Mittwoch, 22. August 2018

Über die Grenzen die Toleranz

Sie ist schon nicht mehr so ganz taufrisch, die letzte Ausgabe der 'Buddhismus Aktuell'. Trotzdem möchte ich mich hier, bevor die nächste Ausgabe erscheint, ein wenig mit dem dort veröffentlichten und meines Erachtens ausgesprochen lesenswerten Artikel des DBU-Ratsmitglieds Dr. Martin Ramstedt beschäftigen, der erfreulicherweise auch Online zur Verfügung steht. Eilige möchte ich bitten, zumindest die ersten beiden Absätze des Artikels zu lesen, da auch für mich das dort geschilderte Ereignis zum Anlass wurde, mich hier öffentlich zu äußern und ich daher darauf Bezug nehmen werde. Ein etwas anderer Blickwinkel als der Dr. Ramstedts sei mit der Wahl einer etwas anderen Überschrift bereits vorab angedeutet. Ich beziehe mich mit meinen Überlegungen allerdings nicht nur auf Dr. Martin Ramstedts Artikel und insbesondere den dort geschilderten Auftritt Dr. Kaltenbrunners auf der christlich-buddhistischen Dialog-Tagung in Hannover. Darüber hinaus beziehe ich mich auch auf andere Vorgänge um die DBU-Mitgliedsgemeinschaft BDD, die nach Erscheinen der letzten Nummer der BA Diskussionen nicht nur unter Buddhisten ausgelöst und zu einer erfreulich deutlichen Stellungnahme des Rates der DBU geführt haben.

Im Kern geht es nach meiner Auffassung bei diesen Diskussionen um die Gewaltfrage. Es mag überraschen, dass ausgerechnet im Zusammenhang mit einer buddhistischen Organisation wie der DBU diesbezüglich ein innerbuddhistischer Diskussionsbedarf besteht. Andererseits zeigen historische Beispiele etwa im japanischen oder tibetischen Buddhismus und auch aktuelle, wie etwa 969 und MaBaTha in Myanmar oder Bodu Bala Sena und Ravana Balakaya in Sri Lanka, dass auch buddhistische Organisationen immer wieder einen Klärungsbedarf in dieser Hinsicht haben. Es wäre ungerechtfertigte ethnozentrische Arroganz, einen solchen in Europa zu leugnen. Erfreulicherweise sind wir in Deutschland (noch) auf einem Level, wo es konkret um Rechte Rede geht. Aber was diese Diskussion so ernst macht, ist natürlich die Frage nach den karmischen Konsequenzen, die die kritisierten Aussagen auslösen können. Mir persönlich ist da der Verweis auf geschichtliche Erfahrungen gerade auch in Deutschland wichtig und darauf, dass uns der Vergleich oder Abgleich (was etwas Anderes ist als Gleichsetzung) mit historischen Erfahrungen dabei helfen kann, karmische Konsequenzen abzuschätzen und von daher die Heilsamkeit oder Unheilsamkeit solcher Aussagen zu beurteilen. Das wiederum ist das Kriterium dafür, ob wir es da mit Rechter Rede zu tun haben oder nicht.

Natürlich kann man nun fragen, was uns eigentlich die Rechte Rede Anderer angeht. Eine völlig berechtigte Frage und man sollte es auch durchaus ernst nehmen, wenn Fürsprecher Ole Nydahls dabei auf das Grundrecht freier Meinungsäußerung verweisen. Allerdings kann ich mich nicht immer des Eindrucks erwehren, dass da (ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt) ein Verwirrspiel mit dem Wechsel von Argumentationsebenen getrieben wird. Nicht jede zulässige freie Meinungsäußerung ist karmisch heilsam (also Rechte Rede) und nicht jede unrechte Rede ist strafbar. An einer Antwort auf die Frage, was das eigentlich uns angeht, möchte ich mich mittels eines Zitates von Helmut Gollwitzer versuchen. Gollwitzer spricht da von Verantwortung: "Verantwortung, das meint, dass ich mit meinen Ohren und mit meiner Seele einen Ruf höre, der an mich ganz persönlich ergeht, und dass ich ganz persönlich auf diesen Ruf antworte. [...] Und wir wissen, was aus dieser Verantwortung bei uns gewor­den, nein, gemacht worden ist." In dem Punkt "letzter persönlicher Verantwortung" liegt auch "der Punkt, an dem man widerstehen muss, wenn man nicht die Freiheit hoffnungslos preisgeben will". Und Gollwitzer spricht da auch eine Mahnung oder Warnung aus an die, die eben nicht "ganz persönlich auf diesen Ruf antworten" sondern auf Antworten Anderer vertrauen, die sich ihre persönliche Antwort vorweg nehmen lassen "durch eine andere freiwillig übernommene Autorität, oder sagen wir es in aller Deutlichkeit: in einer freiwillig übernommenen Knechtschaft".

