Montag, 31. Mai 2010

Weggetreten!


Originalzitat Horst Köhler am 22.05. im Deutschlandfunk:

"Meine Einschätzung ist [...], dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.

[...]

Wir haben ja leider diese traurige Erfahrung gemacht, dass Soldaten gefallen sind, und niemand kann ausschließen, dass wir auch weitere Verluste irgendwann beklagen müssen. [...] Das ist die Realität unseres Lebens heute, wo wir einfach zur Kenntnis nehmen müssen: Es gibt Konflikte. Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren."

Schön - da hat sich dieser wackere Ex-Sparkassendirektor ausgerechnet am Vortag des Tages des Grundgesetzes, an dem vom Bürger so gerne Verfassungspatriotismus eingefordert wird, von eben diesem Grundgesetz verabschiedet. Was irgendwie symptomatisch dafür zu sein scheint, wie sehr unserer politischen Klasse Art. 87a Abs.2 unserer Verfassung offensichtlich am Arsch vorbei geht:

"Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt."

Man mag es erstaunlich finden - aber tatsächlich findet sich dort auch bei gründlichem Suchen nichts von Wahrung wirtschaftlicher Interessen, von Sicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen durch militärische Einsätze. Schon gar nicht von militärischer Erzwingung "freier Handelswege" - das gehört dann wohl doch eher in die Mottenkiste wilhelminischer Kanonenbootpolitik. Fast ein Grund, erleichtert aufzuatmen - gäbe es da nicht doch diese irritierende Realität, diesen kleinen häßlichen Krieg in Afghanistan. Wo nicht nur unser als Kollateralschaden nun abgängiger Bundespräsident sich fragt, wozu er denn nun wirklich gut sein soll. Schön, dass das Staatsoberhaupt persönlich mal den Versuch macht, den Bürgern reinen Wein einzuschenken und diese Frage so frei von der Leber weg beantwortet. Vielleicht nicht richtig, aber wohl doch ehrlich - das sollte den Bürger eigentlich freuen, den ja immer wieder die klassische Frage der politisch Mündigen, die alle vier Jahre ihre Stimme abgeben dürfen, umtreibt: "Was denken die sich eigentlich dabei?" Wie man sieht, ist "nichts" eine zwar häufig naheliegende, aber nicht immer richtige Antwort. Das hat man davon, wenn man einen Banker zum Staatsoberhaupt macht.

So lobenswert Herrn Köhlers naive Offenheit war - inhaltlich wendet sich da der Zuhörer mit Grausen. Als gewiefter Politiker hätte Herr Köhler freilich wissen müssen, dass man so etwas einfach nicht tut - das ist politischer Selbstmord.

Einmal aus dem Sack war diese Katze nicht mehr einzufangen. Das war derart unzweideutig - da gab es nichts zu reparieren und auch nicht mit bemühten Umdeutungen zu relativieren. Nicht die, die Herrn Köhler für dieses unbekümmerte Säbelrasseln gerügt haben, haben das Ansehen des Amtes des Bundespräsidenten geschädigt - das hat Herr Köhler im Alleingang fertiggebracht. Er hat keinen nachvollziehbaren Grund, nun auch noch beleidigte Leberwurst zu spielen.

Wenn er behauptet, die Kritik an seinen Äußerungen ließe den notwendigen Respekt vor seinem Amt vermissen, dann hat er entweder selbst nicht so recht verstanden, was er da eigentlich von sich gegeben hat, oder er hat nicht verstanden, was er persönlich diesem Amt und seiner Würde schuldig ist - und dass es ihn nicht sakrosankt macht.

Wenn er nun glaubt, diese vorgebliche Respektlosigkeit vor dem Amt des Staatsoberhauptes als Grund für seinen Rücktritt vorschieben zu müssen - nach dem Motto, nicht er selbst, sondern seine Kritiker seien schuld daran, dass die Bürger fortan auf ihren braven und beliebten Präsidenten verzichten müssen, dann ist das nur noch peinlich - aber es war erwartbar. Die Kritik liess vielleicht Respekt für seine Person vermissen - aber nicht für sein Amt, dem er offenbar nie so richtig gewachsen war. Wie so häufig bei Politikern fällt es dem Betroffenen mal wieder schwer, Amt und Person auseinanderzuhalten. Ob dieser Respekt für seine Person wiederum notwendig oder gar verdient gewesen wäre, daran lässt diese Rücktrittsrede eher noch zusätzliche Zweifel aufkommen.

