Freitag, 18. Juni 2010

Happy Birthday Oli!



Es ist etliche Jahre her, dass ich auf einem Flohmarkt in einer Grabbelkiste eine CD fand, deren originelles Cover (siehe oben) mir auffiel und die ich nach kurzem Studium des Booklets für wenig Geld kaufte.  Es war das Debutalbum von Oliver Schroer. Ich lernte damit einen Musiker kennen, der nicht nur mich reich beschenkt hat. Heute wäre er 54 Jahre alt geworden; er war ein wenig jünger als ich. Er war nicht nur ein bemerkenswerter Musiker, sondern auch ein bemerkenswerter Lehrer. So, wie ein Zen-Lehrer Gruppen von Zen-Praktizierenden initiiert, rief der Fiddler Oliver mit seinem Projekt 'The twisted Strings' Gruppen von Fiddlern ins Leben - zumeist Gruppen von 8 - 12 jungen Leuten, die seine Musik öffentlich und privat spielen. To go where no fiddlers have ever gone before ...



'Twisted Strings' ist sein wahrscheinlich größtes Geschenk an seine Mitmenschen. Etwas bekannter wurde er, als er sich 2004 mit drei Freunden, seine Geige und ein transportables Aufnahmestudium im Gepäck, zu Fuß auf einen 1000-km-Weg nach Santiago de Compostela machte. Wo immer er eine offene Kirche fand, deren Akustik ihm zusagte, wurde seine Pilgerfahrt zu einer akustischen Wanderschaft mit seiner Geige durch die spezielle Klanglandschaft dieser Kirche. 25 Stationen dieser Reise veröffentlichte er auf der CD 'Camino', sein kommerziell erfolgreichstes Projekt. Hier das Eröffnungsstück 'Field of Stars' - Campo Stella, Compostela.


 


Insgesamt veröffentlichte er 8 Alben unter eigenem Namen, an über 100 Alben anderer Musiker wirkte er mit; auch als Produzent war er erfolgreich. So bemerkenswert wie sein Leben war auch sein Sterben. 2007 wurde bei ihm die Diagnose Leukämie gestellt. Am 5. Juni 2008 gab er sein letztes Konzert, "Oliver's Last Show on His Tour of This Planet". Knapp einen Monat später, am 3. Juli 2008, verließ er diesen Planeten für immer. Seine letzte Komposition 'Poise' ('Gleichgewicht, Haltung') schrieb er am Tag davor ...



Deutsche Übersetzung:
Oliver Schroer: In Anmut vom Leben Abschied nehmen

Der Musiker Oliver Schroer legt seinen 1,98 m großen Körper quer über sein Einzelbett in der Leukämiestation des Princess Margaret Cancer Hospital in Toronto. Er ist umgeben von Computern, CDs, Lautsprechern, Karten und Photos sowie einem beladenen Ständer für Infusionsflaschen. Wie große, undurchsichtige Blätter an einem glänzenden Silberbaum hängen daran Beutel mit Blutkörperchen, Demerol und Flüssigkeiten.

Schroers buschiges Ziegenbärtchen, an die Chemo verloren, ist wieder gewachsen, doch nicht sein Kopfhaar. Er trägt eine rote, sexy-nerd-Brille und einen gestreiften Schlafanzug. Seine Muskelmasse ist wegen der Steroide atrophiert, so sieht er noch schlaksiger aus in diesem kleinen Raum, den er dankbar sein Zuhause nennt.

"Wegen der Anzahl meiner roten Blutkörperchen bin ich praktisch ein Bluter. Wenn ich hier wegginge und mit dem Kopf irgendwo anstoßen würde, könnte ich mir eine Gehirnblutung zuziehen. Also bin ich froh, hier zu sein."

Die Worte "froh" und "hier" passen gewöhnlich nicht zum  Princess Margaret Hospital. Aber Schroer ist kein gewöhnlicher Mann.

Er nimmt den Laptop, auf dem er eine neue CD abmischt, von einem Stuhl so dass ich an seinem Bett sitzen kann. Und dann spricht dieser rätselhafte, geschlagene Mann sachlich über seine tödliche Krankheit und seine Sicht des "Wasserfalls, vor dem wir alle stehen" - Tod.

"Wir sterben alle, weisst du", sagt er, mit entwaffnend stillem Lächeln.

Schroer mag das Sterben nicht fürchten, aber er scheut unproduktives Leben. "Das wird ein anderer Lernprozess sein. Wenn ich nicht klar denken oder Dinge tun kann ... wir werden sehen."

Ich frage ihn, was er glaubt, was geschehen wird, wenn er stirbt. Er antwortet ohne zu zögern.

"In dem Moment, wo wir durch dieses Portal treten, ordnen sich die Dinge neu auf so gründliche Weise, dass es jetzt für uns keinen Sinn ergeben kann. Ich habe das Gefühl dass, in dem Augenblick, wo ich hinübergleite, es einen absoluten Sinn haben wird. Und ich werde nicht zurück schauen."