Nun war Gollwitzer Theologe - Roshis, Lamas und Bhantes gab es zu dieser Zeit in Deutschland nicht. Aber das "und mit meiner Seele" in dem Zitat kann man ja schadlos beiseite lassen. Und auch den Begriff Freiheit sollte man gelegentlich für eine ganz andere Art Freiheit "hoffnungslos preisgeben" können, wie ich gerne einräume. Ich lese dieses Zitat aus der Perspektive eines Wegsuchers, der die Bodhisattva-Gelübde empfangen hat. Wenn man diese ernst nimmt, dann - so denke ich jedenfalls - ist dieser "Ruf", von dem Niemöller spricht, das 'Schreien der Welt' und das, was diesen aus Leiden geborenen Ruf ungehindert hört und mit karuṇā beantwortet, ist Avalokiteśvara. Das verweist auf die Übung, die durch Verblendung bedingte Hinderung des Hörens zu überwinden und dabei die pāramitās zu entwickeln. Alleine durch Hören entwickelt man die pāramitās nicht, sondern erst durch deren praktische Ausübung. In Gollwitzers Worten: durch das Übernehmen von letzter, persönlicher Verantwortung. Dann gehen uns auch solche Dinge wie die pauschale Diffamierung von Menschen anderer Religion, Ethnizität oder Hautfarbe etwas an. Erst recht deren mögliche Folgen.

Ganz besonders gilt diese Maxime der Übernahme von Verantwortung, wenn wir uns mit anderen Menschen verbinden, um als kleine Gemeinschaft in die große Gemeinschaft aller Wesen hinein heilsam zu wirken. Wenn wir also in dieser Absicht politisch handeln oder handeln wollen. Dabei die eigenen schwachen Kräfte mit denen Anderer zu verbinden und so zu bündeln, ist ein potentiell sehr mächtiges upāya und wie alle machtvollen upāya ein schwierig zu handhabendes. Ein solches upāya ist beispielsweise die DBU, die als gesellschafts- und religionspolitischer Akteur von Buddhisten in Deutschland konzipiert ist; die ihnen die Option eröffnet, mit solch einem upāya zu arbeiten. Wenn dies funktionieren soll, dann müssen die individuellen Handlungsimpulse, die gebündelt werden sollen, von gleicher oder zumindest hinreichend ähnlicher Intention getragen sein; von einem gleichen oder doch zumindest verwandten Verständnis von heilsamem Handeln mit Geist, Sprache und Körper. Aus genau diesem Grund muss man sich, wenn man denn eine handlungsfähige DBU will, die heilsame Wirkungen in die Gesellschaft hinein entfalten soll, der Frage stellen, mit welchen politischen Intentionen man sich selbst dort einbringt und mit welchen Intentionen dies Andere tun. Und man muss sich mittlerweile ganz konkret die Frage stellen, ob die Intentionen, die sich aus vielen Äußerungen Ole Nydahls in den letzten zwei Jahrzehnten erschließen lassen, solche sind, mit denen man die eigenen Intentionen verbinden will.

Dieser Prüfung darf man nicht ausweichen, wenn man eine handlungsfähige DBU will. Handlungsfähig kann die DBU nur sein, wenn die in ihr zusammengefassten Handlungsimpulse in eine gemeinsame Richtung weisen. Das bedeutet, es bedarf nicht zuletzt konkret einer Klärung, für welche Haltung gegenüber den in Deutschland lebenden Muslimen die DBU-Mitgliedsgemeinschaft BDD steht und für welche Haltung die DBU insgesamt stehen soll - und einer Antwort auf die Frage, ob diese Haltungen miteinander vereinbar sind. Das bedeutet, es muss geklärt werden, ob in der gesellschaftspolitischen Frage der Integration vor allem muslimischer Migranten (seien es nun legale Zuwanderer und deren Nachkommen, Asylsuchende oder Armutsflüchtlinge) ein Konsens innerhalb der DBU besteht, ob gegebenenfalls ein Dissenz für die DBU schadlos akzeptabel ist und schließlich, welche Konsequenzen aus solch einer Klärung zu ziehen sind.

Das wäre Herstellung von Handlungsfähigkeit nach innen - aber es geht natürlich auch um eine Handlungsfähigkeit nach außen und genau deshalb ist es keine Option, dieses Problem einfach auszuklammern. Eine Handlungsfähigkeit nach außen kann es nur geben, wenn die DBU als Gesprächspartner im gesellschafts- und religionspolitischen Diskurs nicht nur wahr-, sondern auch ernstgenommen wird. Und, möchte ich hinzufügen, wenn sie als seriös und respektabel wahrgenommen wird. Ein öffentlich-rechtlicher Körperschaftsstatus alleine ist dazu bei weitem nicht hinreichend. Man muss dazu in diesen Diskurs auch klare Vorstellungen einbringen können, die für die Dialogpartner zumindest grundsätzlich akzeptabel sind. Noch besser, wenn man mit diesen partiell zu gemeinsamen Vorstellungen gelangt, so Unterstützung für die eigenen Anliegen findet und auch sinnvolle Anliegen Anderer unterstützen kann. Dabei ist es unvermeidlich, dass man sich, notfalls auch gegen innere Widerstände, auf Grundsätze festlegt und festlegen lässt - etwa in der Integrations- und Ausländerpolitik. Solchen Zwecken dienen demokratische Prozeduren. Sie sind der Preis politischen Handelns. Wenn man politisch handeln will, dann muss man ihn zahlen.

