Montag, 19. April 2010

Gelbe Kraniche und blaue Hunde

Die Art, wie Cen, das große Kriechtier, sich anderer Menschen anzunehmen pflegte, war jederzeit schlagfertig und blitzartig, wie wenn Perlen rollen, wie wenn man Edelsteine hin- und herdreht. Er wollte, dass die Leute, wenn sie vor ihm standen, auf der Stelle ganz genau begriffen, was er meinte.

Ich möchte heute an meinen letzten Eintrag anknüpfen - also am 36. Fall des Biyan Lu. Der einleitende Absatz stammt aus Yuanwu Keqins Kommentar zu dem Beispiel. Mit  der Bezeichnung "das große Kriechtier", mit der Changsha hier bedacht wird, ist übrigens kein Reptil gemeint, sondern ein Tiger. Wie Changsha zu seinem Spitznamen 'Tiger' kam, kann man in Yuanwus Kommentar ebenfalls nachlesen, oder auch in diesem Blog, das erst kürzlich Changsha (jap. Chosa) einen Eintrag gewidmet hat.

Yuanwus Kommentar, der sich auf den letzten Satz des Koan bezieht, will hier Changshas Fähigkeit verdeutlichen, das Kommunikationsmuster des Aneinander - Vorbeiredens zu durchbrechen und seinem Gesprächspartner dabei auch noch zu einer Einsicht zu verhelfen. Yuanwu illustriert das mit einer kleinen Anekdote. Sie erzählt von dem hochrangigen Literaten Zhang Zhuo, der sich bemühte, den Weg Buddhas zu ergründen und zu diesem Zweck das Sutra der Namen Buddhas (佛名經) studiert hatte, das die Namen der jeweils tausend Buddhas des vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Kalpas nennt. Nun kam er zu Changsha, um sich (wohl nicht ganz ohne ironischen Unterton) zu beklagen, dass er nun von tausenden Buddhas zwar die Namen kenne, es ihn aber mehr interessiere, wo sie denn seien und ob sie zum Heil der Welt eigentlich irgendetwas beitrügen.

Sutra der Buddhanamen - Dunhuang-Manuskript

Changsha verwies als Antwort auf ein Gedicht, das dem Literaten Zhang Zhuo selbstverständlich gut bekannt war - Cui Haos Gedicht 'Der Turm zum Gelben Kranich' - und fragte, ob er, Zhang Zhuo, wohl selbst einmal dieses Thema in einem Gedicht behandelt habe. Als Zhang Zhuo verneinte, empfahl ihm Changsha, doch künftig einmal ein wenig Muße darauf zu verwenden.

Nun muss man wissen, dass der Turm zum Gelben Kranich einer der berühmtesten Türme Chinas ist. Er steht auf dem Schlangenhügel in der heutigen Millionenstadt Wuhan und bietet einen großartigen Ausblick auf den Yangtze-Fluss und auf Hanyang, früher eine eigene Stadt auf dem gegenüber liegenden Ufer, heute ein Teil Wuhans. Im Fluss selbst gab es früher eine mittlerweile verschwundene Insel, den Papageiensand.

Der Turm, der heute den Namen des Gelben Kranichs trägt und auf dem Foto oben zu sehen ist, stammt aus dem Jahr 1981 - der Turm wurde im Lauf der Jahrhunderte acht mal zerstört und wieder aufgebaut. Der erste Bau stammte aus dem Jahr 223 und war eine Grenzbefestigung des Königreichs Wu. Dieser ursprüngliche Turm stand noch zu Zeiten der Tang-Dynastie (618-907), wo er längst seine militärische Funktion verloren hatte und zu einem Treffpunkt für Dichter geworden war, die sich von der großartigen Szenerie inspirieren ließen und dort auch das eine oder andere Gelage feierten. Mit dem Turm selbst hatte sich die Legende des taoistischen Unsterblichen Wang Zian verbunden, der vom Schlangenhügel auf dem Rücken eines gelben Kranichs in die Unendlichkeit geflogen sein soll.