Die Nacht, bevor ich ihn in seinem Heim im Krankenhaus besuchte, hatte er Ausgang, um seinen 52. Geburtstag im Haus eines Freundes zu feiern. An seinem Geburtstag vor 2 Jahren war er wie ein Komet auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Er hatte gerade seine CD 'Camino' veröffentlicht, mit großem Erfolg bei Kritikern und beim Publikum. 'Camino' wurde 2004 im Laufe zweier Monate produziert, als er und zwei Freunde den Camino de Santiago gingen, eine alte Wanderroute durch Frankreich und Spanien. In Kirchen entlang des Weges spielte Schroer seine Geige.
 Im Januar 2007 wurde er zu dem gewaltigen Celtic Connections Festival in Glasgow eingeladen und spielte dort Musik von der Camino-CD. "Ich fühlte mich ein wenig merkwürdig, aber ich schrieb es den langen Nächten zu und dem, was man in Schottland eben tut: trinken."

Doch als Schroer zurück nach Hause nach Vancouver flog, war er entschlossen, einen Bluttest zu machen. Er dachte sich, er könne früh am Morgen seiner Ankunft zuhause zum Labor fahren. Er war der erste im Wartezimmer. "Mein Arzt rief mich an diesem Tag um 10 Uhr abends zurück" sagt er. "Man möchte, dass Ärzte prompt reagieren. aber doch nicht so prompt."

Man sagte ihm, er habe eine Frühform von Leukämie. Geschockt, las er laut seine Blutwerte der Frau, mit der er zu dieser Zeit zusammenlebte und die zufällig eine auf Leukämie spezialisierte Krankenschwester war, vor. Sie brach in Tränen aus.

Auch wenn er sagt, die Diagnose habe ihn, wie die Schotten es ausdrücken, "gobsmacked", ergab sie auch Sinn für ihn. In den vergangenen sechs Monaten hatte er sich oft dabei ertappt, dass er Dinge sagte wie "ich hatte ein großartiges Leben. Es ist in Ordnung, jetzt zu gehen". Und dann dachte er: "Wow, was ein übler Gedanke ..."

Jetzt kommentiert er: "So, ohne zu denken, es sei mein Fehler, fühlte es sich an, als habe meine ganze Einstellung zum Leben zwangsläufig dazu beigetragen, dort zu sein, wo ich war."

Er entschloss sich zu einigen Veränderungen. Er zog nach Toronto, wo er einen großen Kreis von hilfsbereiten Freunden hat. Und sofort begann er mit der Aufnahme eines neuen Albums, dem berührenden 'Hymns and Hers'.

"Meine Musik wurde mehr zu einer spirituellen Sache - etwas, das von außerhalb meiner selbst kam. Ich wurde zum Kanal für etwas viel größeres. Das hat sich auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgeweitet."

Schroer startete einen Blog, um sich selbst und seiner Umgebung zu helfen, seine Krankheit zu bewältigen. Als er seinen ersten Blogbeitrag absandte, kamen 250 Emails zurück.

"Ich habe es herausgefordert. Aber das sind viele Emails."

Im November, nachdem er nach zwei Runden Chemotherapie und Bestrahlung in Rehabilitation geschickt wurde, kam er auf die Warteliste für eine Knochenmarktransplantation - wie man sagt die aussichtsreichste Methode, Leukämie zu besiegen. Ein anonymer Spender wurde gefunden und getestet, aber dieser Prozess dauerte länger, als irgendjemand vorhergesehen hatte.

Seine Transplantation war für den 2. November angesetzt. Am 1. November entdeckten seine Ärzte, dass die Leukämie zurück war. Die Knochenmarktransplantation wurde abgesagt.

Also gingen seine Ärzte direkt zu dem über, was Schroer den "Sattelschlepper unter den Chemos" nennt. Das Leiden war intensiv, aber in der ganzen Zeit hielt er an dem Gedanken fest "nun, das muss es jetzt erledigen."

Das Endergebnis war fast schlimmer als zu hören, dass es nicht gewirkt hatte. Das Wort war: "ungewiss". Und schließlich sagte sein Onkologe: "Wir können nichts für Sie tun."

Schroer blieb wütend zurück, frustriert, dass sich die Knochenmarktransplantation so lange verzögert hatte, so dass man das Zeitfenster um einen Tag verfehlt hatte. Der Gedanke, dass sie ihn hätte retten können, quälte ihn.

Dann bekannte eine Lieblingskrankenschwester: "Ich bin so glücklich, dass du es nicht getan hast." Eine Transplantation "mäht dich nieder" erinnert er sich, habe sie gesagt. "Du würdest platt auf dem Rücken liegen und massiv leiden. Du hättest dein Konzert oder deine Arbeit nicht machen können. Und wahrscheinlich hätte es ohnehin nicht gewirkt."

Weg war das "wenn nur ...". Gesegnet mit einer von Bedauern unbefleckten Reinheit der Absicht konzentrierte sich Schroer darauf, seine meistgeliebten Projekte zu beenden, sein Vermächtnis von Lehre und Mentorschaft zu festigen und "mein letztes Konzert auf der Erde" aufzuführen.

Das Konzert fand statt am 5. Juni, für ein Stehplatz-Publikum von 800 Menschen.

"Es war vollkommen" sagt Schroer mit einem Seufzen. "Es ließ nichts zu wünschen übrig. Was das Publikum angeht, fühlte es sich spirituell und sehr emotional an."

Schließlich war es ein Abschied.

