bei nur oberflächlicher Auseinandersetzung mit ihnen leicht zu irrigen Auffassungen führen können, habe ich das Thema etwas ausführlicher behandelt und um einen zweiten Teil, der sich mit der Genese von Buddhas anatman-Lehre beschäftigt, ergänzt.

Zum Thema Buddha-Natur (buddhatâ, chin. fóxìng, jap. busshô) ist zunächst zu sagen, dass es sich dabei um eine Lehre handelt, die nicht in allen buddhistischen Schulen anerkannt ist. Eine besondere Rolle spielt der Begriff jedoch im fernöstlichen Buddhismus (China, Japan, Korea ...). Buddha-Natur ist ein allen empfindenden Wesen angeborenes Potential, es ist potentielle bodhi (Erleuchtung / Erwachen). Dieses Potential bedarf der Kultivierung, um Frucht zu tragen. Insofern ist es gleichbedeutend mit tathagatha-garbha, dem 'Schoß der Soheit' oder Keim der Erleuchtung.

Entsprechend werden drei Arten der Buddha-Natur unterschieden: die allen Wesen inhärente Buddha-Natur (gewissermaßen das Grundpotential), die durch die Übung des achtfachen Pfades herausgebildete Buddha-Natur und die aus der vollständigen Entfaltung des ursprünglichen Potentials entwickelte Buddha-Natur des Erwachten (jishôjû busshô, inshutsu busshô und shitokura busshô). Insbesondere wird die durch Übung herausgebildete Buddha-Natur (inshutsu busshô) von Buddha-Natur als Prinzip (ri busshô) unterschieden. Dieses Prinzip, dass die Buddha-Natur allen fühlenden Wesen als Potential inhärent ist, ist shôin, die grundlegende direkte Ursache (nach dem Mahaparinirvanasutra eine von drei) der aktualisierten Buddhanatur. Die anderen beiden Ursachen sind 'aktivierend', es handelt sich um die bedingende Ursache (Dharma-Praxis) und die enthüllende Ursache (prajna).

Im Aspekt shôin busshô – inhärente Buddha-Natur als Potential und direkte Ursache der aktualisierten, aktiven Buddha-Natur - wird sie mit sunyatâ (Leere) oder tathatâ (Soheit) identifiziert. Keinesfalls aber mit einem höchsten Selbst oder transzendenten Wesen; wie gesagt, ist Buddha-Natur ein Potential bzw. ein (Wirkungs-)Prinzip, nicht etwas tatsächlich Existierendes. Der Unterschied ist derselbe wie der zwischen 'Stein' und 'Schwere' – der Stein ist nach konventioneller Auffassung etwas real Existierendes, ein Ding - Schwere aber ein Prinzip, ein Potential. Das 'wahre Selbst', von dem z.B. im Zen gelegentlich gesprochen wird, ist gerade eben KEIN Selbst – im Gegenteil, es ist etwas völlig anderes. Das ist mit 'wahr' gemeint.

Buddha-Natur (buddhatâ, eigentlich eher 'Buddhaheit') wird also in ihrem Aspekt als die allen Wesen inhärente (d.h. untrennbar mit ihnen verbundene) direkte Ursache (als Potential) der aktualisierten Buddha-Natur (des verwirklichten Potentials) mit sunyatâ (Leere) oder tathatâ (Soheit) / bhûta-tathatâ (So-Sein) identifiziert. Eine andere Identifikation ist die mit dem âlaya-vijnâna (Speicherbewusstsein) – entscheidend ist dabei jeweils der Zusammenhang, in dem etwas verdeutlicht wird. So wird man etwa von bhûta-tathatâ sprechen, wenn man in einem ontologischen Zusammenhang argumentiert (das Sein als solches untersucht). Von âlaya-vijnâna wird man eher in einem psychologischen Zusammenhang sprechen, wenn man Bewusstseinsformen und ihre Relationen untersucht. Das im Abendland gelegentlich genannte 'Geisteskontinuum' könnte man als eine Übersetzung von âlaya-vijnâna auffassen. In diesem speziellen Zusammenhang (Geist - Sein) wäre allerdings der Begriff tathâgata-garbha (Schoß der Soheit) geläufiger als Buddha-Natur. Diese unterschiedlichen Begrifflichkeiten, die grundsätzlich dasselbe meinen, stammen aus unterschiedlichen didaktischen Ansätzen, denen auch unterschiedliche philosophische Schulen entsprechen - insbesondere das madhyamaka und das cittamatra oder vijnanavada. Weitere mögliche Identifikationen mit dieser inhärenten Buddhanatur sind der dharmakaya (Dharma-Körper) der trikaya-Lehre oder der dharmadhatu ('Dharma-Reich'). Um dasselbe handelt es sich auch, wenn Shakyamuni im Palikanon (Udana 8.2 und Itivuttakam 43) so spricht:

