Donnerstag, 30. Juni 2011

Gloria! In! Excelsis! Deo! Halleluja!

"Insofern eine Religion der Menschlichkeit dient, insofern sie in ihrer Glaubens- und Sittenlehre, ihren Riten und Institutionen die Menschen in ihrer menschlichen Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit fördert und sie eine sinnvolle und fruchtbare Existenz gewinnen läßt, ist sie wahre und gute Religion.
Insofern Religion Unmenschlichkeit verbreitet, insofern sie in ihrer Glaubens-und Sittenlehre, ihren Riten und Institutionen die Menschen in ihrer menschlichen Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit hindert und sie so eine sinnvolle und fruchtbare Existenz verfehlen hilft, ist sie falsche und schlechte Religion."

(Hans Küng, Projekt Weltethos)

christlich-buddhistischer Dialog - die Zen-Methode (Clip aus 'Fanshî Dansu' von Masuyuki Suo, 1989)

Das mit dem Eingangszitat umrissene "Humanum als ökumenisches Grundkriterium" ist eine nach meiner Wahrnehmung nicht nur von christlicher Seite ziemlich bereitwillig aufgegriffene Idee Hans Küngs, dessen vorgebliche Tauglichkeit als Grundlage eines interreligiösen Dialogs auf gleicher Augenhöhe mich zu einigen Überlegungen veranlasst hat. Nun bin ich - dies sei vorausgeschickt - beileibe kein Küng-Experte. Ein eingehenderes Studium seiner Auffassungen erschien mir als ein doch etwas zu hartes Brot, schon seit ich ihn in einer Fernsehserie zum Thema Weltreligionen erleben durfte und sowohl Art als auch Inhalt seines Vortrags zeitweise schwer erträglich fand - wobei ich nicht ausschließen will, dass dies vor allem dem Medium anzulasten war. Ich kenne also den Kontext des Zitates nur oberflächlich und habe auch nicht vor, tiefer in diesen Kontext einzudringen. Soweit mein Vorbehalt - mein Kommentar gilt also ausdrücklich einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat. Wie weit Zitat und Kommentar Hans Küngs Denken insgesamt gerecht werden, mögen Kenner seiner Schriften ruhig für sich beurteilen. Ich gedenke nicht, ihnen zu widersprechen.

Nun denn, meine (selbstredend politisch unkorrekte) Meinung: ein schönes Beispiel für ein ideologisches Rückzugsgefecht. Man schmückt sich - die Zeiten haben sich schließlich geändert - gerne mit der Bereitschaft zum interreligiösen Dialog und stilisiert sich zum Vorreiter religiöser Toleranz. Die Mär von der Alleinseligmachenden ist im Laufe der Zeit etwas ranzig geworden und nicht mehr sonderlich gut verkäuflich. Aber so ganz will man dann auf die Differenzierung zwischen 'guten' und 'schlechten' Religionen halt doch nicht verzichten. Wer jetzt nur ein klein wenig weiter denkt, merkt natürlich, auf was das hinausläuft. Es geht ja nicht (mehr) darum, dass eine Religion entweder absolut gut (das dürfte dann allenfalls die eigene sein) oder absolut schlecht ist. Es geht darum, einen Vergleichsmaßstab für Religionen zu definieren. Und dann gibt es halt Religionen, die 'besser' und solche, die 'schlechter' sind. Mithin auch eine 'schlechteste' aber (und vor allem darauf kommt es an) natürlich auch eine 'beste'. Also ich für meinen Teil habe da eine Vermutung, welche Herr Küng für die beste hält ...

Nun wurde dem Katholiken Küng zwar 1979 von Papst Johannes Paul II. die Lehrerlaubnis entzogen - allerdings, weil er Zweifel an der Unfehlbarkeit seines obersten Chefs äußerte und der sich das nicht gefallen lassen wollte. Das angeführte Zitat hingegen sehe ich durchaus konform mit der offiziellen Lehrmeinung seiner Kirche zum interreligiösen Dialog, die ich in einem früheren Blogbeitrag an Hand von Zitaten aus der Enzyklika 'Redemptoris Missio' Johannes' Paul II. umrissen hatte. Ein Text, der im übrigen auf der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils 'Nostra Aetate' aufbaut:
"In unserer Zeit, da sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt und die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich mehren, erwägt die Kirche mit um so größerer Aufmerksamkeit, in welchem Verhältnis sie zu den nichtchristlichen Religionen steht.
[...]
Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist, und nicht selten findet sich auch die Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters. Diese Wahrnehmung und Anerkenntnis durchtränkt ihr Leben mit einem tiefen religiösen Sinn.
Wohlgemerkt: es ist "Wahrnehmung und Anerkenntnis(!)" einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters, die das Leben von "verschiedenen Völkern" mit Sinn "durchtränkt". Entsprechend sinnmäßig ausgetrocknet kann man sich das Leben von Völkern vorstellen, in denen der solche "Anerkennung" frech verweigernde Buddhismus weit verbreitet ist ...