Eines der schönsten Nebenprodukte des Abends, sagt er, war das Verbundensein der Menschen miteinander und ihre Bereitschaft, sich nicht in Scheu von seinem Tanz mit dem Tod abzuwenden. Er selbst tut es ganz klar nicht.

"Ich könnte verzweifelt den Tod bekämpfen, aber das ändert nicht das Geringste. Ich habe ein starkes Gefühl von Annehmen - in dem Sinne, nicht Gott zu verfluchen oder das Internet nach Heilkräutern zu durchsuchen - und gleichzeitig von Bemühung um mehr Zeit."

Sein Annehmen seines unmittelbar bevorstehenden Todes kommt aus der Art und Weise, wie er gelebt hat.

"Als Künstler habe ich zu meiner eigenen einzigartigen Stimme gefunden und war in der Lage, dieser Stimme öffentlich Ausdruck zu geben. Ich konnte mit verschiedenen wundervollen Musikern zusammenarbeiten. Was will ein Künstler mehr?"

"Ich bin einer dieser hell brennenden Kerle, die alles verfeuern und dann in den Flammen untergehen."


Um es mit dem Namen einer Deiner Kompositionen zu sagen: A Thousand Thank-Yous!




Freitag, 11. Juni 2010

Zazen als buddhistischer Weg - Teil 2

Fortsetzung von Teil 1


Wenn Sie sich schon etwas mit der buddhistischen Lehre beschäftigt haben, dann wissen Sie, dass sie auf ein paar wenigen Voraussetzungen aufbaut und diese dann schrittweise logisch entwickelt. Ich bitte Sie in diesem Fall um Nachsicht, wenn ich Sie mit Altbekanntem langweile. Die gesamte buddhistische Lehre lässt sich in wenigen einfachen Sätzen zusammenfassen - und das gilt für alle buddhistischen Traditionen, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Glauben Sie's oder nicht - der gesamte Buddhadharma passt problemlos auf eine halbe DIN A4 - Seite. Hier - so sieht das aus.



Das ist das sog. Buddhistische Bekenntnis, das die Deutsche Buddhistische Union, der Dachverband der Buddhisten in Deutschland, gemeinsam erarbeitet hat. Ich weiss nicht, ob die DBU hier auf dem Festgelände einen eigenen Stand hat - wenn nicht, bekommen Sie das sicher an einem Stand einer DBU-Mitgliedsgemeinschaft. Schauen Sie sich's mal an.

Auch das hier kann man noch einmal konzentrieren - das Wesentliche steht nämlich hier, in der Mitte: "Ich habe festes Vertrauen zu den edlen vier Wahrheiten: Das Leben im Daseinskreislauf ist letztlich leidvoll. Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung. Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Zum Erlöschen des Leidens führt der edle achtfache Pfad." Von Nummer Vier reden wir hier. Der edle achtfache Pfad, das ist mit "buddhistischer Weg" gemeint. Das ist das, was Buddhisten tun oder worum sie sich doch zumindest bemühen, um Leiden zu überwinden. Das ist die Praxis des Buddhismus. Die anderen drei Wahrheiten - das ist die Theorie, sie geben uns Gründe an die Hand, eine Motivation für die Praxis. Wenn man sie genauer untersuchen und begründen will, dann kommen wir mit so einem kleinem Faltblatt natürlich nicht aus, dazu braucht es schon ein wenig mehr. Ein lebenslanges Studium erst einmal, zum Beispiel. Deswegen spreche ich darüber heute, in dieser halben Stunde, nicht, so interessant das natürlich ist. Mein Thema heute ist der buddhistische Weg, die buddhistische Praxis im Soto-Zen.

Ich möchte jetzt nicht alle acht Teilaspekte des edlen achtfachen Pfades durchdeklinieren und im Einzelnen erläutern; man hat sie auch schon recht früh zu drei verschiedenen Übungsfeldern zusammengefasst: Weisheit, Sittlichkeit und Klären des Geistes – oder anders: Entwicklung von Erkenntnis und Verstehen, Entfaltung ethisch korrekten Verhaltens und geistige Schulung. Wir dürfen ohnehin nicht den Fehler begehen, die acht Aspekte des edlen achtfachen Pfades oder Weisheit, Sittlichkeit und Klären des Geistes für voneinander getrennte Felder der Praxis zu halten, die jeweils für sich existieren, für sich isoliert beackert werden. Es ist auch nicht so, dass diese Aspekte des buddhistischen Weges Stufen sind, die aufeinander aufbauen. Dass man sich also z.B. zunächst einmal um ein ethisch tadelloses Verhalten bemüht, dass dies die Voraussetzung für eine geistige Vervollkommnung durch Meditation und Achtsamkeit ist, die dann wiederum zu Weisheit, zu rechter Erkenntnis führt. Das wäre ein Missverständnis. Vielmehr greifen Weisheit, Sittlichkeit und Klären des Geistes ineinander, gehen ineinander über, bedingen und verstärken sich wechselseitig - oder behindern sich, wenn ein Bereich in der Entwicklung zurück bleibt.