"Es gibt ein Ungeborenes, Ungewordenes, Unerschaffenes, nicht Bedingtes. Wenn es dies hier nicht gäbe, dann wäre ein Entrinnen aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Bedingten nicht zu erkennen. Weil es nun aber ein Ungeborenes, Ungewordenes, Unerschaffenes, nicht Bedingtes gibt, deshalb ist hier ein Entrinnen aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Bedingten zu erkennen." (Übers. Dr. Hellmuth Hecker)

Dass so unterschiedliche oder gar widersprüchlich erscheinende Begriffe wie 'Leere' und 'Speicherbewusstsein' für ein und dasselbe benutzt werden, zeigt schon, dass es sich um etwas handelt, das sich eigentlich allen Begriffen (und dem logischen Begreifen) entzieht. Insofern ist die vielleicht am wenigsten unzutreffende Bezeichnung 'Leere', sunyatâ. Das 'Ungeborene' ist leer von jeder Form, es ist leer von jeder Eigennatur oder Eigensein (svabhava) – also ohne Charakteristika, Qualitäten, Eigenschaften. Sogar die Leere selbst ist leer, ist nur eine Konvention, nur Begriff ohne realen Gehalt. Also kann Buddha-Natur keine Eigenschaft sein – zu einer Eigenschaft gehört eine Substanz, der diese Eigenschaft zukommt. Und wenn wir eine solche Substanz annehmen würden, dann könnten wir ihr auch einen Namen geben: atman, brahman, Gott, was auch immer …

Keine reale Substanz – keine realen Eigenschaften. Das Wahrnehmen und Unterscheiden von Qualitäten und Eigenschaften ist also nichts Reales; es ist klesa, Trübung des Geistes. Hier – im Zusammenhang mit Wahrnehmen und Unterscheiden – sprechen wir von Geist, von âlaya-vijnâna oder Geisteskontinuum. Nicht, dass wir mit diesen Begriffen etwas fassen, etwas identifizieren könnten – wir fassen lediglich einen Aspekt dieses 'etwas'. Genauer gesagt: eine Funktion.

Somit wäre Buddha-Natur keine Eigenschaft dessen, was Shakyamuni im Palikanon "Ungeborenes, Ungewordenes, Unerschaffenes, nicht Bedingtes" nennt, sondern seine Funktion. Und da die 'Essenz', der 'dharmakaya', das 'Geistkontinuum' oder wie immer man es benennen will, sich ausschließlich über seine Funktion aktualisiert - ins Sein tritt - ist sie als Seiendes mit dieser Funktion identisch. 'Hinter' der Funktion steht keine Essenz, auch wenn wir Begriffe für eine solche Essenz benötigen und verwenden, um die Funktion beschreiben zu können – so funktioniert eben unser dualistischer Verstand. Die Funktion ist 'leer' und mit der 'Essenz' identisch.

Dies ist das mahayanische Verständnis von anatman – anatman und Leere sagen dasselbe aus; anatman heisst leer von einer Essenz, einem Eigen-sein (und damit auch von Eigenschaften) zu sein. Die Namen, die wir jeweils benutzen, um die Funktion zu beschreiben, können sie nicht vollständig erfassen. Auch sie beschreiben immer nur einen Ausschnitt, einen Aspekt dessen, was nicht in Worte zu fassen ist. So nennen wir diese Funktion tathâgatha-garbha, buddhatâ, bodhicitta. Oder aber wir nennen sie avidya, duhkha ... Oder wir nennen sie einfach Funktion - und treffen damit genauso weit daneben wie mit 'Essenz'.

2 Kommentare:

  1. Danke für diesen interessanten Text.
    Ob die Buddhanatur sich aber hinreichend mit dem Begriff "Funktion" fassen lässt?

    D.T. Suzuki schreibt: “Die höchste Wirklichkeit ist keine bloße Abstraktion, sie ist von stärkstem Leben erfüllt, voll Sinn, Bewusstsein, Intelligenz und vor allem getragen von einer Liebe, die von allen menschlichen Schwächen gänzlich frei ist.”
    D.T. Suzuki, Wesen und Sinn des Buddhismus, Herder, S.99

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