Trotzdem finden sich über Buddhas Lehre auch wohlwollende Worte:
Im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Kultur suchen die Religionen mit genaueren Begriffen und in einer mehr durchgebildeten Sprache Antwort auf die gleichen Fragen. [...]  In den verschiedenen Formen des Buddhismus wird das radikale Ungenügen der veränderlichen Welt anerkannt und ein Weg gelehrt, auf dem die Menschen mit frommem und vertrauendem Sinn entweder den Zustand vollkommener Befreiung zu erreichen oder - sei es durch eigene Bemühung, sei es vermittels höherer Hilfe - zur höchsten Erleuchtung zu gelangen vermögen. So sind auch die übrigen in der ganzen Welt verbreiteten Religionen bemüht, der Unruhe des menschlichen Herzens auf verschiedene Weise zu begegnen, indem sie Wege weisen: Lehren und Lebensregeln sowie auch heilige Riten.
Den ersten Satz sollte man dabei freilich nicht überlesen. Es wird da auf den Aspekt des "Fortschreitens der Kultur" verwiesen, der religiösen Suchern "genauere Begriffe" und "eine mehr durchgebildete Sprache" beschert. Es lässt sich unschwer vermuten, welche Weltreligion da als kulturell besonders begünstigt angesehen wird ... Sicher nicht der Islam, obwohl dieser die jüngste der Weltreligionen ist. Schließlich ist ja auch vom Fortschreiten der Kultur die Rede, nicht der Zeit ...
Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.
Auch das sollte man durchaus cum grano salis lesen: lediglich das, was in nichtchristlichen Religionen "wahr und heilig" ist, wird nicht abgelehnt. Ob damit das gemeint ist, was die Anhänger dieser Religionen selbst für "wahr und heilig" halten oder ob man da doch die eigenen Ansichten darüber zugrunde legt, wird mit beredtem Schweigen übergangen. Anders gesagt - man verdammt heidnische Religionen nicht mehr wie früher in Bausch und Bogen sondern nur noch partiell. Hier lässt sich eine deutliche Verbindung zu Küngs "ökumenischem Grundkriterium" ziehen - auch wenn dies auf den ersten Blick nicht mehr das "Wahre und Heilige" christlicher Provenienz zu sein scheint, sondern ein "Humanum". Wir werden später darauf zurück kommen.
Unablässig aber verkündet sie und muß sie verkündigen Christus, der ist "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat.

Deshalb mahnt sie ihre Söhne, daß sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern."
Es ist insbesondere die hier von den Söhnen der Kirche geforderte "Klugheit", die man als Nichtchrist im interreligiösen Dialog im Hinterkopf behalten sollte - und das den zweiten Absatz einleitende "Deshalb", das auf den Grund der Bereitschaft zu "Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen" verweist, nämlich die im ersten Absatz genannte Verkündigung, also der Missionsauftrag.

Das soll nun selbstredend keine Warnung vor einem solchen Dialog an sich sein - nur davor, sich allzu blauäugig und vertrauensselig darauf einzulassen, also in Unkentnis der Motive des Dialogpartners. Man kann die oben mit den Zitaten aus 'Nostra Aetate' umrissene (und in der Enzyklika 'Redemptoris Missio' ausführlich begründete) christliche Positionierung im interreligiösen Dialog - die an der vorangegangenen christlichen Tradition gemessen immerhin bemerkenswert tolerant ist - auch wesentlich undiplomatischer ausdrücken; etwa so wie es der evangelische Theologe Paul Althaus tat, was verdeutlicht, dass die Sichtweise des II. Vaticanums durchaus keine katholische Spezialität ist:
"Das Wort des Neuen Testamentes über die Religionen ist mehrschichtig und dialektisch. Es sieht im Heidentum Lüge, aber nicht nur Lüge, sondern auch Wahrheit: Flucht und Ferne von dem wahren Gott, aber auch Gehaltensein durch ihn. Dementsprechend muss unsere dogmatische Lehre von den Religionen mehrschichtig und dialektisch sein. [...]