In der chinesischen buddhistischen Tradition hat man diesen Dreiklang 'Sangaku' genannt, 'dreifaches Studium' - denn man hat die Entwicklung von Weisheit, Sittlichkeit und Klären des Geistes mit dem Studium der drei Abteilungen des Tripitaka, also des überlieferten Korpus buddhistischer Lehrschriften, identifiziert. Weisheit war aus dieser Sicht eine Sache des Intellekts, war Schulung des Verständnisses durch Studium der Kommentare, der Shastras, des Abhidharma. Sittlichkeit ist - so verstanden - die Entwicklung heilsamen Verhaltens, insbesondere auch heilsamen sozialen Verhaltens, mit Hilfe des Studiums des Vinaya, also der buddhistischen Ordensregel. Klären des Geistes schließlich, geistige Schulung, wurde mit dem Studium der Sutren und deren Ergründung identifiziert. Ganz offensichtlich eine ziemlich verkopfte Angelegenheit …

Nun - es konnte nicht ausbleiben, dass diese Sicht, dieses Konzept vom buddhistischen Weg, das uns heute eher an einen konfuzianischen Beamten-Gelehrten denken lässt als an einen buddhistischen Wegsucher, von Vielen als unbefriedigend, als inadäquat empfunden wurde. Vielleicht erinnern Sie sich noch, was ich vorhin darüber gesagt habe, was für ein untaugliches Mittel Worte sind, um auch nur eine zutreffende Vorstellung von authentischer buddhistischer Praxis zu entwickeln. Das wird nicht dadurch besser, wenn man diese Worte in den Sutren, Shastras und im Vinaya sucht. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich will das Studium der Schriften durchaus nicht abwerten. Zen steht nicht außerhalb der Sutren - es ist nicht wirklich eine Überlieferung "außerhalb der Schriften". Es ist eine Überlieferung ohne Wort und Schrift, eine Überlieferung direkt von Herz zu Herz, die in den Schriften jedoch Förderung und Bestätigung findet. Das ist kein Gegensatz; die Sutras sind vollkommener Ausdruck des buddhistischen Weges. Doch sie sind eben nicht der Weg selbst und ohne den Weg erlangt zu haben, sind sie nur Worte auf Papier, nicht mehr.

Gewissermaßen als Gegenbewegung zu dem formalistischen Schriftenstudium, dem dreifachen Studium Sangaku, betonte das chinesische Zen etwas, das als 'Muso Sangaku' bezeichnet wurde. Als 'dreifaches Studium ohne Form'. Ich will jetzt schon die Pointe vorwegnehmen und verraten, was dieses 'formlose dreifache Studium' ist: es ist nichts Anderes als Zazen.

Um dies zu verstehen, müssen wir uns erst einmal darüber klar werden, was der buddhistische Weg, die buddhistische Praxis bewirkt und wie sie es bewirkt. Erinnern wir uns kurz an die zweite und dritte edle Wahrheit, die ich vorhin erwähnt habe: Gier, Hass und Verblendung sind Ursachen von Leiden, das durch das Erlöschen dieser Ursachen überwunden wird. Der Sinn des buddhistischen Wegs ist also das Erlöschen von Gier und Hass - der Grundantriebe des Daseins, die wir in moderner Diktion, in Anlehnung an das Vokabular der Psychoanalyse, auch als Lust und Unlust bezeichnen können, die wiederum aus Verblendung entstehen, aus Unkenntnis über unsere wahre Natur und über die Folgen unseres Handelns.

Wir sprechen hier von Klesha, 'Trübungen'. Oder Bonno, um den japanischen Ausdruck zu nennen. Das Erwachen, das Buddha Shakyamuni erfuhr, war die völlige und restlose Auflösung dieser Trübungen und damit aller ihrer Folgen. Lassen Sie mich, um diesen Punkt klar zu machen, statt der traditionellen Metapher Klesha oder 'Trübungen' ein anderes Bild verwenden: Verzerrungen. Was Buddha erlangte, als er unter dem Bodhibaum erwachte, das war seine wahre Gestalt, frei von jeglichen Verzerrungen. Insofern hat er nicht wirklich etwas erlangt – es ist Alles von Anfang an bereits da gewesen.

Es gibt durch die buddhistische Praxis nichts zu gewinnen – tut mir leid, wenn ich Sie da enttäuschen sollte. Sie dient vielmehr dazu, zu verlieren. Alle Verzerrungen zu verlieren und damit zur wahren, unverzerrten Gestalt zurück zu finden. Diese wahre, unverzerrte Gestalt ist es, die wir karmisch verformen. Das heisst, durch willentliches Handeln mit Körper, Geist und Sprache verzerren. Dieses willentliche Handeln wiederum ist angetrieben und motiviert durch blinde Triebe, durch Gier und Hass, durch Lust und Unlust.

Kommen wir auf den Ausdruck 'Trübungen' zurück, Klesha oder Bonno. Es scheint nahezuliegen, hier von 'Trübungen des Geistes' zu sprechen - aber das trifft es nicht ganz. Der Geist - eben dieser Geist ist das Getrübte. Lösen sich die Trübungen auf, bleibt der klare Spiegel des Geistgrundes. Aber das ist nur ein Wort für etwas, das jenseits aller Worte ist. Ehrlich gesagt - ich führe Sie hier an der Nase herum, weil ich mir einfach nicht anders helfen kann.

