Fukan Zazen Gi

Grundsätze des Sitzens in Versenkung (Tenpuku Fassung) 
Dogen Kigen
(1200-1253)

Grundsätzlich gesprochen, ist die Basis des Weges vollkommen allgegenwärtig. Wie könnte er also von Übung und Verwirklichung abhängen? Das Fahrzeug der Alten ist von Natur aus ohne Beschränkung, warum sollten wir also beständig Mühe aufwenden? Mit Sicherheit ist das alles umfassende Wesen weit jenseits jeder Verunreinigung, wer könnte eine Methode für möglich halten, es blank zu polieren? Nie ist es getrennt von diesem Ort hier, was nutzt da eine Pilgerfahrt, es zu praktizieren? Und doch, wenn auch nur eine Haaresbreite Unterscheidung existiert, ist die Kluft wie die zwischen Himmel und Erde. Ist einmal auch nur die geringfügigste Zuneigung oder Abneigung aufgestiegen, ist alles verwirrt und der Geist verirrt. Du solltest wissen, dass das unablässige Wandern durch die Zeitalter durch einen einzigen Augenblick der Reflektion entstand. Sich zu verirren in dieser Welt der Verunreinigung ent- steht durch das Versagen, Überlegungen anzuhalten. Wenn du wünschst, zum äussersten Jenseits hinauszuschreiten, tue es einfach direkt.

Obwohl du stolz auf dein Verständnis und vollgestopft mit Einsicht bist, mit Weisheit, die mit einem Seitenblick schon Bescheid weiss; obwohl du den Weg erlangt hast und den Geist klärst, den Mut aufsteigen lässt, der den Himmel stürmt - du magst den Eingangsbereich erreicht haben aber immer noch den Pfad zur Befreiung missen. Selbst im Fall jenes Alten Shakyamuni: obwohl er von Geburt an Weisheit besass, bleibt doch sein sechsjähriges aufrechtes Sitzen kennzeichnend. Selbst der Grossmeister Bodhidharma, der das Siegel des Geistes empfing, hinterliess die Spur seiner neun Jahre gegenüber der Wand. Wenn selbst die alten Weisen so waren, wie könnte heutigen Menschen das Streben erlassen werden? Daher kehrt die intellektuelle Praxis des Untersuchens von Worten, das dem Gerede hinterher jagen, um. Nehmt den Rückwärtsschritt des Umwendens des Lichts und des Zurückleuchtens. Von selbst werden Körper und Geist abfallen und dein ursprüng- liches Gesicht wird erscheinen. Wenn du dieses wünschst, arbeite vordringlich am Sitzen in Versenkung.

Um Versenkung zu studieren, muss man ein ruhiges Quartier haben. Sei bescheiden im Essen und Trinken. Wirf dann alle Verwicklungen von dir und beende alle weltlichen Angelegenheiten. Denke nicht an Gutes oder Schlechtes, kümmere dich nicht um richtig oder falsch. Halte die Umwälzungen von Geist, Intellekt und Bewusstsein an, beende die Verarbeitung von Gedanken, Ideen und Wahrnehmungen.

Wenn du sitzt, breite eine dicke Matte aus und benutze ein Kissen, das du darauf legst. Dann sitze entweder in der vollen Position mit gekreuzten Beinen oder in der halben Position mit gekreuzten Beinen. Für die volle Position lege zuerst deinen rechten Fuss auf deinen linken Oberschenkel, dann lege deinen linken Fuss auf deinen rechten Oberschenkel. Für die halbe Position lass einfach deinen linken Fuss auf deinem rechten Oberschenkel ruhen. Lockere deine Kleidung und Gürtel und richte sie ordentlich. Als Nächstes lege deine rechte Hand auf deinen linken Fuss und deine linke Hand auf deine rechte Handfläche. Drücke die Spitzen deiner Daumen aneinander. Dann richte deinen Oberkörper auf und sitze aufrecht. Lehne nicht nach links oder rechts, vorne oder hinten. Deine Ohren sollten in einer Linie mit deinen Schultern, deine Nase in einer Linie mit deinem Nabel sein. Drücke deine Zunge gegen den vorderen Gaumen und schliesse deine Lippen und Zähne. Die Augen sollten immer geöffnet bleiben. Wenn du erst deine Körper- haltung eingerichtet hast, solltest du deinen Atem regulieren.

Immer wenn ein Gedanke auftaucht, sei dir seiner bewusst; sowie er dir bewusst ist, wird er verschwinden. Wenn du für einen längeren Zeitraum achtlos gegenüber Objekten bleibst, wirst du auf natürliche Weise vereinheitlicht. Das ist die essentielle Kunst des Sitzens in Versenkung. Sitzen in Versenkung ist das Wahrheitstor zu grosser Ruhe und Freude. 