Wir sprechen demgemäß sowohl von dem Wahrheitsgehalte der Religionen wie von ihrer Lüge. Maßstab für beides ist das Evangelium, die in ihm erschlossene Wahrheit über Gott und den Menschen.

Wahrheit tragen die Religionen in sich, sofern sie überhaupt von "Gott" reden, um die Wirklichkeit des "Heiligen" wissen als unterschieden von der Wirklichkeit der Welt. [...] Auch die Abgötter, die Götzen zeugen also von der Wirklichkeit des einen wahren Gottes. Der Mensch hätte keine Götzen, wenn er nicht um Gott wüsste. Er leistete keinen Götzendienst, wenn ihm nicht ins Herz geschrieben wäre, was Gottesdienst ist. Die Entartung geschieht an der Wahrheit. Das Wissen um Gott ist das Apriori aller Religionen."

(Paul Althaus, Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik)
Zurück zu Küng und zur Frage, ob der 'Maßstab', den er im Religionsvergleich anempfiehlt, so wesentlich anders ist als der von Althaus genannte, also die im Evangelium erschlossene "Wahrheit über Gott und den Menschen" bzw. das "Wahre und Heilige" der Erklärung 'Nostra Aetate'. Lassen wir einmal die "Riten und Institutionen" beiseite, so bleibt die Frage, ob "Glaubens- und Sittenlehre" geeignet sind, "menschliche Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit" zu befördern. Was die Sittenlehre angeht, so ist dies zunächst einmal ein erfreulich utilitaristischer Ansatz. Notwendigerweise, denn die transzendente Begründung genuin christlicher Ethik (als auf göttlichem Gebot beruhend) lässt sich auf viele andere Religionen nur schwer (und auf den Buddhismus überhaupt nicht) übertragen. Was die Glaubenslehre angeht - nun, sie ist nun einmal eine Sache des Glaubens. Eine utilitaristische Glaubenslehre ist für einen katholischen Theologen - dies nur nebenbei bemerkt - allerdings schon pikant ...

Gegen eine utilitaristische Sittenlehre / Ethik ist aus buddhistischer Sicht grundsätzlich nicht das Geringste einzuwenden. Für Glaubenslehre, Riten und Institutionen mag gerne Gleiches gelten - auf gut Buddhistisch nennt man das upaya-kausalya, 'geschickte Mittel'. Allerdings sollte man dann natürlich auch das 'wozu' dieses Utilitarismus genau unter die Lupe nehmen. Nochmals: Herr Küng nennt hier als Zweck dieser Ethik, dass sie "Menschen in ihrer menschlichen Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit fördert und sie eine sinnvolle und fruchtbare Existenz gewinnen läßt". Das klingt wirklich sehr schön, ist aber näher besehen nur eine reichlich pompöse Leerformel - ein Beispiel für das, wovon ich eingangs gesagt habe, dass ich es bei Küng gelegentlich schwer erträglich finde. Diese Formel spiegelt vor, dass es einen Konsens darüber gibt, was "menschliche Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit" denn eigentlich ist. Ein solcher Konsens jedoch existiert nicht - und damit ist diese Formel nichts als hohles Wortgeklingel. Diese Meinung - wie schon eingangs geschrieben - unter Vorbehalt. Möglicherweise erklärt ja Küng andernorts für Jeden (d.h. auch Nichtchristen) nachvollziehbar, was die 'Sinnhaftigkeit' des Menschen, seine 'Werthaftigkeit' und seine 'Identität' ist. Ich habe allerdings leise Zweifel daran und denke eher, dass solche Definitionen von "menschlicher Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit" (falls sie sich tatsächlich bei Küng finden sollten) zwar bei Christen Akzeptanz finden dürften, darüber hinaus aber wohl doch nur sehr begrenzt. Anders gesagt: Küngs Wertmaßstab für Religionen beruht auf einer untergeschobenen petitio principii. Der Verdacht, dass dies der christlichen Religion den Rang des Klassenprimus sichern soll, ist nicht ganz von der Hand zu weisen ...