Aber das wäre schon der zweite Schritt. Entscheidend für eine gesellschafts- und religionspolitische Handlungsfähigkeit ist vor allem das Bild, das die DBU der Gesellschaft insgesamt, also der Öffentlichkeit, von sich und vom Buddhadharma vermittelt. Das negative Echo, das Äußerungen Ole Nydahls insbesondere auf dem diesjährigen Sommerkurs in Immenstadt in der Presse und im Fernsehen des Bayerischen Rundfunks hervorgerufen haben, ist diesem Bild nach meinem Geschmack ausgesprochen abträglich. Dass dies - einschließlich staatsanwaltlicher Prüfung der Aussagen Ole Nydahls auf strafrechtliche Relevanz hin - nun ausgerechnet auch noch in dem Bundesland geschehen ist, in dem federführend der Antrag der DBU auf Verleihung des Körperschaftsstatus geprüft wird, ist auch nicht gerade hilfreich. Genau so wenig wie die Äußerungen Dr. Kaltenbrunners auf der eingangs erwähnten Veranstaltung, die so eher geeignet waren, den interreligösen Dialog der DBU mit den christlichen Kirchen zu sabotieren als ihn zu führen. Es wäre meines Erachtens eine Fehleinschätzung, würde man Dr. Kaltenbrunner Naivität unterstellen. Anders als bislang die DBU haben sich Katholische Bischofskonferenz und EKD sehr deutlich hinsichtlich der Frage des Islam in unserer Gesellschaft positioniert - um Bundesgenossen für eine militante Haltung gegenüber dem Islam wurde da wohl kaum geworben.

Sowohl hinsichtlich der Äußerungen Dr. Kaltenbrunners als auch der aktuell diskutierten von Ole Nydahl selbst (sowie etlicher früherer von ihm) ist eine gründliche und unvoreingenommene Prüfung, ob die Mitgliedschaft der von Ole Nydahl geführten Gemeinschaft in der DBU "das Ansehen oder die gemeinsamen Interessen der DBU schädigt" (§ 3 Nr. 8 der DBU-Satzung) eine meines Erachtens mehr als nur angemessene Reaktion. Aber man muss sich zunächst "in letzter persönlicher Verantwortung" die Frage beantworten: was sollten gemeinsame Interessen der DBU sein? Wobei in dieser Hinsicht scheinbar ja schon der eine oder andere Konsens gefunden wurde:
"Die DBU fördert die Rahmenbedingungen für die Bewahrung, Darlegung und Praxis der Lehre des Buddha auf der Grundlage des Bekenntnisses. Die DBU bildet einen Rahmen für Begegnung und Austausch zwischen den buddhistischen Traditionen. Die DBU fördert die Integration des Buddhismus in die Gesellschaft."
- so steht es in § 2 der Satzung, betitelt mit "Zweck und Ziele des Vereins". Und so steht es im Leitbild der DBU:
"Wir üben uns darin, auf der Grundlage der Lehre des Buddha und unseres „Buddhistischen Bekenntnisses“ zum Wohle aller fühlenden Wesen im Bewusstsein der Verbundenheit und Mitverantwortung des Einzelnen für die Gesamtheit zu leben und zu wirken. In Übereinstimmung mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Menschenrechtskonvention treten wir für die Umsetzung der Menschenrechte und Gerechtigkeit sowie für Gleichheit vor dem Gesetz - ungeachtet ethnischer oder sozialer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Sprache, Religion, Nationalität oder sozialem Status ein."
Das in beiden Zitaten erwähnte "Buddhistische Bekenntnis" enthält unter anderem die für alle Mitglieder verbindliche Selbstverpflichtung, sich in den pañcasīla und den brahmavihāra zu üben:
"Ich übe mich darin, keine Lebewesen zu töten oder zu verletzen, Nichtgegebenes nicht zu nehmen, keine unheilsamen sexuellen Handlungen zu begehen, nicht unwahr oder unheilsam zu reden, mir nicht durch berauschende Mittel das Bewusstsein zu trüben.

Zu allen Lebewesen will ich unbegrenzte Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut entfalten, im Wissen um das Streben aller Lebewesen nach Glück."
Letzlich geht es in der causa Nydahl darum, wie ernst es der DBU mit diesen ihren selbstdefinierten "gemeinsamen Interessen" ist.

"Wenn dieses ist, wird jenes; wenn dieses entsteht, entsteht jenes; wenn dieses nicht ist, wird jenes nicht; wenn dieses aufhört, hört jenes auf." (SN II.12.2)