Samstag, 3. März 2012

Ein paar Tassen Frühling

Pünktlich zum Wochenende hat sich der Winter noch einmal zurückgemeldet; die knapp zweieinhalb Kilometer Luftlinie von meinem Häuschen entfernt liegende Agrarwetterstation kündigt ein feuchtes Wochenende an - und die rückkehrende Sonne wird dann nächste Woche auch keine Wärme, sondern wieder Frost mitbringen. In meinem Vorgärtchen blühen jedoch unverdrossen schon seit einer Woche die Schneeglöckchen und das Mandelbäumchen zeigt zarte Knospen. Den Winter über habe ich mich mit grünem Taiping Hou Kui und mit einem gelben Yunshan Yin Zhen bei guter Teelaune gehalten. Der Yin Zhen war schon im Januar ausgetrunken und vom Hou Kui ist nun nur noch ein trauriger Rest übrig. Zeit also, mit frischem Tee in den Frühling aufzubrechen, trotz des noch sehr herben Wetters. Was wäre dazu besser geeignet, als ein Oolong? Natürlich zwei ... Ich weiss, zur Jahreszeit würde der Yin Zhen besser passen - aber da ist mir das Frühlingsversprechen doch etwas zu zurückhaltend und zögerlich gegeben.



Da ich seit einigen Tagen auch Besitzer eines dieser praktischen koreanischen Teesets bin, die für eine Verkostung so wunderbar geeignet sind, habe ich mich entschlossen, zwei Sorten parallel zu vergleichen - einen Milan Xiang Fenghuang Dan Cong vom chinesischen Festland und einen Pinglin Wenshan Bai Hao aus Taiwan. Das koreanische Geschirr habe ich übrigens weniger aus praktischen Gründen gekauft - aber ich bin von Seladon fasziniert. Nicht nur von koreanischem, auch von den Arbeiten Fritz Rossmanns. Seladon hat nur einen bedauerlichen Nachteil - es lenkt von der Farbe des Tees ab und verfälscht sie. Aber zumindest manchmal kann ich damit leben ...



Nun möchte ich meine ohnehin spärlichen Leser nicht auch noch mit Verkostungsnotizen langweilen - über den Geschmack von Tee oder den Klang von Musik zu schreiben ist wie das Verfassen vorn Pornographie für Eunuchen. Aber ein wenig erzählen über diese Tees darf man schon.

Milan Xiang Fenghuang Dan Cong - ein sehr kompliziert klingender Name, aber es ist damit eigentlich nur halb so wild. 'Milan Xiang' ist mit 'Honigorchideenaroma' zu übersetzen. Der Name bezeichnet den speziellen Kultivar des Teebuschs, der für diesen Oolong verwendet wird und soll natürlich auch schon einmal Phantasie und Erwartungshaltung in Hinsicht der von diesem Kultivar zu erwartenden Ernte beflügeln. 'Fenghuang' wiederum wird gewöhnlich mit 'Phönix' übersetzt und so wird dieser Oolong auch häufig unter der Bezeichnung 'Phönix Oolong' auf dem Weltmarkt angeboten. Nicht notwendig in hoher Qualität, versteht sich - das entscheidende ist hier der Namenszusatz 'Dan Cong', zu Deutsch 'Einzelbusch'. Anders als die große Masse der Phönix-Oolongs stammt dieser also nicht aus Garten- oder gar Plantagenbau, sondern von Einzelbüschen, die an steilen Hängen gepflanzt werden, die 'rationelle' Bewirtschaftungsmethoden gar nicht erst zulassen.

Ein 'Dan Cong' wächst also gewissermaßen halbwild - das Entscheidende ist jedoch, dass hier gar nicht erst auf große Ertragsmengen Wert gelegt wird, sondern auf das Alter der Teebüsche, die im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte zu kleinen Bäumen von vier, fünf Metern Höhe heranwachsen können. Der Effekt auf die Lese ist ähnlich wie bei alten Weinreben - das ausgedehnte Wurzelwerk ist sehr viel besser geeignet, dem Boden Mineralien zu entziehen und so einen Tee mit Charakter zu erzeugen, der Ausdruck seines 'Terroir' ist. Mit zunehmendem Alter der 'Dan Cong' - Pflanzen steigen dann verständlicherweise auch die Preise solcher Tees - und zwar exponentiell. Da also zumindest die preisliche Spannweite ziemlich groß ist, werden die Ernten von besonders alten Büschen dann auch nicht mehr als 'Dan Cong' (Einzelbusch) sondern als 'Lan Cong' (alter Busch) gehandelt. Wobei freilich keinerlei Bestimmungen existieren, ab welchem Alter ein Teebusch tatsächlich 'alt' ist; eine verlässliche Qualitätsgarantie ist die Bezeichnung 'Lan Cong' also nicht ....  Die wirklichen Raritäten kommen natürlich gar nicht erst auf den westlichen Markt, man munkelt von fünfstelligen Preisen (Dollar, versteht sich, nicht Yuan) für ein Kilo. Wer gibt hierzulande schon ein paar hundert Euro für 100g Tee aus - ganz ungeachtet der Frage, wer sich das leisten kann ...