Andererseits - der große Zenlehrer Daikan Eno, der als sogenannter 6. Patriarch des Zen in China um 700 u.Z. eine ganz entscheidende Rolle spielte bei dem, was ich gerade als Gegenbewegung zum formalistischen Schriftenstudium Sangaku bezeichnet habe, benutzte ebenfalls diesen Begriff 'Geistgrund' und darüber hinaus sprach er vom 'eigenen Wesen', um einem Fragenden zu veranschaulichen, was das 'formlose dreifache Studium', was 'muso sangaku' eigentlich ist. Ich möchte ihn hier zitieren:

"Die Lehre, die ich darlege, ist nicht getrennt vom eigenen, ursprünglichen Wesen. Wenn eine Lehre vom ursprünglichen Wesen getrennt dargelegt wird, dann ist es eine formale Lehre. So eine Lehrweise lässt einen das eigene ursprüngliche Wesen aus den Augen verlieren. Man muss wissen, dass alle Zehntausend Erscheinungen das Wirken des eigenen Wesens sind. Das ist die wahre Lehre der Gleichheit von Sittlichkeit, Klären des Geistes und Weisheit.

Stets das eigene ursprüngliche Wesen schauen (es natürlich manifestieren) bedeutet, dass das eigene Wesen an sich Buddha ist. Der Geistgrund ohne Irrtümer ist Sittlichkeit des eigenen Wesens, also die Ethik, mit der das eigene Wesen von Anfang an ausgestattet ist. Der Geistgrund ohne Torheit ist Weisheit des eigenen Wesens. Der Geistgrund ohne Wirrnis ist der geklärte Geist des eigenen Wesens."

Das zeigt uns nun auch ein vielleicht etwas überraschendes Verständnis des buddhistischen Weges auf. Der buddhistische Weg ist nicht ein Mittel, ein Werkzeug, das zum Erwachen führt. Er ist vielmehr die wahre, ursprüngliche, unverzerrte Gestalt des Erwachens, seine Form. Wenn wir es personalisieren wollen: der Erwachte. Buddha und der Weg des Erwachens sind eins. Im Vakkali Sutta, das sich im Palikanon findet, spricht Buddha: "Wer den Dharma sieht, der sieht mich; wer mich sieht, der sieht den Dharma! Wahrlich, den Dharma sehend, sieht man mich; mich sehend, sieht man den Dharma."

Das Üben des buddhistischen Weges ist also das Einüben in das Verkörpern des Dharma, es ist das Einnehmen der Gestalt Buddhas. Es ist - wie der große Lehrer Dogen, der im 13. Jahrhundert die Tradition des Soto-Zen nach Japan brachte, ausdrückte, das 'Tun Buddhas', Butsugyo. Das bedeutet natürlich auch, dass wir selbst Buddha sind. Schlampige Buddhas, verformte, verzerrte Buddhas, die unter ihrer Missgestalt leiden. Die Gestalt des Erwachten im Erwachen ist sitzender Buddha. Zazen ist das Einnehmen dieser Gestalt, Zazen ist sitzender Buddha. Ich hatte es schon zu Beginn gesagt: Zazen ist keine Meditation, ist kein Samadhi, kein Dhyana, kein Smrti oder Sati. Kein Klären des Geistes. Alles dies AUCH – aber nicht NUR. Zazen ist der vollständige achtfache Pfad, ist Manifestation des Geistgrunds ohne Irrtümer, ohne Torheit, ohne Verwirrung. Ist Sittlichkeit, Weisheit, Klären des Geistes. Sitzender Buddha.

Das klingt sehr einfach – und das ist es auch. Wir können Buddha unmittelbar folgen, weil wir selbst Buddha sind. In seiner Schrift 'Yuibutsu Yobutsu' - 'Nur von Buddha zu Buddha' - vergleicht Dogen dieses 'Folgen' mit dem Zug der Vögel:

"Ein Wagen, der einen schlammigen Weg passiert, und ein Pferd auf dem Feld sind leicht zu verfolgen, weil sie klar unterscheidbare Spuren hinterlassen. Ein Vogel benötigt solche Spuren jedoch nicht, um den Vögeln zu folgen, die bereits davongezogen sind.

Das ist prinzipiell das gleiche, wie dem buddhistischen Weg zu folgen. Die Buddhas sind sich all der Buddhas bewusst, die ihnen vorangingen, kleiner, großer und weniger bekannter Buddhas. Nur Buddhas können Buddhas erkennen. […] 'Nur die Buddhas allein besitzen das Buddha-Auge. Ohne dieses Auge kann der Weg weder gesehen noch erkannt werden.' ....

Wenn wir diesen Weg gesehen haben, sollten wir ihn als Standard nehmen, um unseren eigenen Weg daran zu messen. Ein Vergleich dieser Art eröffnet tieferes Verständnis der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden .... Nur durch Klären der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, können wir Einblick in die Abdrücke unseres eigenen Weges gewinnen. Wenn wir sie erkannt und verstanden haben, sollten wir den Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, mit unserem ganzen Körper und Geist folgen. Das ist das buddhistische Dharma."

Buddha mit unserem ganzem Körper und Geist folgen - das ist Zazen. Weil wir Buddha sind, müssen wir dazu nichts tun. Nur uns hinsetzen, nichts sonst. ....