Dienstag, 14. Juni 2011

Sangha

Zu einem (jedenfalls was das eigentliche Thema anging) eher nebensächlichen Aspekt meines letzten Beitrags erhielt ich per eMail eine Nachricht, die mich veranlasst hat, eben diesen Aspekt etwas ausführlicher zu behandeln. Es handelt sich dabei um das Verständnis von Sangha - zur Erinnerung: ich hatte in dem genannten Beitrag geschrieben "Sangha ist nach diesem Verständnis unbegrenzt; niemand ist davon durch einen Glauben, ein Bekenntnis oder einen rituellen Akt gleich welcher Art ein- oder ausgeschlossen, denn Sangha ist der soziale Ausdruck der ausnahmslos allen Wesen innewohnenden Buddhanatur." Insbesondere stellt sich bei diesem 'erweiterten' Sanghabegriff die Frage, wie sich dieser im Zusammenhang mit der dreifachen Zuflucht - der zu Buddha, Dharma und Sangha- darstellt.


Foto: Alicia Pudsey - My Shot

Ich möchte dazu zunächst grob skizzieren, wie sich das spezifische Verständnis von Sangha im Soto-Zen entwickelt hat. Dabei spielt zum einen der Wandel ökonomischer, sozialer und historischer Bedingungen eine Rolle, zum anderen die (davon natürlich nicht wirklich abtrennbare) geistesgeschichtliche Entwicklung des Mahayana.

Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die begriffliche Unterscheidung zwischen vierfacher 'Sangha', also den Vinaya-Ordinierten und den Laienbekennern beiderlei Geschlechts (richtiger: catur-parisad) einerseits, Sangha im engeren Sinne (nur Bhikshus und Bhikshunis) andererseits und schließlich Ariya Sangha (Sangha als Zufluchtsobjekt). Sangha als exklusive Bezeichnung für die nach dem Vinaya ordinierten Frauen und Männer ist dadurch, dass es von seltenen Ausnahmen abgesehen im japanischen Zen (und entsprechend in dessen westlichen Ablegern) keine Bhikshus gibt, weitgehend obsolet geworden. Was den Ariya Sangha angeht, so ist zu beachten, dass dieser sich nach traditioneller Auffassung aus Stromeingetretenen (Sotapanna), Einmal-Rückkehrern (Sakadagamin), Nicht-Rückkehrern (Anagamin) und Erleuchteten (Arhats) zusammensetzt. Kriterium für die Zugehörigkeit zum Ariya Sangha ist also der Grad der Überwindung der zehn Fesseln (samyojana) – nicht die Vinaya-Ordination. Es gibt wohl eine 'institutionalistische' Strömung im Theravada, die der Auffassung ist, die samyojana könnten nur durch Vinaya-Ordinierte überwunden werden. Meines Erachtens steht dies jedoch im Widerspruch zum Palikanon selbst. Zwar gibt es dort Aussagen, als Laienanhänger/in könne man lediglich Bedingungen für eine günstigere Neugeburt schaffen, doch bezieht sich dies eindeutig auf ein 'Minimum' buddhistischer Praxis: Zufluchtnahme, Einhaltung der fünf ethischen Übungspfade und Unterstützung der Ordinierten durch Spenden (dana-Praxis). Hingegen werden auch im Palikanon Laien erwähnt, die die verschiedenen Stufen eines 'ariya puggala' erlangt haben - vom Stromeingetretenen bis zum Arhat (bekanntestes Beispiel ist hier Buddhas Vater Suddhodhana).

Um zur Entwicklung des Sangha-Begriffs im Zen zurückzukehren - dabei spielte zunächst eine wesentliche Rolle, dass in China der Sangha stark abhängig von den Herrschenden war. Die Regierung regulierte den Zugang zum Sangha und alimentierte die Viharas, indem ihnen zu ihrem Unterhalt (vergleichbar den Klöstern im europäischen Mittelalter) Bauern bzw. ganze Dörfer zugewiesen wurden. Dadurch war die auf Dana basierende Symbiose von Laien und Ordinierten empfindlich gestört – man kann mit einiger Berechtigung stattdessen von einem Ausbeutungsverhältnis sprechen. Eine Symbiose nach ursprünglichem indischen Muster war unter den veränderten Bedingungen der "feudalen" Gesellschaft Chinas wohl auch gar nicht möglich.