Das einzige, was man ihm zugute halten möchte, ist, dass er sich entschlossen hat, den Käßmann-Bonus in Anspruch zunehmen und das Amt nicht weiter dadurch zu beschädigen, dass er das Unvermeidliche hinausgezögert hat. Als Bundespräsident war er schlicht nicht mehr tragbar. Schade, dass ihm nicht aufgegangen zu sein scheint, warum das so ist.

Samstag, 1. Mai 2010

Look at those Dead Bastards


Facts




and Fiction
 
 
M.I.A, Born Free from ROMAIN-GAVRAS on Vimeo.

Ich tue mich schwer mit diesem Thema, sehr schwer. Vielleicht sollte ich mich deswegen nicht dazu äußern und dies stattdessen Berufeneren (oder solchen, die sich dafür halten) überlassen. Der Anlass warum ich dies trotzdem tue ist, dass die Webseite http://www.collateralmurder.com/ nicht mehr erreichbar ist - aus welchen Gründen auch immer. Diese Webseite hat sich speziell dem als 'geheim' klassifizierten Video gewidmet, das hier als erster Beitrag in einem Zusammenschnitt gezeigt wird. Wem es aus den Nachrichten der letzten Wochen noch nicht bekannt ist, findet  hier ein Portal für Informationen über diese Dokumentation eines Kriegsverbrechens aus erster Hand - der der Täter. Da das ins Deutsche übersetzte Transskript der Videoaufzeichnung auf collateralmurder.com zumindest derzeit nicht mehr zur Verfügung steht, biete ich es hier an.

Warum ich mich mit diesem Thema schwer tue ist schnell gesagt - es ist einfach, mit den Opfern Mitgefühl zu empfinden. Sehr viel schwieriger ist es, den Tätern das gleiche Mitgefühl entgegen zu bringen und noch schwieriger ist es, in seiner Sicht die Trennung zwischen Opfern und Tätern zu überwinden ohne dabei den Abscheu vor der Tat zu verlieren. Gaius Iulius Cäsar wird der Ausspruch zugeschrieben: "Proditionem amo, sed proditores non laudo" - "Ich liebe den Verrat, doch den Verräter lobe ich nicht". Sehr viel schwieriger ist es anders herum: Den Mord lobe ich nicht, doch für den Mörder empfinde ich Mitgefühl und Wohlwollen.

Ansonsten wäre es wirklich zu billig, hier in den Chor der beflissen "Abscheu und Entsetzen"  (um die übliche Standardfloskel zu verwenden) Empfindenden einzustimmen. Zu wohlfeil, sich angesichts dokumentierter Barbarei selbst als aufgeklärter Humanist zu fühlen, als moralisch unstrittig Überlegener, als besserer Mensch und sich als solcher im Bewusstsein breiter Zustimmung zu suhlen. Schlimmstenfalls gar wie Goethes "Anderer Bürger" unter leichtem Gruseln selbstgefällige Behaglichkeit zu verspüren:

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker auf einander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man Abends froh nach Haus,
Und segnet Fried' und Friedenszeiten.


Also - hier an dieser Stelle nicht noch eine weitere Verurteilung des 'war on terrorism'. Dazu ist alles Notwendige mehr als zur Genüge schon gesagt - wenn man unter 'zur Genüge' nicht gerade verstehen will, dass aus dem Gesagten, aus der Kritik, auch die angemessenen Konsequenzen seitens der Verantwortlichen gezogen wurden. Wobei die angemessenste Konsequenz zunächst einmal die ist, sich selbst über seine eigene Verantwortung klar zu werden - wie weit dieser Krieg im eigenen Interesse geführt wird oder auch nur, wie weit man das eigene Interesse nicht dadurch berührt sieht. Dabei ist natürlich nicht vom 'wohlverstandenen' Interesse die Rede, sondern von dem aus Gier, Hass und Verblendung enstandenen Karma, dass wir mit einem - unserem - berechtigten Interesse verwechseln. Auch Deutschland führt ja einen Krieg - gemessen am internationalen Engagement der USA einen kleinen; eigentlich nur ein Gefälligkeitskrieg für unsere 'Führungsmacht' der nichtsdestotrotz seine Opfer fordert. Einen, von dem man lange gehofft hat, die Betroffenen auf beiden Seiten - in Deutschland und Afghanistan - würden ihn mit 'Peacekeeping' und 'Nationbuilding' verwechseln. Gerne hätte ich an Stelle des Videos aus Bagdad ein anderes eingestellt. Eines, das z.B. die Bombardierung zweier gestohlener Tanklastzüge (und deren 'Kollateralschäden') zeigt. Noch lieber freilich wäre es mir, es könne solch ein Video gar nicht geben.