Nun - um ehrlich zu sein, ganz so einfach ist das nun doch wieder nicht. Unsere Verzerrungen und Verformungen loszuwerden, ist ähnlich schwierig wie eine seit langer Zeit angewöhnte körperliche Fehlhaltung zu korrigieren. Um wirklich NUR zu sitzen – dem Sitzen nichts hinzuzufügen, nichts wegzulassen - bedarf es schon einiger Übung. 'Nichts wegzulassen' ist vielleicht noch schwieriger, als nichts hinzuzufügen, also sich nicht Tagträumen und Fantasien hinzugeben, Gedanken nachzuhängen. 'Nichts wegzulassen' bedeutet, nichts auszuschließen, sich nicht abzuschotten. Also kein Rückzug, keine 'Versenkung', sondern absolute Offenheit. So offen, als wollte man den sprichwörtlichen Sack Reis in China umfallen hören. Kommen lassen und annehmen, was kommt und wie es kommt. Klänge, Gerüche, Gefühle, Gedanken … nichts abweisen. Dabei aber auch nichts ergreifen, festhalten, an nichts anhaften – das, was kommt, wieder gehen lassen, vergehen lassen. Heiter-gelassenes Widerspiegeln ohne Verzerrungen, ohne Trübungen. Ohne Widerstand, ohne ein Tun. Die Dinge so sein lassen, wie sie sind. Einfach nur Sitzen. Dann wird man auch selbst zu dem, was man wirklich ist. Nicht mehr, nicht weniger.

Noch einmal Meister Dogen:

"Was man das Ergründen des Buddhaweges nennt, ist das Ergründen des Selbst. Was man das Ergründen des Selbst nennt, ist das Vergessen des Selbst. Was man das Vergessen des Selbst nennt, ist Aufgehen im Bezeugen der Erwachens durch die zehntausend Dinge. Was man Bezeugen des Erwachens durch die zehntausend Dinge nennt, ist das Ineinander-Aufgehen von Körper und Geist des Selbst und Nicht-Selbst, wenn sie sich lösen und abfallen".

Auch, wenn uns dies zu Beginn vielleicht sehr schwer fällt - die Übung des Zazen ist trotzdem immer vollständig. UNSERE Übung mag mangelhaft sein – aber Zazen ist nicht UNSERE Übung. Zazen ist immer sitzender Buddha. Suzuki Roshi, von dem ich die Anekdote zu Beginn meines Vortrages erzählt habe, hat einmal gesagt: "Wenn Eure Übung nicht gut ist, seid ihr amseliger Buddha. Ist sie gut, dann seid ihr guter Buddha. Und 'armselig' und 'gut' sind selbst Buddhas." Wenn Sie täglich Zazen üben, dann wird Zazen nicht nur zum Zentrum Ihrer buddhistischen Praxis, dann wird Zazen zum Zentrum Ihres Lebens, es durchdringt ihr Leben und transformiert es. Das alltägliche Leben, der alltägliche Geist, wird buddhistische Praxis, wird zum buddhistischen Weg. Dann ist Ihre religiöse Praxis keine äußerliche, formale Praxis – nicht etwas, was von Ihnen selbst getrennt ist und zu dem sie sich gelegentlich bequemen. Sondern dann manifestiert sich in Ihrem alltäglichen Handeln und Nicht-Handeln auf vollkommen natürliche Weise mehr und mehr, Schritt für Schritt, Sittlichkeit, Weisheit und ein klarer Geist – weil Sie immer wieder zu Ihrer eigentlichen, wahren Natur zurückfinden und Sittlichkeit, Weisheit und ein klarer Geist die Form dieser wahren Natur ist.


Zazen als buddhistischer Weg - Teil 1

Es ist nun schon einige Wochen her, dass in Hamburg das sehr schöne Vesakh-Fest in den Großen Wallanlagen stattgefunden hat. Auf Einladung lieber Dharmafreunde war ich mit dem Zug dorthin gefahren und durfte bei dieser Gelegenheit einen Vortrag halten, dessen Transkript nun seitdem auf meiner Festplatte auf eine Bearbeitung für diesen Blog wartete. Wegen anderer Verpflichtungen wurde nichts daraus und nun, wo das Wetter endlich der fortgeschrittenen Jahreszeit angemessen ist, habe ich eigentlich keine Lust mehr dazu. Also habe ich  mich entschlossen, lediglich die Einleitung, in der es um das Motto des diesjährigen Hamburger Vesakh-Festes ging ("Buddhas Wege sind vielfältig"), wegzulassen und setze den Text ansonsten so hier herein, wie er ist. Leider ein wenig lang - ich bitte um Nachsicht dafür. Ich mache mal zwei Teile daraus - um Ihnen Gelegenheit zu einer Teepause zu geben, falls sie sich tatsächlich entschließen sollten, diesen ganzen Sermon zu lesen ...

Shunryu Suzuki in Zazen

Alle buddhistischen Traditionen haben ihre eigenen 'geschickten Mittel' - man muss eigentlich nur noch entscheiden, welches dieser Mittel für einen selbst das geschickteste ist. Welcher Deckel auf den eigenen Topf passt.