Das frühe Chan (der chinesische Vorläufer des japanischen Zen) löste dieses Problem, indem durch Klosterregeln körperliche Arbeit zur Verpflichtung gemacht wurde – sogar zu einem Teil der Praxis. Eine zentrale Rolle spielte hier die sog. "Goldene Regel" Baizhangs (720–814). Chan-Klöster wurden so wirtschaftlich weitgehend autark (der Bettelgang wurde freilich nicht gänzlich abgeschafft). Dies wirkte der Ausbeutung der bäuerlichen Bevölkerung entgegen und erwies sich in der großen Buddhistenverfolgung ab 844 als Garant des Überlebens des Buddhadharma in China. Im wesentlichen überstanden die kurze, aber heftige Verfolgungszeit lediglich die Chan-Schule aufgrund ihrer wirtschaftlichen Autarkie und die in der Volksfrömmigkeit stark verankerte Schule des reinen Landes.

Parallel dazu bzw. schon etwas früher entwickelte sich in China das Bedürfnis, das Regelwerk des Vinaya durch einen weiteren Satz Gelübde mit deutlicherer mahayanischer Tendenz zu ergänzen – daraus entstand die Bodhisattva-Ordination nach dem Mahayana-Brahmajala-Sutra. Als dann Saichō die Lehren der damals noch florierenden chinesischen Tiantai-Schule nach Japan brachte, verzichtete die 806 gegründete japanische Tendai-Schule, als sie 822 gegen große politische Widerstände das Recht erhielt, selbst Ordinationen vorzunehmen, ganz auf die Vinaya-Ordination und beschränkte sich auf die Boddhisattva-Ordination einerseits und die Klosterregeln (Shingi) andererseits. In dieser Nicht-Vinaya-Tradition stehen dann auch alle Schulen, deren Gründer in der Kamakura-Zeit aus der Tendai-Schule hervorgingen: Dogen (Soto-Zen), Eisai (Rinzai-Zen), Honen (Jodo), Shinran (Jodo-Shin) und Nichiren (Nichiren-shu). Zumindest in meiner Tradition ziehen wir es daher auch vor, von 'Zen-Priestern' und von einer 'Priesterordination' zu sprechen, statt von 'Zen-Mönchen' und einer 'Mönchs-Ordination'.

Dass dieses 'Verwischen' des Unterschiedes zwischen Laien und Ordinierten ein anderes Verständnis von Sangha bewirkte, leuchtet sicher ein. In der Soto-Zentradition kommt noch hinzu, dass es nicht nur eine Priester-Ordination (shukke tokudo) gibt, sondern auch eine Laien-Ordination (zaike tokudo, jukai), bei der jeweils die gleichen Gelübde empfangen werden.

Eine noch bedeutendere Rolle spielt jedoch das erweiterte Verständnis der drei Juwelen (triratna), also der 'Zufluchtsobjekte' Buddha, Dharma, und Sangha, das sich aus der besonderen mahayanischen Auffassung des Buddha heraus entwickelte. Gemeint ist hier die Trikaya-Lehre; den drei 'Buddhakörpern' entsprechen auch drei hermeneutische Ebenen von 'Dharma' und von 'Sangha'. Dogen – dessen Auffassung der Trikaya-Lehre allerdings kaum als orthodox zu bezeichnen ist - behandelt diese 'mehrschichtige' Auffassung von den Triratna (drei Juwelen, jap. Sambo): vor allem in seiner Schrift Kie Buppōsō Hō (Über die Zufluchtnahme zu Buddha, Dharma und Sangha). Er unterscheidet dort:

"Die drei Juwelen als das, was verweilt und erhalten wird: Statuen und Stupas sind das Buddhajuwel; gelbes Papier auf rotem Stab [die auf Schriftrollen überlieferten Lehrtexte] sind das übertragene Dharmajuwel; Rasieren des Kopfes, Färben von Roben und die niedergelegte Form der Disziplinarregeln sind das Sanghajuwel."

Dieser Begriff von Sangha entspricht offensichtlich dem 'klassischen' Verständnis von Sangha als der Gemeinschaft der Ordinierten.

"Die drei Juwelen als Formen des Lehrens: Shakyamuni, der Weltgeehrte, ist das Buddhajuwel; das Rad des Dharma, das er in Gang setzte und die geheiligten Lehren, die er propagierte sind das Dharmajuwel; die fünf Menschen, Ajnyata Kaundinya und die Anderen, sind das Sanghajuwel."

