Sonntag, 31. Januar 2010

Bokuseki - Tintenspuren

Wie schön, wenn man Weggefährten hat - Menschen, die mit uns zusammen auf dem gestaltlosen Pfad unterwegs sind. Zwar ist dieser Weg gar nicht beschwerlich - aber trotzdem freut man sich über Begegnungen und geht sich gegenseitig ein wenig zur Hand.

Hakuin: Zwei Blinde tasten sich über einen Brücke

Der alte
Zhaozhou drückte es so aus:

"Ältere und jüngere Brüder! Wenn jemand aus dem südlichen Gebiet ankommt, helfen wir ihm, sein Gepäck abzuladen. Und wenn jemand aus dem nördlichen Gebiet ankommt, helfen wir ihm, sein Gepäck aufzuladen. Manchmal, wenn wir uns an jemanden wenden, der erfahrener ist als wir, und nach der Wahrheit fragen, verlieren wir sie. Und manchmal, wenn wir uns an jemanden wenden, der weniger erfahren ist als wir, und nach der Wahrheit fragen, erlangen wir sie. Ältere und jüngere Brüder! Wenn ein rechtschaffener Mann falsche Lehren erteilt, werden diese falschen Lehren recht, und wenn ein schlechter Mann rechte Lehren erteilt, werden sie im Ergebnis falsch sein. Es gibt viele Meister in den verschiedenen Richtungen, aber es ist schwierig, ihre Wahrheit zu erkennen, obwohl wir sie in der Wirklichkeit erfahren können."

Weggefährten sind nicht immer Zeitgenossen - Menschen, denen wir von Angesicht zu Angesicht begegnen können. Manchmal finden wir nur ihre Spuren. Spuren erkennen und ihnen folgen zu können, ist eine wichtige Fertigkeit für Wegsucher. Man braucht ein besonderes Auge dafür - nur Buddhas können Buddhas erkennen. So steht es im Lotossutra, und Dogen hat diesem Wort ein eigenes Kapitel des Shobogenzo gewidmet, dessen letzten Absatz ich immer wieder gerne zitiere:

"Weil sie keine Spur und kein Zeichen hinterlassen, sind Vögel im Flug nicht zu verfolgen.... Ein Wagen, der einen schlammigen Weg passiert, und ein Pferd auf dem Feld sind leicht zu verfolgen, weil sie klar unterscheidbare Spuren hinterlassen. Ein Vogel benötigt solche Spuren jedoch nicht, um den Vögeln zu folgen, die bereits davongezogen sind.

Das ist prinzipiell das gleiche wie dem buddhistischen Weg zu folgen. Die Buddhas sind sich all der Buddhas bewusst, die ihnen vorangingen, kleiner, großer und weniger bekannter Buddhas. Nur Buddhas können Buddhas erkennen. Wer das in Frage stellte, würde zu hören bekommen: 'Nur die Buddhas allein besitzen das Buddha-Auge. Ohne dieses Auge kann der Weg weder gesehen noch erkannt werden.'....

Wenn wir diesen Weg gesehen haben, sollten wir ihn als Standard nehmen, um unseren eigenen Weg daran zu messen. Ein Vergleich dieser Art eröffnet tieferes Verständnis der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden.... Nur durch Klären der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, können wir Einblick in die Abdrücke unseres eigenen Weges gewinnen. Wenn wir sie erkannt und verstanden haben, sollten wir den Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, mit unserem ganzen Körper und Geist folgen. Das ist das buddhistische Dharma."


Zhaozhou und Dogen - zwei alte Buddhas, deren Spuren wir in ihren überlieferten Worten finden können. Oder doch nicht? Ein wenig darüber - über Spuren in Worten - finden wir in einer Tintenspur eines anderen Alten gesagt - Yuanwu Kequin. Yuanwus Spuren gehören zu den frühesten, auf die ich auf meinem Weg stieß, ist er doch der berühmte Kommentator des Bi Yan Lu (Hekigan Roku), das Wilhelm Gundert so großartig übersetzt hat. Der folgende Hinweis stammt freilich nicht aus diesem Buch, sondern aus einer Briefsammlung von ihm, die J.C. Cleary und Thomas Cleary ins Englische übersetzt haben. Was mir Gelegenheit gibt, mich hier und heute in Dankbarkeit vor meinem Weggefährten Matthias zu verbeugen, der mir letztes Jahr dieses Büchlein geschenkt hat. Hat er mir da nun geholfen, Gepäck aufzuladen oder Gepäck abzuladen?

Ein Lotos im Feuer

Ich würde nicht sagen, dass die, die heutzutage den Weg studieren, sich keine Mühe geben - aber oft lernen sie einfach Zen-Geschichten auswendig und versuchen, über alte und moderne Zenmeister Urteile zu fällen, wählerisch in Worten und Sätzen herumstochernd und dabei komplizierte Begründungen schaffend und abgestandene Slogans lernend. Wann kommen sie je damit zu Ende? Wenn du Zen auf diese Art und Weise studierst, dann wird alles, was du davon hast, eine Sammlung abgenutzter Antiquitäten und Kuriositäten sein.

Wenn du es auf diese Weise unternimmst "die Quelle zu suchen und das Fundamentale zu studieren", dann kletterst du letzlich nur den Fahnenmast deines Intellekts und deiner Fantasie hoch. Wenn du keinem Eingeweihten begegnest, wenn du nicht selbst einen unbezwingbaren Willen hast, wenn du niemals in dich selbst zurückgetreten bist und an deinem Geist gearbeitet hast, wenn du nicht all dein früheres und späteres Wissen und deine Ansichten von unübertrefflichen Wundern abgeschüttelt hast, wenn du dich nicht direkt von all dem befreit und die ursächlichen Bedingungen der fundamentalen großen Angelegenheit verstanden hast - dann ist genau das der Grund dafür, dass du immer noch nur halb angekommen bist, zurückfällst und nicht unterscheiden oder verstehen kannst. Wenn du einfach so weiter machst, dann wirst du, selbst wenn du dich dein ganzes Leben lang eifrig bemühst, trotzdem die fundamentale Quelle nicht einmal im Traum erblicken.

