Sonntag, 28. Februar 2010

Stürmische Zeiten

Heute vormittag habe ich noch in Erwartung freundlicherer Tage meine Hausrebe zurückgeschnitten und auch gleich ein Bild von den ersten Blüten des Jahres gemacht. Heute nachmittag war es entschieden ungemütlicher draußen; vom Nachbarhaus regneten ein paar Dachziegel auf die Gasse. Da bleibt man besser in Deckung ...


Eigentlich wollte ich ja etwas über Blüten schreiben, aber ich bin dann beim Teetrinken, während der Sturm ums Haus blies, auf eine Blüte ganz anderer Art gestoßen:


"Wenn von auserwählten Gruppen die Rede ist, pflegt gewohnheitsmäßige Heuchelei den Sinn dieses Wortes zu verdrehen, indem sie tut, als sei ihr unbekannt, daß nicht der Anmaßende, der sich den anderen überlegen glaubt, der auserwählte Mensch ist, sondern jener, der mehr von sich fordert als die anderen, auch wenn er in seiner Person diese höheren Forderungen nicht zu erfüllen vermag. Man kann die Menschheit einteilen — und diese Unterscheidung trifft etwas sehr Wesentliches — in solche, die viel von sich fordern und sich selbst mit Schwierigkeiten und Pflichten beladen, und andere, die nichts Besonderes von sich fordern, die sich begnügen, von einem Augenblick zum anderen zu bleiben, was sie schon sind, ohne Drang über sich hinaus — Bojen, die im Winde treiben.


Das erinnert mich daran, daß der orthodoxe Buddhismus zwei verschiedene Religionen kennt; eine strenger und tiefer; bequemer und platter die andere: den Mahayana — großer Wagen oder große Bahn — und den Hinayana — kleiner Wagen, unterer Weg. Das Entscheidende ist, ob wir unser Leben auf den einen oder anderen Wagen stellen, auf möglichst viele oder möglichst wenig Ansprüche."

Sprach José Ortega y Gasset, 1930 in 'Der Aufstand der Massen' (La rebelión de las masas'). Ich füge mal hier ein Porträt Ortegas von seinem Freund, dem spanischen Impressionisten Ignacio Zuloaga bei, das 1931 entstand, also kurz nach dem Erscheinen des 'Aufstands der Massen'.


Es existiert ein deutlich bekannteres Porträt Zuloagas von Ortega, in Öl - aber das kommt mir dann doch etwas zu prätentios daher; die klassische Darstellung eines aristokratischen homme de lettres. Da ist hinter der Pose nicht mehr viel von dem Mann zu entdecken. Dann schon lieber - wenn es noch ein weiteres Porträt sein darf - das eines Karikaturisten. Hier von dem bei uns kaum bekannten Lluis Bagaria, dem die deutschsprachige Wikipedia bislang folgerichtig auch noch keinen Eintrag gewidmet hat. Noch zeitnäher - aus dem Jahr 1930.

Nun versteht Ortega offensichtlich nicht allzuviel von Buddhismus, aber die zitierte Aussage hat durchaus Einiges für sich. Sie wirft ein Schlaglicht darauf, was Mahayana, das 'Große Fahrzeug', eigentlich ist und wodurch es sich vom 'kleinen Fahrzeug', dem Hinayana unterscheidet. Und da nun möchte ich keine Links auf Wikipedia-Einträge oder ähnliche Erläuterungen für 'Mahayana' und 'Hinayana' setzen.

In dem oben angedeuteten Sinn sind 'Mahayana' und 'Hinayana' selbstverständlich keine "zwei verschiedenen Religionen" und es sind auch nicht zwei Ausformungen des Buddhadharma, die sich nach Zeit der Entstehung und / oder lokaler Verbreitung unterscheiden. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Einstellungen zur buddhistischen Praxis, um unterschiedliche Motivationen.

'Mahayana' und 'Hinayana' in diesem Sinne hat es schon immer gegeben, seit Shakyamuni Buddha das Rad der Lehre in Gang gesetzt hat. 'Mahayana' und 'Hinayana' ist keine Angelegenheit von 'Schulen', 'Sekten' usw. usf. - es ist immer eine sehr persönliche Sache, mit welchem Fahrzeug man auf dem Weg ist. Leute, die das Fahrzeug des Mahayana lenken, gibt es natürlich auch im Theravada, so wie es im Zen Leute gibt, die mit einem kleinen Fahrzeug ganz zufrieden sind. Es ist ohnehin kein Fehler, bevor man einen Omnibus steuert, sich erst einmal ein wenig im Führen eines Kleinwagens zu üben ... Trotzdem - um nun irgendwie noch die Kurve zur Überschrift zu kriegen - ist man jedenfalls in stürmischen Zeiten doch besser mit einem großen Pott bedient als mit einer kleinen Nußschale.

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