Der Fenghuang (Phönix-Tee) trägt seinen Namen vom Fenghuang-Gebirge, aus dem er stammt - insbesondere von dessen Hauptmassiv, dem Wudongshan in der Präfektur Chaozhou der subtropischen Provinz Huangdong. Er ist weniger bekannt als die berühmten 'Felsentees' vom Wuyishan in der nördlicher gelegenenen Provinz Fujian - und hat daher glücklicherweise auch ein günstigeres Preis-/Qualitätsverhältnis. Der Wuyishan gilt allgemein als Heimat des Oolong, als der Ort, wo diese spezielle Art der Teeverarbeitung entwickelt wurde. Es wird nicht nicht überraschen, dass die Teepflanzer vom Fenghuangshan den gleichen Anspruch erheben - steht doch der mit geschätzten 900 Jahren älteste Teebusch (ein Shuixian-Kultivar) auf dem Wudongshan, während es der älteste Busch am Wuyishan gerade mal auf ca. 400 Jahre bringt. Da auch dieser ein Shuixian ist, kann er durchaus als Same oder Setzling vom Fenghuangshan dorthin gelangt sein.

Der 'klassische' Kultivar für Fenghuang Oolong ist eigentlich der Huangzhi Xiang, doch haben sich in jüngerer Zeit bukettreichere Sorten durchgesetzt - eben Milan Xiang (Honigorchidee) oder auch Qi Lan (seltene Orchidee), Guihua Xiang (Osmanthus), Xinren Xiang (Mandelblüte) und Jianghua Xiang (Ingwerblüte). Dieser sogenannte Qingxiang-Stil ist allerdings durchaus keine Neuerung - der oben erwähnte 900 Jahre alte Shuixian-Busch ist der Archetyp dieser Gruppe (Shuixian = Straussnarzisse). Bei den Wuyi-Oolongs wird bei Tees im Qingxiang-Stil nicht so sehr differenziert, sie werden einfach als Shuixian-Oolongs gehandelt.

Kommen wir nun zum 'Konkurrenten' aus Taiwan, dem Pinglin Wenshan Bai Hao. 'Bai Hao' ('weiße Härchen') bezieht sich auf die kleinen, mit weißem Flaum besetzten Knospen ('tips'), die gemeinsam mit den zwei jüngsten Blättern gepflückt werden. Die Bezeichnung wird auch für den Bai Hao Yin Zhen (also weißen, nicht den oben erwähnten gelben Yin Zhen vom Yunshan) verwendet, wo sie meines Erachtens treffender ist. Vielleicht ist deswegen die Bezeichnung Bai Hao für diesen taiwanesischen Oolong auch etwas aus der Mode gekommen und durch die geläufigere Bezeichnung Dongfang Meiren ersetzt werden - unter der englischen Übersetzung 'Oriental Beauty' wird dieser Tee gewöhnlich auf dem Weltmarkt gehandelt. Wobei (wenn man der einschlägigen Teelegende Glauben schenken darf) es mit der Übersetzung eigentlich umgekehrt richtiger ist - der Name  'Oriental Beauty' soll diesem Tee von Queen Victoria (andere Quellen nennen Elizabeth II.) verliehen worden sein und der wurde dann ins Chinesische übersetzt. Ist es nicht wahr, so ist es doch schön erfunden - wie auch die Legende zu einem anderen Namen dieses Tees, nämlich Pengfeng Cha, was so viel wie 'Angeber-Tee' bedeutet. Das soll sich nun nicht auf die Konsumenten des Tees beziehen, sondern auf den Erfinder dieser Oolong-Spezialität, dessen Nachbarn ihm zunächst keinen Glauben schenken wollten, als er ihnen erzählte, welchen Preis der Großhändler ihm für seinen Tee zahlte. Zumal sein Teegarten unter erheblichem Schädlingsbefall zu leiden hatte - doch dazu später ...