Darum sagte der Mann in den alten Zeiten: "Erwachen ist getrennt von Erklärungen mit Worten - nie gab es je einen Erlanger." Deshan sagte: "Unsere Schule hat keine Ausdrücke in Worten und nicht ein Ding oder eine Lehre, sie den Leuten zu geben."

Zhaozhou sagte: "Ich höre das Wort Buddha nicht gerne."

Schaut mal, wie sie, nur indem sie mit Worten von wörtlichen Erklärungen abrücken, schon Dreck verspritzen und die Leute aufmischen. Wenn ihr weiter nach Mysterien und Wundern in den Schlägen und Rufen, den Grimassen, finsteren Blicken und Bewegungen des Zenmeisters Ausschau haltet, werdet ihr sogar noch tiefer in den Fuchsbau fallen.

Alles, was in dieser Schule wichtig ist, das ist, dass Erwachen klar und gründlich zu sein hat, wie der silberne Berg und die eiserne Mauer, die sich einsam und steil erheben, viele Meilen hoch. Da diese Verwirklichung so plötzlich ist wie Funken und Blitz - egal ob du versuchst, es herauszufinden oder nicht - fällst du unmittelbar in die Grube. Darum haben seit undenklichen Zeiten die Eingeweihten diese eine Offenbarung bewahrt und alle kamen sie zusammen in derselben Verwirklichung an.

Hier, da gibt es nichts, woran du dich halten kannst. Wenn du einmal deinen Geist klären kannst und du fähig bist, alle Verstrickungen loszulassen und du im Vertrauen auf einen erwachten spirituellen Freund Praxis kultivierst, dann wäre es doch wirklich zu schade, wenn die Geduld fehlte, die Ebene zu erreichen, wo die zahllosen Schwierigkeiten nicht an dich herankommen können, wo du deinen Körper und deinen Geist ablegst und untersuchst, bis du den ganzen Weg durchdringst.

Über tausende von Leben und hunderte von Äonen bis jetzt, gab es da je eine Unterbrechung in der fundamentalen Realität? Da es da keine Unterbrechung gab, welche Geburt und welcher Tod, welches Gehen und Kommen gibt es da für dich, an dem zu zweifeln wäre? Offensichtlich gehören diese Dinge zum Bereich ursächlicher Bedingungen und haben absolut keine Verbindung mit der grundlegenden Angelegenheit.

Mein Lehrer Wuzu sagte häufig: "Ich bin fünf Jahrzehnte lang hier gewesen und habe tausende und abertausende Zen-Leute gesehen, die zu meinem Meditationsplatz kamen. Alle haben sie nur danach gesucht, ein Buddha zu werden und den Buddhismus darzulegen. Nie habe ich auch nur einen einzigen wahren Träger der Flickenrobe gesehen."

Wie wahr ist das! Wie wir derzeit sehen, sind selbst jene, die den Buddhismus darlegen, schwer zu finden - wieviel schwerer irgendwelche echten Leute. Die Zeiten sind im Niedergang und die Weisen weiter und weiter entfernt. Im ganzen großen Reich stirbt die Linie Buddhas direkt vor euren Augen aus. Vielleicht finden wir eine Person oder eine halbe, die den Dharma in Praxis umsetzt, aber wir sollten es nicht wagen zu erwarten, sie seien wie die großen Beispiele des Erwachens, die "Drachen und Elefanten" von damals.

Trotzdem - wenn ihr einfach die Vorgehensweisen und Ziele der praktischen Anwendung des Dharma kennt und korrekt von Anfang bis Ende weiter macht, dann erzeugt ihr schon einen Lotos aus dem Feuer heraus.

Ihr müsst alle die Einwirkungen, die euch verstricken, beiseite tun. Dann werdet ihr in der Lage sein, den inneren Gehalt des großen Erwachens zu erkennen, das seit Urzeiten überliefert ist. Ruht, wo immer ihr seid und tragt die geheime, dicht-ununterbrochene Praxis auf vertrauter Ebene weiter. Die Devas werden keine Straße finden, sie mit Blumen zu bestreuen und Dämonen und Nichteingeweihte werden nicht in der Lage sein, eure Spur zu finden. Das ist es, was 'in die Hauslosigkeit gehen' und sich selbst gründlich verstehen wirklich bedeutet.

Wenn, nachdem ihr diese Ebene erreicht habt, als Resultat von Verdiensten Umstände entstehen, die euch dazu führen, vorzutreten und eine Hand auszustrecken, um Erwachen Anderen zu übermitteln, wäre dies nicht unangemessen. Wie Buddha sagte: "Fügt euch einfach in die Wahrheit und mit Sicherheit werdet ihr nicht getäuscht."

Doch auf diese Weise zu sprechen ist selbst für mich nur ein anderer Fall von einem Mann aus einer Banditengegend, der einen Dieb durchschaut.

1 Kommentar:

  1. Danke, Sogen, auch ich schätze diese Briefe Yuanwus sehr und habe mir erlaubt, Deine Idee aufzugreifen - und einen weiteren Brief übersetzen lassen, der morgen in meinen Blog kommt. Falls Du in dieser Hinsicht noch mehr vorhast, können wir uns vielleicht absprechen und von Zeit zu Zeit immer mal wieder einen Brief posten.

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