Nun, der Deckel, über den ich hier sprechen soll und darf, ist die Zen-Tradition, genauer das Soto-Zen - eine der beiden großen Zentraditionen, die aus Japan zu uns in den Westen gekommen sind. Darüber zu sprechen ist gar nicht so einfach, denn die Zentradition hat ihre Wurzel nicht in einem Text, einem Sutra oder einem Schriftenkorpus, worüber ich hier einfach referieren könnte. Nach unserer Überlieferung stand am Ursprung der Zentradition etwas ganz anderes - ein Lächeln ... ich erzähle Ihnen mal kurz unsere 'Gründungslegende': In einer Versammlung der Sangha, der buddhistischen Gemeinschaft auf dem Geierberg bei Rajgir hielt Buddha eines Tages, statt wie sonst üblich eine Lehrrede zu halten, wortlos eine Blume zwischen den Fingern und zeigte sie der Menge. Niemand wusste etwas damit anzufangen - nur Kashyapa konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. So wurde Kashyapa zum ersten Patriarchen des Zen in Indien. Nun ja ... was soll man zu so einer Geschichte schon groß sagen, außer, dass sich da offensichtlich ein wortloses Verstehen vollzieht? Was nun aber da verstanden wird - machen Sie sich selbst einen Reim darauf.

Wo also soll ich anfangen, über Zen zu sprechen? Ich möchte Ihnen stattdessen eine kleine Anekdote erzählen, die dieses Mal sogar historisch verbürgt ist. Sie handelt von Shunryu Suzuki, einem Sotopriester, der 1959 nach San Francisco kam, um die dortige japanische Gemeinde zu betreuen. Zu dieser Zeit entwickelte sich in den USA ein großes Interesse an Zen und bald hatte Suzuki mehr Beatniks und ungewaschene Hippies als seriöse japanische Geschäftsleute in seiner Gemeinde. Sehr viel mehr. Als Suzuki dann 1971 starb, war er einer der wichtigsten Übermittler von Zen für den Westen geworden. Es gibt eine kleine Sammlung von Vorträgen von ihm, seit 35 Jahren auch in deutscher Übersetzung und immer wieder neu aufgelegt. Sie heisst 'Zengeist - Anfängergeist'. Es gibt eine Unmenge von neuzeitlichen Büchern über Zen und jedes Jahr kommen neue hinzu. 'Zengeist - Anfängergeist' ist eines der ganz wenigen, die zu lesen sich wirklich lohnt.

Jedenfalls - dieser Shunryu Suzuki wurde eines Tages von der Stanford Universität gebeten, dort einen Vortrag über Zen zu halten. Eine große Ehre natürlich - Stanford ist schließlich keine dubiose kleine Klitsche, sondern eine der weltweit im Ranking führenden Universitäten. Nun, Suzuki kam in das Auditorium, legte sein Zafu, sein Sitzkissen, auf den Boden und verbeugte sich davor. Dann setzte er sich darauf und erklärte dem Publikum, dass man beim Zazen den Rücken aufgerichtet und gerade hält, die Ohren in einer Linie mit den Schultern, die Nase senkrecht über dem Bauchnabel. Die Hände formen vor dem Bauch ein Mudra, die Augen werden halb geschlossen, so dass nicht zu viel Licht eindringt und sie sind auf einen Punkt auf dem Boden etwa einen Meter vor dem Sitzenden gerichtet. Dann saß Suzuki Roshi. Er saß etwa eine Stunde lang. Dann stand er auf, verbeugte sich, nahm sein Kissen und ging. Wie zahlreich sein Publikum zu diesem Zeitpunkt noch war, ist nicht überliefert ...

Ich habe es mir verkniffen, heute dasselbe zu machen. Das wäre ja auch nicht sehr originell und ich bin weit entfernt davon, mich mit Suzuki Roshi vergleichen zu können. Wobei es natürlich gar nicht um Originalität geht oder sogar darum, sein Publikum zu verblüffen oder mit bizarrem Verhalten zu irritieren. Was wir aber jetzt machen können - wir können uns fragen, was uns dieser wortlose Vortrag über Zen eigentlich zu sagen hat. Und das ist, näher betrachtet, schon eine ganze Menge.

Zunächst einmal - Zen hat offensichtlich nichts mit Ideen, Theorien, Dogmen zu tun, über die man reden kann. Es ist vielmehr etwas Praktisches, ein Tun. Nämlich das Ausüben von Zazen - womit wir nun auch endlich beim Thema dieses Vortrags angelangt wären. Wobei das – der Primat der Praxis, des praktischen Tuns - grundsätzlich natürlich keine Spezialität von Zen ist, das gilt für Buddhas Lehre allgemein. Es geht da ja nicht um Glauben, um Philosophie, um Weltanschauung. Es geht ganz konkret um praktische Lebensführung. Die Inder nannten und nennen dies Yoga - wenn Ihnen das vielleicht etwas mehr sagt. Es geht um Tun, um Übung - und im Zentrum dieses Tuns steht für Zen-Praktizierende eben die Übung des Sitzens, Zazen.

Natürlich sind auch um Zen im Laufe der Jahrhunderte viele Worte gemacht worden und ich selbst füge da ja heute etliche mehr oder weniger sinnvolle noch hinzu. Aber das alles hat mit Zen eigentlich gar nichts zu tun. Wir können es problemlos weglassen, alle diese Worte können zu Zen nichts hinzufügen und - wenn wir sie vergessen oder ignorieren - von Zen nichts wegnehmen. Das Einzige, was unverzichtbar ist, weil Zen dann eben kein Zen mehr wäre – und was völlig ausreicht, genügt, weil es Zen ganz und gar beinhaltet, ist die Zenpraxis, ist Zazen.