Richten wir den Blick nicht auf Soldaten, Terroristen, Freiheitskämpfer, Insurgenten, auf 'unschuldige' Zivilisten, Reporter, Kinder. Richten wir den Blick auf den Krieg und erkennen, was er ist. Das Abbild des Krieges in unseren Herzen. Look at those dead bastards.

Damit möchte ich noch kurz auf das zweite Video eingehen, das in den letzten Tagen für einiges Aufsehen gesorgt hat. Mir ist natürlich bewusst, dass zumindest der Verdacht naheliegt, dass da auf zynische Weise Promotion für eine Musikerin betrieben wird. Aber das interessiert mich in diesem Zusammenhang wenig. Interessant finde ich, wie hier mit (möglicherweise fragwürdigen) ästhetischen Mitteln eine Brücke zwischen Krieg und Diskriminierung geschlagen wird. Krieg ist Fortsetzung von Diskriminierung mit anderen Mitteln. Diskriminierung ist zunächst einmal nichts Anderes als Unterscheidung. Dass und wie Unterscheidung in den sozialen Bereich hineinwirkt, ist von objektiven Unterscheidungsmerkmalen weitgehend unabhängig. In unserem Video sind rote Haare ein solches Merkmal - und natürlich denkt man (ich jedenfalls) da an die Arbeit von Jane Elliot, bei der es stattdessen um blaue Augen geht. Vor einiger Zeit sendete der Bayerische Rundfunk eine sehenswerte Dokumentation über die Arbeit von Jane Elliot; man kann sie in voller Länge hier sehen.

Das Stichwort hier sind Wertesysteme. Wertesysteme, die zwischen roten und anderen Haaren oder zwischen blauen und braunen Augen unterscheiden / diskriminieren sind ganz offensichtlich willkürlich und ungerechtfertigt. Die Frage ist - welche der von einem selbst anerkannten Werte sind nun nicht willkürlich und ungerechtfertigt?

In manchen Köpfen steckt die Vorstellung, Zen sei in dieser Hinsicht nihilistisch, kenne keine Werte und keinerlei Unterscheidung. Das ist unsinnig. Zen ist Buddhadharma und selbstverständlich unterscheidet der Buddhadharma zwischen heilsamen (kusala) und unheilsamen (akusala) Gegebenheiten. Neben dem Aspekt des Nicht-Unterscheidens existiert auch der Aspekt weiser Unterscheidung. Das ist kein Widerspruch, auch wenn dies auf den ersten Blick so scheinen mag. Prajna und prajnaparamita durchdringen sich; weise Unterscheidung und Nicht-Unterscheidung sind ein und dasselbe, lediglich in einem gewandelten Kontext.

Weise Unterscheidung ist notwendig, weil heilsame Gegebenheiten aus heilsamem Handeln entstehen und unheilsame Gegebenheiten aus unheilsamem Handeln. Westliche Werte wie Demokratie und Toleranz sind zweifellos heilsame Gegebenheiten. Wir müssen uns fragen, ob die 'Verteidigung' dieser Werte oder auch nur das Zulassen dieser Art von 'Verteidigung' "hinten, weit, in der Türkei" oder am Hindukusch heilsames Handeln ist. Wer im Zweifel ist, ob nicht auch militärisches Handeln heilsam sein kann, möge sich einfach dessen Resultate ansehen. Nicht zuletzt die Resultate, die in der Psyche der unmittelbar Handelnden und Erleidenden erzeugt werden. Da sollte dann 'weise Unterscheidung' nicht schwer fallen.