Wenn Du das Wesentliche [dieser Praxis] begreifst, werden die vier Elemente [des Körpers] leicht und beruhigt werden, das Gemüt wird frisch und scharf, Gedanken korrekt und klar; der Geschmack der Lehre wird das Gemüt stärken, und du wirst ruhig, rein und freudevoll sein. Dein Alltagsleben wird deinem wahren natürlichen Zustand entsprechen. Wenn du einmal Abgeklärtheit erreicht hast, kann man dich mit dem Drachen am Wasser oder dem Tiger in den Bergen vergleichen. Du solltest erkennen, dass sich, wenn rechtes Denken da ist, Trägheit und Unrast nicht aufdrängen können.

Wenn du dich vom Sitzen erhebst, bewege dich langsam und erhebe dich ruhig; sei nicht hastig oder grob. Beschütze und erhalte jederzeit die Kraft des nicht-dualistischen Geistes. Wenn du ihn studierst und untersuchst, überschreitest du seine höheren Tätigkeiten, ohne dich [noch] auf eine Basis zu stützen. Beim Prüfen und Loslassen des Selbst, das es sonst blockiert, bist du nicht mehr behindert. Das ist die volle Verwirklichung des Weges. Wahr- lich, diese eine Lehre der Meditation ist die höchste, überlegene. Zuerst ein volles Verständnis aufnehmen und dann eine halbe Verwirklichung umsetzen - so etwas gehört einzig zu diesem Dharma. Eine Blume erheben und in ein Lächeln ausbrechen, eine Verbeugung machen und das Mark erhalten - so zeigt sich die grosse Freiheit, gewonnen durch die Macht ihrer Gnade. Wie könnten Bodhisattvas, die Weisheit studieren, ihr nicht folgen und mit ihr übereinstimmen?

Wenn wir die Vergangenheit betrachten, sehen wir, dass das Überschreiten des Weltlichen und das Übersteigen des Heiligen immer abhängig von der Bedingung der Versenkung sind; Entkörperlichung im Sitzen und Weltflucht im Stehen unterliegen vollständig der Kraft nicht-dualistischen Geistes. Sicherlich, die Gelegenheit mit einem Finger, einer Stange, einer Nadel oder einem Hammer ergreifen und umwenden und die Übereinstimmung überprüfen mit einem Fliegenwedel, einer Faust, einem Stab oder einem Schrei - das lässt sich nicht durch die Unterscheidungen des Denkens verstehen; noch viel weniger kann man es wissen durch die Übung und Ausübung übernatürlicher Kräfte. Sie müssen Handlungsweisen jenseits von Klang und Form darstellen, wie könnten sie da versagen, uns eine Richtschnur zu geben, die vor unserem Wissen und Verstehen liegt?

Daher ist es gleich, ob jemand sehr klug oder sehr dumm ist; es gibt keinen Unterschied zwischen solchen mit scharfen und stumpfen Fähigkeiten. Wenn du die sechs Sinne loslässt, siehst und wendest du den ganzen Pfad. Wenn du keinen einzigen Gedanken hervorrufst, sitzt du und schneidest die zehn Himmelsrichtungen ab.

In unserer Welt und den anderen gibt es ursprünglich nichts als die eine Lehre Buddhas. Von den westlichen Himmeln bis zur östlichen Erde öffnete das Tor der Patriarchen schließlich fünf Tore. Alle halten in gleicher Art das Siegel Buddhas, während jedes seine eigene Art des Lehrens hat. Sie widmen sich ausschließlich der einen Überlieferung und dem unmittelbaren Zeigen; sie kümmern sich ausschließlich um das Umwenden des Körpers und das Wenden des Kopfes. Obwohl sie von tausend Unterschieden und zehntausend Verschiedenheiten sprechen, erfreuen sie sich nur an der vollständigen Erkundung des Heimwegs.

Warum den Platz in deinem eigenen Heim verlassen um vergeblich durch die staubigen Regionen eines anderen Landes zu wandern? Wenn du einen falschen Schritt machst, verfehlst du, was unmittelbar vor dir liegt. Da du bereits die entsprechenden Umstände für einen menschlichen Körper erreicht hast, vergeude deine Tage nicht. Wenn man sich jederzeit das angemessene Verhalten auf dem Weg des Erwachten vergegenwärtigt, wer kann dann nachlässig den Funken eines Feuersteins geniessen? Wahrlich, Form und Substanz sind wie Tau auf dem Gras und die Geschicke des Lebens wie der Blitz: in einem Augenblick sind sie geleert, in einem Moment verloren.

Ihr hervorragenden Studenten, schon lange gewohnt, nach dem Elefanten umherzutasten, bitte zweifelt nicht am wahren Drachen. Nehmt unverzüglich den rechten Weg, der direkt zur Wirklichkeit führt; werdet schnell zum wahren Menschen, schliesst ab mit Gelehrsamkeit und seid frei von Handeln. Dann werdet ihr die Regel Po-changs erfüllen und überall den Geist von Shaolin befördern. Kümmert euch nicht um Winde, die das Ohr beleidigen oder erregt euch über die Klänge loser Zungen. Öffnet unmittelbar euer eigenes Schatzhaus und nutzt es, wie ihr wollt.