Diese eigenartige 'Verkürzung' von Sangha auf Buddhas erste Gefährten als konkrete Personen verdeutlicht den historischen, zeitgebundenen Aspekt. Man kann diese fünf ersten Arhats aber sicherlich auch als stellvertretend für den oben erläuterten 'Ariya Sangha' auffassen.

"Die drei Juwelen als Verkörperung der Wahrheit: der fünffache Dharmakörper wird Buddhajuwel genannt; die Wahrheit der Beendung [von Duhkha], absichtsloses Nichtanhaften, wird Dharmajuwel genannt; die Verdienste Lernender und jener jenseits des Lernens sind das Sanghajuwel."

- eine Charakterisierung, die nun von der vertrauten Auffassung von Sangha doch sehr unterschieden ist. Der 'fünffache Dharmakörper' (gobun hosshin) ist im Einzelnen bezogen auf Sittlichkeit/Gelübde (Shila), Versenkung (Dhyana), Weisheit (Prajna), die Befreiung und das Wissen um die Befreiung. Eine nähere Erläuterung dieser "fünf Düfte des Dharmakörpers" findet sich im Plattformsutra (Liuzu Dashi Fabaotan Jing 六祖大師法寶壇經), das die Lehren des 6. Patriarchen Huineng (jap. Daikan Eno, 638 - 713) enthält, gewissermaßen die Gründungsurkunde des Chan. Bei dem Sangha-Aspekt ist hier bemerkenswert, dass nicht auf Personen Bezug genommen wird, sondern auf 'Verdienste' (kudoku). Das mag jemandem, der mit dem mahayanischen Konzept der 'Verdienstübertragung' (wo durch heilsames karmisches Handeln erzeugte Früchte / 'Verdienst' der Befreiung aller Wesen 'gewidmet' werden), nicht vertraut ist, etwas kryptisch erscheinen. Jedenfalls ist hier der Sangha-Begriff prinzipiell schon auf alle fühlenden Wesen ausgeweitet; sie alle sind in die 'Übertragung' von Verdienst, kudoku, die zwischen Erzeuger und Empfänger nicht unterscheidet, mit eingeschlossen. Hier schließt nun Dogen noch eine synoptische Schau dieser drei Aspekte an:

"Die drei Juwelen als ein Körper: Erfahren und Verstehen des großen Zustandes der Befreiung wird Buddhajuwel genannt; Reinheit jenseits jeder Befleckung wird Dharmajuwel genannt; die letzten Prinzipien in Harmonie, Sein ohne Hemmung und Schwinden, wird Sanghajuwel genannt."

Vor allem Ittai-Sambo (die drei Juwelen als ein Körper) enthält den Aspekt von Sangha, auf den ich mich in dem von Ihnen zitierten Absatz bezogen habe. Ittai-Sambo ist ein Fingerzeig auf die Natur der Dinge, wie sie sind, wie sie sich im Erwachen präsentieren - nicht, wie sie dem verblendeten Geist erscheinen.

Interessanterweise identifiziert Dogen hier Reinheit mit dem Dharmajuwel - während der schon oben erwähnte legendäre sechste Patriarch des Zen Daikan Eno (Huineng) im Plattform-Sutra hingegen bei seiner Darstellung der drei formlosen Bekenntnisse (also: der Zufluchtnahme) Reinheit mit Sangha assoziiert. "Formlos" ist das Bekenntnis bzw. die Zufluchtnahme, weil sie sich auf das eigene Wesen bezieht - und 'Sangha' ist dessen Reinheitsaspekt:

"Ich empfehle euch, verehrte Zuhörer, euch zu den drei Kostbarkeiten des eigenen Wesens zu bekennen. Buddha, das ist Erleuchtung. Dharma, das ist Wahrheit. Sangha, das ist Reinheit. [...] Sich im eigenen Geist zu Reinheit bekennen bedeutet, dass auch wenn im eigenen Wesen alle Begierden und verirrten Gedanken vorhanden sind, das eigene Wesen nicht davon befleckt wird."
 Selbstverständlich ist dieses "eigene Wesen" nicht als eine Art 'atman', ein Persönlichkeitskern, eine Art 'Ich-Essenz' misszuverstehen. Dieses eigene Wesen ist vielmehr die erleuchtete Buddhanatur, die wir mit allen Wesen teilen - und die von Begierden und Unwissen unberührt bleibt.