Donnerstag, 19. November 2009

Meditation - eine "Zen-Geschichte"

Vor einigen Tagen (am 07.11.) hat mein Dharma-Freund Herbert in seinem Blog eine "Zen-Geschichte" gepostet, siehe hier. Sie ist nicht sehr lang und ich bitte darum, sie sich einmal kurz zu Gemüte zu führen.


Fertig?

Nun bringt diese Geschichte, so wie sie da zu lesen steht, auf recht brauchbare Art und Weise eine Ansicht über angemessene buddhistische Praxis zum Ausdruck - nur hat das wiederum mit Zen nichts zu tun. Was wiederum daran liegt, dass es sich hier eben nicht um eine "Zen-Geschichte" handelt, sondern um etwas, das aus einer tatsächlichen "Zen-Geschichte" durch Verstümmelung und Verfälschung entstanden ist. Nun ist das Herbert nicht anzulasten - ihm ist diese Geschichte als "Zen-Geschichte" verkauft worden und für jemanden, der (wie Herbert) selbst nicht in einer Zen-Tradition praktiziert, ist es bei "Zen-Geschichten" oft schwierig, Talmi von Gold zu unterscheiden.

Auch ich habe dieses Elaborat schon diverse Male zu hören bekommen - meistens sollte es als Beleg dafür dienen, wie wenig Gewicht die alten Meister auf Zazen - auf das 'Sitzen' - gelegt haben sollen. Nicht zufällig hört man diese Geschichte dann eben auch von Leuten, die ihr 'Wissen' über Zen gerade nicht authentischer Zen-Praxis verdanken. Anders gesagt - von Leuten, die sich nicht dazu bequemen wollen, sich gelegentlich auch einmal hinzusetzen und für ein paar Minuten oder Stunden Meinungen, Ansichten, Theorien loszulassen. Stattdessen suchen sie nach solchen Geschichten, die ihre Meinungen, Ansichten und Theorien bestätigen - und es ihnen womöglich noch erlauben, dies als 'Zen' auszugeben. Wenn sich da nichts findet, dann wird halt, was nicht passt, passend gemacht. So ist wohl auch diese Fälschung entstanden.

Wenden wir uns also dem Original zu. Es findet sich nicht in den berühmten Koan-Sammlungen - im Hekiganroku (Biyan Lu), Mumonkan (Wumen Guan) oder Shoyoroku (Congrong Lu) - sondern in einer älteren Quelle, dem Keitoku Dentoroku (Jingde Zhuandeng Lu). Eine ganz zentrale Rolle spielt diese Geschichte in Dogens Shobogenzo Zazen Shin, wo Dogen sie ausführlich kommentiert.

Ein kurzer Hinweis noch zu den Personen: Es handelt sich um zwei der bedeutendsten Figuren des klassischen Zen der Tang-Dynastie. Dazhi von Jiangxi ist besser bekannt unter dem Namen Mazu Daoyi (vgl. hier), Dahui von Nanyue hingegen als Nanyue Dairang (vgl. hier). Dazhi ('Großes Wissen') und Dahui ('Große Weisheit') sind postum verliehene Ehrentitel.

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Als der Chan-Meister Dazhi von Jiangxi mit Chan-Meister Dahui von Nanyue studierte, saß er beständig in Meditation. Einmal ging Nanyue zu Dazhi und sagte. "Ehrenwerter, was erwartest du, wenn du hier in Meditation sitzt?"
Jiangxi sagte: "Ich erwarte, einen Buddha zu machen."
Da nahm Nanyue einen Ziegel auf und begann, ihn auf einem Stein zu reiben. Nach einer Weile fragte Dazhi: "Meister, was tust du?"
Nanyue sagte: "Ich poliere dies hier, um einen Spiegel zu machen."
Dazhi sagte: "Wie kannst du durch Polieren eines Ziegels einen Spiegel machen?"
Nanyue antwortete: "Wie kannst du durch Sitzen in Meditation einen Budha machen?"