Der zweite Punkt hängt mit dem ersten ganz eng zusammen, wird aber in unserer Anekdote nicht ganz so deutlich. Zen ist keine geistige Übung. Zen und auch Zazen ist keine Meditation, das wäre ein ganz großes Missverständnis. Zen ist eine Übung mit Geist UND Körper, ist eine Übung von ungetrenntem Körper und Geist. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt bei der Praxis von Zen - der Körper ist unmittelbarer Ausdruck des Geistes, der Geist unmittelbarer Ausdruck des Körpers. Die körperliche, physische Gestalt von Zazen und seine geistige Gestalt sind nicht voneinander zu trennen. Das unterscheidet es sehr von dem üblichen Verständnis religiöser Übung und auch vom üblichen Verständnis von Meditation als einer rein mentalen Angelegenheit.

Damit kommen wir jedoch auch zu dem Punkt, der an Shunryu Suzukis wortkargem Vortrag zu kritisieren wäre. Er hat seinem Publikum Zen gezeigt, demonstriert - was natürlich schon ein gutes Stück mehr ist als das, was ich hier tue, nämlich über Zen nur zu reden. Sein Sitzen, sein demonstratives Zazen, ist um vieles klarer, deutlicher, ein-deutiger als alles, was man mit Worten sagen kann. Und trotzdem ist es unbefriedigend, weil es den geistigen Aspekt, von dem ich eben gesprochen habe, sehr viel weniger deutlich macht als den körperlichen. Niemand kann sich an einem vorgezeigten Stück Brot satt essen, niemand, dem man ein Stück Kuchen zeigt, weiss damit auch, wie es schmeckt. Insofern war das, was Suzuki Roshi da getan hat, ziemlich sinnlos - jedenfalls, so weit es sein Publikum angeht. Wenn auch nicht ganz so sinnlos, wie mein Gerede hier ... denn ich kann Ihnen natürlich erzählen, wie der Kuchen schmeckt. Aber davon haben Sie auch nicht mehr, als wenn ich ihn Ihnen zeige. Eher weniger ...

Worauf ich hinaus will, ist natürlich Folgendes: wenn Sie heute abend nach Hause gehen und denken, sie hätten heute etwas über Zen und Zazen gelernt, nur weil sie jetzt gerade hier sitzen und mir zuhören, dann irren sie sich. Man lernt nichts über Zen durch Zuhören und auch nicht durch Zusehen. Man lernt, indem man Zazen sitzt. Deswegen meine Bitte - gehen Sie nachher, um halb drei, in das Zelt der Stille und üben Sie gemeinsam mit uns ein wenig Zazen. Wenn Sie stattdessen lieber hier einen Vortrag hören möchten - was ich natürlich verstehen kann, denn es kommen noch sehr interessante Vorträge - dann fassen Sie sich ein Herz und kommen Sie demnächst am Montag abend oder am Mittwoch abend in die Beisserstraße zur Buddhistischen Gesellschaft Hamburg und sitzen dort Zazen. Oder suchen Sie sich eine andere Gemeinschaft, in der Zazen geübt wird. Ansonsten vergeuden Sie hier nur Ihre Zeit - Sie erfahren hier von mir nicht wirklich etwas über Zen und Zazen. Was es da zu erfahren gibt, müssen Sie schon selbst herausfinden, indem Sie Zazen üben. Sorry, anders geht es nicht.

Nun rede ich schon eine ganze Weile und habe vieleWorte darauf verwandt, nur um Ihnen zu erklären, dass ich Ihnen eigentlich nichts zu sagen habe, weil es wenig Sinn macht, über Zen und Zazen zu reden. Ungeachtet der ganzen Bibliotheken, die man mit Literatur über Zen füllen könnte. Aber da wir nun schon einmal hier beisammen sind und ich noch etwas Zeit habe, könnten wir die Sache vielleicht einfach einmal von einer anderen Seite angehen.

Mein Vortrag heute war mit dem Titel angekündigt 'Zazen als buddhistischer Weg'. Ich möchte das als Gleichung verstanden wissen - NICHT 'Zazen als EIN buddhistischer Weg', sondern 'Zazen als DER buddhistische Weg'. 'Zazen' ist gleich 'buddhistischer Weg'. Das soll nun natürlich nicht bedeuten, dass die Praxiswege anderer buddhistischer Traditionen KEIN buddhistischer Weg wären. Nein, Zazen ist der buddhistische Weg, wie er in der Tradition des Soto-Zen gegangen wird. Auch wenn man korrekter sagen müsste, der Weg wird gesessen … Insofern ist es berechtigt, hier - also im Kontext der Soto-Tradition - von einer Gleichung zu sprechen.

Wenn wir nun über Zazen - die eine Seite der Gleichung - nicht wirklich sprechen können, dann können wir vielleicht über das sprechen, was auf der anderen Seite des Gleichheitszeichens steht. Sprechen wir also über den buddhistischen Weg. Was wäre darunter zu verstehen?


Was hat es mit Zazen denn nun wirklich auf sich?
Wird SoGen irgendwann noch einmal auf den Punkt kommen?
Blickt er selbst noch durch? Werden wir erleuchtet?

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