Mittwoch, 18. November 2009

Tee, Lu Tong und Hölderlin

Keine Angst - das gibt hier keine geistesgeschichtliche Abhandlung. Nur wollte ich zur Eröffnung dieses Blogs nicht gerade etwas über Buddhismus bzw. Zen schreiben. Oder doch? Wie auch immer ... Zu den Dingen, an denen ich mit Vorliebe anhafte, gehören gute Gedichte und guter Tee. Beides Dinge, die wunderbar zusammenpassen. Warum also nicht dieses Blog mit einem Beispiel meiner persönlichen Obsessionen beginnen?

Zur Zeit der Tang-Dynastie lebte im 'Klausengebirge' Lu Shan ein merkwürdiger Mann. Sein Name war Lu Tong; er wurde im Jahr 798 geboren. Obwohl er das zurückgezogene Leben eines taoistischen Einsiedlers führte, so wurde er doch weithin als Dichter und vor allem als Teemeister geschätzt und bewundert, worauf schon sein Literatenname 'Jadequelle' hinweist: 'flüssige Jade' ist ein poetischer Ausdruck für Tee. Er übte sich im Wu-Wei, in absichtsloser, spontaner Aktivität - und diese Aktivität war vor allem das Rezitieren von Gedichten und die Zubereitung von Tee. Er war dem Tee so sehr zugetan, dass manche seiner Zeitgenossen ihn für verrückt hielten. Eine Zeile eines seiner Gedichte, die ihn wohl am besten charakterisiert, lautet:

Mich kümmert nicht Unsterblichkeit - nur der Geschmack von Tee.

Etwa hundert Gedichte sind von ihm überliefert – darunter das berühmteste Tee-Gedicht überhaupt; der immer wieder zitierte 'Gesang von den sieben Schalen Tee'. Er gehört zu einem längeren Gedicht, das den etwas umständlichen Titel trägt: 'Dankschreiben an Zensor Meng für eine Sendung frisch gepflückten Tee'.

Der Zensor Meng, dem das Gedicht gewidmet ist, war wohl ein Nachkomme des konfuzianischen Philosophen Meng Zi (Mencius) und hatte als solcher (wie auch die Nachkommen des Kung Zi / Konfuzius) ein Erbamt am kaiserlichen Hof inne – er durfte und sollte den Lebenswandel des Kaisers begutachten und - wenn notwendig - kritisieren. Kein ganz ungefährliches Amt … So ist auch der augenzwinkernde Humor des letzten Verses zu verstehen, wo der Taoist Lu Tong den so überaus wichtigen konfuzianischen Hofbeamten mit leiser Ironie bedenkt.


Dankschreiben an Zensor Meng
für eine Sendung frisch gepflückten Tees


hoch stand die sonne schon am himmel,
als tief ich noch im schlafe lag -
da reisst mit schlägen an das tor
ein offizier mich aus den träumen.

er sagt, der zensor sende mir
ein schreiben – zur beglaubigung
baumeln drei siegel an der hülle
aus schwerer, steifer, weisser seide.

das siegel geöffnet - und schon
seh ich des zensors gesicht vor mir.
er schickt dreihundert päckchen tee -
handverlesen, wie monde geformt -

zum verkosten, denn im neuen jahr
schreckten schritte auf einem bergpfad
die mücken aus dem winterschlaf
erwachend mit dem frühlingswind.

der kaiser selbst, er muss noch warten
auf den geschmack des yang-xian-tees
und etliche kräuter wagen
noch nicht, schon die blüten zu öffnen.

in freundlicher brise reifen
in keim und knospe verborgen
wie perlen, noch ehe der frühling
sie austreibt, die goldgelben sprossen.

frisch gepflückt, am feuer getrocknet,
noch duftend gerollt und verpackt,
ward ihre essenz aufs beste,
wahrlich unübertrefflich bewahrt.

eine zu große ehre ist dies
für mich, die kaiser und fürsten
nur gebührt; wie kam dies geschenk
zur hütte des mannes der berge?

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das tor aus reisig schließe ich,
so dass kein ungeschliffner gast
mir nahekommen möge;
die seidenkappe setz ich auf,
für mich in meiner weidenhütte
ihn aufzugiessen und zu trinken.

da steigen jadewolken auf,
doch ohne dass ihr hauch
das treiben weisser blüten störte
deren leuchten sich verdichtet
auf der schale spiegel.

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die erste schale tee, sie netzt
mir kehle und lippen, die zweite
zerbricht meine melancholie.

die dritte schale aber sickert
mir tief ins gemüt, das verdorrt
von den worten tausender bücher war.

die vierte schale tee
ruft leichtes schwitzen hervor,
befriedet allen kummer des lebens

und treibt ihn zu den poren hinaus.
die fünfte schale tee, sie klärt
und reinigt mich durch und durch.

die sechste schale macht meinen geist
den unsterblichen zum genossen -
die siebte zu trinken vermag ich nicht.

und doch erwachen mir flügel, sie tragen
mich geläutert im wind des lebens.

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wie verweilt man in jenen bergen,
wo die unsterblichen wohnen?
jadequell reitet diesen reinen wind,
heimkehr ersehnend nimmt er abschied,

zu jenen bergen, in deren mitte
unsterbliche die niedere erde regieren;
zum reinen, erhabenen thron der welt
jenseits von wind und regen.

wo friedvolles verstehen ist
der zahllosen schicksale rastlosen lebens -
das in stetem verfall, wie ein sturz in den abgrund
sein bitteres los empfängt.

gelegentlich werd ich den zensor befragen
über dieses geschäftige leben:
ob es nicht erfüllung kennt,
sammlung, erlangen, erneuerung, ruhe.


Im Jahr 835 kam Lu Tong auf Einladung des Zensors Meng an den Hof des Kaisers Li Ang (Tang Wen Zong, 826-840). Ob er Gelegenheit fand, den Zensor über das "geschäftige Leben" zu befragen, weiss man nicht. Jedenfalls aber erfuhr er nun selbst eines jener "zahllosen Schicksale rastlosen Lebens, das in stetem Verfall, wie ein Sturz in den Abgrund, sein bitteres Los empfängt".

Lu Tong geriet in die Wirren des "Tau-Zwischenfalls". Der Kaiser und einige seiner Vertrauten wollten die Herrschaft der Palasteunuchen brechen, die längst die eigentlichen Machthaber geworden waren und schon Li Angs Vorgänger ermordet hatten. Es wurde das Gerücht gestreut, ein Granatapfelbaum im Palast sei mit Tau bedeckt - und dort wurde ein Hinterhalt gelegt. Die Eunuchen wurden eingeladen, das günstige Omen des betauten Baumes in Augenschein zu nehmen; jedoch wurde der Anschlag vorzeitig entdeckt und der Kaiser als Geisel genommen. Er wurde bis zu seinem Tod unter Hausarrest gestellt und etwa zweitausend tatsächliche und angebliche Verschwörer wurden geköpft – darunter auch Lu Tong, dem sein hochrangiger Freund und Gönner nun zum Verhängnis wurde.


Wenn ich die letzten Verse - den vierten Abschnitt - dieses Gedichtes lese, kommt mir unweigerlich ein anderes Gedicht in den Sinn - eine Resonanz, ein ergänzendes Gegenstück aus anderem Blickwinkel, durch ein Jahrtausend und eine halbe Welt getrennt: 'Hyperions Schicksalslied' von dem unglücklichen Friedrich Hölderlin:

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.

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