Dieser Mann stammte aus Beipu, einem Distrikt der taiwanesischen Provinz Xinzhu im Nordwesten der Insel mit einem großen Bevölkerungsanteil von Hakka und es ist zumindest sicher, dass der Bai Hao hier seine Heimat hat. Er wird seit geraumer Zeit allerdings auch mit demselben Kultivar (Qingxin Dapong) am Wenshan in der nordwestlichen Provinz Pinglin produziert, womit der Name ' Pinglin Wenshan Bai Hao' erklärt wäre. Xinzhu und Pinglin haben sehr ähnliche Anbaubedingungen - die Höhenlage ist zwar deutlich geringer als bei den im Süden und im zentralen Hochland der Insel produzierten Oolongs, doch dafür gibt es hohe Luftfeuchtigkeit und häufig kühle Nebel. Die Anbaugebiete am Wenshan liegen etwas höher als die in Xinshu und daher sollen die Bai Hao vom Wenshan süßer und blumiger sein als die aus Xinshu - eine Gelegenheit, dies in einem direkten Vergleich zu testen, hatte ich selbst leider noch nicht.

Der Bai Hao hat dem taiwanesischen Trend zu immer zurückhaltender fermentierten Oolongs widerstanden, dem selbst der klassische Dongding aus dem zentraltaiwanesischen Nantou zum Opfer gefallen ist - heute fast immer ein 'grüner' Oolong. Auch hier am Wenshan werden neben dem stark fermentierten Bai Hao (etwa 50-60%) leichte Baozhong (Pouchong-Oolongs) produziert.

Was den Bai Hao noch von den anderen taiwanesischen Oolongs unterscheidet, das ist, dass die optimale Lesezeit nicht der Frühlingsbeginn ist, sondern vielmehr  in der zweiten Juni- und ersten Julihälfte liegt - was sehr spezielle Gründe hat. Der besondere Charakter dieses Tees wird nämlich durch einen Befall mit Insekten hervorgerufen, und zwar einer Art kleiner Zikaden (Chaxiaoluyechan). Die Teebüsche reagieren auf diesen Schädlingsbefall mit der Produktion von Abwehrstoffen (Phytoalexinen), die den Befall allmählich stoppen - und den Geschmack des Tees verändern. Der Zeitpunkt der Pflückung richtet sich also nach der Produktion dieser pflanzeneigenen 'Schädlingsbekämpfungsmittel'. Dass diese Produktionsmethode selbstverständlich den Einsatz von Pestiziden ausschließt, ist ein äußerst erfreulicher (wenn auch kostensteigernder) Nebeneffekt. Tee, der früher oder später im Jahr gepflückt wird und daher diese spezielle chemische Modifikation nicht aufweist, wird zumeist als 'Fancy Oolong' verarbeitet und verkauft.

Dieser 'Trick' der Natur ist übrigens auch im indischen Darjeeling wohlbekannt - dort sind es speziell 2nd-Flush-Tees mit sogenanntem Muskateller-Aroma ('muscatel flavor'), die die höchsten Preise erzielen. Auch hier wird dieses spezielle Aroma durch Insektenbefall hervorgerufen, nur sind es in Darjeeling kleine grüne Fliegen und Thripse (Fransenflügler).

So viel zu den beiden Tees. Über ihre Aromen, ihren Geschmack, wollte ich mich hier ja nicht weiter auslassen - aber ich möchte doch andeuten, welche Resonanz sie in dieser ersten Frühlingsteestunde des Jahres in meinem Herz-Geist erzeugten. Sie war so deutlich, dass ich nicht lange nach der Saite suchen musste, die da mitschwang:

Entflieht auf  leichten Kähnen
berauschten Sonnenwelten
daß immer mildre Tränen
euch eure Flucht entgelten.
Seht diesen Taumel blonder
lichtblauer Traumgewalten
und trunkner Wonnen sonder
Verzückung sich entfalten.
Daß nicht der süße Schauer
in neues Leid euch hülle -
Es sei die stille Trauer
die diesen Frühling fülle.
(Stefan George)