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Kurze Unterbrechung - so weit der erste Teil. Wenn man nun den Rest der Geschichte verschweigt, könnte tatsächlich der Eindruck entstehen, Nanyues Antwort sei ironisch gemeint und ziele darauf ab, das 'Sitzen in Meditation' (zuochan / zazen) sei nicht geeignet, 'einen Budha zu machen'. Tatsächlich aber ist diese Frage durchaus ernst gemeint - es geht um das 'Wie' des Sitzens. Die Antwort darauf, wie man aus einem Ziegel einen Spiegel macht, bleibt uns Nanyue nicht schuldig.
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Dazhi fragte: "Nun, was ist das Richtige?"
Nanyue antwortete: "Wenn ein Mann auf einem Ochsenkarren fährt und der Karren nicht vorankommt, sollte er den Karren oder den Ochsen schlagen?"
Dazhi antwortete nicht.

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Es ist keineswegs Ratlosigkeit, die hier Dazhis Schweigen veranlasst. Die Nicht-Antwort ist die einzig angemessene Antwort auf die Frage. Natürlich wäre es absurd, den Karren zu schlagen - das ist einfach zu sehen. Doch wäre es nicht auch absurd, den Ochsen zu schlagen, wenn der Karren ein gebrochenes Rad hat? Nanyue ist auch hier nicht auf eine einfache Antwort aus.
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Nanyue fuhr fort: "Studierst du 'Meditation im Sitzen' oder studierst du 'sitzender Buddha'? Wenn du 'Meditation im Sitzen' studierst, dann ist Meditation nicht 'Stillsitzen'. Wenn du 'sitzender Buddha' studierst, dann ist Buddha kein fixiertes Mal. Wenn du 'sitzender Buddha' studierst, dann ist das 'Buddha töten'. Wenn du nach dem Mal des Sitzens greifst, erfasst du nicht sein Prinzip."


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Man sieht, die eigentliche "Zen-Geschichte" ist schon ein wenig schwieriger zu verstehen, als die mißlungene Travestie. Sie ist eigentlich gar nicht zu verstehen, wenn man nicht sowohl 'Meditation im Sitzen' als auch 'sitzender Buddha' intensiv studiert, wenn man nicht die Wirkungsweise von 'Karren' und 'Ochse' versteht (wodurch sich auch das Schlagen erübrigt). Aber auch ohne dies läst sich erkennen, dass es hier nicht um eine Kritik des Sitzens als solches geht - sondern um einen Hinweis zum richtigen Sitzen.

'Richtiges' Sitzen, Zazen, ist kein 'Stillsitzen' - soll heißen keine Versenkungsübung, ist nicht die Übung der Jhanas (vgl. hier). Dies ist immer wieder als 'Zen des toten Holzes' (eigentlich 'totes Holz [und] kalte Asche', kumu shihui) kritisiert worden. Zwar gehen das chinesische 'Chan' bzw. japanische 'Zen' auf sanskrit 'Dhyana' zurück (pali 'Jhana'), und doch ist Zen, ist Zazen kein Dhyana. Zazen ist 'sitzender Buddha' - aber auch nur dann, wenn man dabei 'Buddha tötet', wenn man nicht nach Buddha als dem Mal des Sitzens greift und daran anhaftet. Dazhis Problem, das Nanyue in dieser Geschichte korrigiert, ist dieses Anhaften - "Ich erwarte, einen Buddha zu machen." Wahre buddhistische Praxis löst sich von Anhaftungen, von Erwartungen, von Zielen. Auch vom Sitzen. Was nicht heisst, man würde nicht sitzen ...

"Wenn du verstehst, wie wertvoll dein Leben ist und dass die Art, wie du es manifestierst und es lebst, voll und ganz deiner eigenen Verantwortung unterliegt - dann ist das solch eine große Verantwortung, dass so jemand ganz natürlich sich für ein Weilchen hinsetzt. Es ist keine absichtsvolle Handlung, es ist eine natürliche Handlung."
(Houn Kobun, 1938 - 2002)

In diesem Sinne ...

2 Kommentare:

  1. Lieber Sogen,

    schön, dass die von mir gehörte und weiter gegebene Geschichte viel tiefgründiger ist als ich annahm.

    Warum sie mich ansprach ist einfach:
    Seit ueber 30 Jahren lerne ich immer wieder Menschen kennen die sich Buddhisten nennen oder von mir so genannt werden. In meinen frühen Jahren als Buddhist war ich immer voll ehrfürchtigem Staunen, wenn eine/r von ihnen lange und intensiv praktizierte.
    Nun merke ich, dass bei vielen eine größer werdende Kluft zwischen "Praxis" und "realem Leben" entsteht.
    Zum einen scheine ich mit der buddhistischen Praxis eine Art Wunderglaube verbunden zu haben, dergestalt, dass ich annahm, dass Meditation einen Menschen "zum Guten verändert".
    Zum andern dachte ich wohl, dass es ein Leichtes, ja eine Selbstverständlichkeit sei, die Meditation bzw, die Erfahrung die man damit oder dabei macht, ins tägliche Leben zu integrieren.

    Beides hat sich nach Jahren nicht bestätigt. Viele meine buddhistischen Freunde kämpfen mit den gleichen Beschränkungen und hängen an den selben Konzepten und Verhaltensmustern wie sie das schon vor ihren zahllosen Retreats und Medtationsseminaren getan haben. Vielen sind die einfachsten "Erkenntnisse" und "Erfahrungen" nicht mehr gegenwärtig, kaum dass sie ihr Kissen oder ihre Meditationsstätte verlassen haben.

    Hier kam mir diese Geschichte entgegen: Zum einen scheint sie mir zu erzählen, dass der Grundstoff mit dem man arbeitet nicht magisch verwandelt werden kann und zum andern, dass Praxis nicht alleine und auschließlich auf dem Kissen stattfinden kann.

    Mag sein, dass es vermessen von mir war, diese Geschichte eine Zen-Geschichte zu nennen. Es hätte auch gereicht einfach nur eine Geschichte weiter zu geben um das auszudrücken was sie mir erzählt hat und was mir auf dem Herzen lag.

    Herbert

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  2. Lieber Herbert,
    vielen Dank für Deinen Kommentar. Uns ging es mit dieser Geschichte in der Tat um verschiedene Dinge - jedoch um dasselbe Problem. Mir ging es um Menschen, die buddhistische Praxis mit ihren Kopfgeburten verwechseln, sie auf bloßen Intellektualismus reduzieren. Dir offensichtlich um Menschen, für die sich buddhistische Praxis im gelegentlichen Sitzen auf einem Meditationskissen erschöpft (so etwas soll auch bei Zennis vorkommen ;)...). Auch dies ist eine reduzierte Praxis, ist nicht der achtfache Weg sondern vielleicht ein dreifacher, bestenfalls fünffacher. Was fehlt, ist natürlich die ethische Übung, Sila.

    Die Übung des buddhistischen Weges besteht im Dreiklang von Sila, Prajna und Samadhi - fehlt eines dieser Elemente, ist die Übung unvollständig. Dann klaffen "Praxis" und "reales Leben" in der Tat auseinander. Das ist dann aber auch keine "buddhistische Praxis".

    Hier liegt ein weiterer Schlüssel zum Verständnis dessen, was Zazen eigentlich ist. Es ist kein Dhyana, kein Samadhi, kein "Stillsitzen". Es ist die vollständige Übung des Weges, 'muso sangaku' - 'formloses dreifaches Studium' von Sila, Prajna und Samadhi. Das Sitzen auf dem Kissen ist Zentrum, ist Dreh- und Angelpunkt dieses 'Studiums' - doch wenn Za-Zen dieses Sitzen nicht transzendiert, sich nicht als 'gyojuzaga-Zen' (= Zen im Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen) im "Echten Leben" manifestiert, dann ist es nicht das Zazen, das Dogen lehrte und das er mit 'Butsugyo', dem 'Tun(sic!) Buddhas' gleichsetzt.

    SoGen

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