Natürlich war - bedingt durch die illustren Besucher - der Turm häufig Gegenstand von Gedichten. Doch das erwähnte Gedicht Cui Haos, das etwa hundert Jahre vor dem Gespräch Changshas mit Zhang Zhuo entstand, galt als so vollendet und unübertrefflich, dass es fortan niemand mehr wagte, den Turm zum Thema eines Gedichts zumachen, nicht einmal Cui Haos wesentlich berühmtere Zeitgenossen Li Bai und Du Fu (vgl. hier). Verständlich, dass auch Zhang Zhuo sich einer solchen Aufgabe nicht gewachsen fühlte - verständlich auch, dass Changsha ihn darauf hinwies, dass mit dem Lesen alter Geschichten nichts gewonnen ist (der Leser stelle sich bitte vor, dass ich hier ein wenig mit den Augen zwinkere).

Es gibt eine Übersetzung von Cui Haos Gedicht von Günther Debon, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte, auch wenn der einzigartige Ruf, den dieses Gedicht unter chinesischen Literaten genießt, dadurch vielleicht nicht so recht nachvollziehbarer wird:

Cui Hao
Der Turm zum Gelben Kranich


Auf seinem gelben Kranich flog der Weise vorzeiten fort,
Der Turm zum Gelben Kranich blieb allein am leeren Ort.

Und ist der Kranich einmal fortgeflogen, bleibt er uns weit.
Die Wolken aber fluten still dahin in Ewigkeit.

Dort überm Strom, ganz klar, sieht man die Bäume von Hanyang blühn;
Und auf dem Papageiensand der Gräser duftendes Grün.

Die Sonne sinkt hinab. Sagt mir, wo liegt der Heimat Erde?
Das Nebelwogen auf dem Strome macht, dass ich beklommen werde.


Das 'Tabu', den Turm nach Cui Hao zum Thema eines Gedichtes zu machen, wurde natürlich nicht von jedem so ernst genommen wie von unserem Literaten Zhang Zhuo, wie dieses Beispiel aus dem Jahr 1927 (das im Übrigen im Original die Form von Cui Haos Gedicht aufgreift) zeigt:

Mao Zedong
Der Turm zum Gelben Kranich


Weit, weit durchfließen die neun Ströme das Land
Dunkel, so dunkel fädelt sich die Linie von Süd nach Nord.

Verschleiert im dicken Dunst des Nebelregens
Halten Schildkröte und Schlange den großen Fluss gefangen.

Der Gelbe Kranich ist entflohn, wer weiss wohin?
Geblieben ist nur dieser Turm als Sehenswürdigkeit.

Ich opfere meinen Wein der brausenden Strömung,
Die Gezeit meines Herzens schwillt an mit den Wellen.


Nun ja ....

Mein persönlicher Favorit zu diesem Thema ist ein Gedicht des großartigen Li Bai, das - wenn die Geschichte mit dem 'Tabu' denn wahr ist - wohl kurz vor Cui Haos Gedicht entstanden sein muss. Die Übersetzung ist diesmal von Günter Eich. Der im Titel genannte Meng Hau-jan (Meng Haoran) ist ein weiterer berühmter Dichter der Tang-Ära.

Li Bai
Abschied für Meng Hau-jan im Haus "Zum Gelben Kranich"

Vom Haus zum Gelben Kranich hat der Freund Abschied genommen.

In Dunst und Blüte des Aprils ist seine Barke flussab geschwommen.

Einsames Segel, ferner Schatten, der im blauen Horizont entschwindet -

Ich sehe nur den weiten Strom noch, der zuletzt im Himmel mündet.

Ein Abschied im April - ich bitte um Nachsicht mit einem sentimentalen Narren, wenn ich da noch (versprochen, zum letzten Mal) einen weiteren Abschiedgruß anfügen möchte:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen