Mittwoch, 19. September 2012

Epidemische Dummheit

Ich weiss ja nicht, ob sie zumindest den Trailer des Films 'Innocence of Muslims' / 'Die Unschuld der Muslime' bereits gesehen haben. Mehr kenne ich von dem Film selbst auch nicht - wobei diese knapp 14 Minuten schon nur schwer durchzuhalten und mit Sicherheit die abschreckendste Werbung für einen Film waren, die ich je gesehen habe. Ein wahres Monument menschlicher Niedertracht und Dummheit. Ich mag diesen Müll nicht auf meinem Blog einbetten, aber wer es noch nicht kennt und sich ein eigenes Urteil bilden möchte, findet ein deutsch untertiteltes Video hier: http://www.youtube.com/watch?v=zx-j8lzx6dQ

Erstaunlicherweise wurde in einem Internetforum, das ich frequentiere, dieses Machwerk tatsächlich mit Monty Pythons 'The Life of Brian' verglichen, einer intelligent gemachten und äußerst amüsanten Religionssatire, in der übrigens Jesus selbst (bzw. ein Jesusdarsteller) nur einen Kurzauftritt hat. Sogar eine Sprechrolle, wobei der (durchaus hintergründige) Witz dabei allerdings ist, dass man von den ersten Sätzen abgesehen (einem wörtlichen Zitat aus der Bergpredigt) gar nicht versteht, was er eigentlich sagt ... Jedenfalls gab dieser ziemlich schiefe Vergleich (bei dem auch geflissentlich übersehen wurde, wie scharf seinerzeit 'The Life of Brian' von christlichen Kreisen angegriffen wurde) Anlass zu der noch schrägeren Frage, ob Christen denn humorvoller seien als Muslime. Mit Recht wurde daraufhin auf das jüngste Meme verwiesen: #muslimrage, ein Twitter-hashtag (vgl. z.B. hier und hier). Auslöser war nicht unmittelbar der Film, sondern der Aufmacher der US-amerikanischen Zeitschrift Newsweek zu den Reaktionen auf den Film - insbesondere die Schlagzeile und das zugehörige Bild. Jawohl, genau so schaut er aus, der typische Muselmann:


Es ist natürlich völlig richtig, dass jegliche grobschlächtige Pauschalisierung à la 'Muslime verstehen einfach keinen Spass' oder 'Muslime haben weniger Humor als Christen' schlicht und einfach dümmlich ist. Fast wäre ich versucht zu sagen, schon allein danach zu fragen, ob dem so ist, sei es ebenfalls. Das Problem dabei ist natürlich wieder einmal, dass die Muslime insgesamt - also etwa 1,5 Milliarden Menschen - verantwortlich gemacht werden für eine verhältnismäßig kleine Gruppe Radikaler. Oder umgekehrt eine kleine Fraktion von Wirrköpfen stellvertretend für sämtliche Muslime präsentiert wird. Genau das ist es, was auch der Newsweek-Titel suggeriert und was man mit Fug und Recht 'Dummheit' nennen kann: eine undifferenzierte, grob simplifizierende und verallgemeinernde Sicht auf die Dinge, die notwendig zu Fehlurteilen und damit zu dysfunktionalem Handeln führt. Auf Seiten des islamistischen Mobs wie auf Seiten derer, die diesen Mob mit adäquat schlichtem Geist mit Muslimen insgesamt gleichsetzen. Auf eine buddhistische Formel gebracht: Falsche Sicht + Falsche Absicht + Falsches Handeln = duhkha, Leiden.

Diese Art Dummheit feiert ja nicht nur in der Bildzeitung oder in Newsweek fröhliche Urständ (und natürlich erst recht beim islamistischen Pöbel), sehr viel bedenklicher ist ihre Virulenz in den Kreisen derer, die den politischen Kurs bestimmen. Wobei man da dann auch ruhig spekulieren kann, wie weit solche Dummheit nicht nur aus populistischen und demagogischen Gründen vorgetäuscht wird und durchaus intelligentere, wenn auch moralisch zweifelhafte Zielsetzungen kaschiert.

Natürlich ist es die erfreulichste Reaktion, wenn auf diskriminierende Pauschalisierungen nicht mit Hass und Gewalt, sondern mit Spott und Satire reagiert wird, wie es etwa mit dem Mem #muslimrage geschieht. Eine solche Reaktion kann freilich nicht die kritische Analyse ersetzen - und wenn dann beispielsweise in einem microblog der Mob, der ausländische Botschaften stürmt und Menschen ermordet - einschließlich eines ausländischen Botschafters - verharmlost wird als Leute, die "fools of themselves"  machen, dann zeugt auch das von Dummheit in nicht gerade geringem Ausmaß. Immerhin sind die Zeiten, wo die Ermordung eines Botschafters völkerrechtlich als legitimer Grund für eine Kriegserklärung angesehen wurde, noch nicht allzu lange Vergangenheit. Im Vergleich dazu spielen ein unfreiwillig albernes Titelblatt einer Zeitschrift und selbst ein stümperhaft produzierter hetzerischer Amateurfilm (man vergleiche einmal die perfide Brillianz und handwerkliche Perfektion etwa von Veit Harlans 'Jud Süß' mit diesem Machwerk) einfach in einer anderen Liga. Bei allem Respekt und aller Achtung vor den Muslimen, die dem Islam-bashing in unseren Medien humorvoll begegnen, sollte man nicht übersehen dass der Islam eine Religion mit Absolutheitsanspruch ist und damit seinen Anhängern - proportional zu ihrer Gläubigkeit und umgekehrt proportional zu ihrer Intelligenz - das Begründungsmuster für aggressive Intoleranz liefert. Nicht, dass eine solche Korrelation von Intelligenz und Gläubigkeit zwangsläufig wäre, das möchte ich ausdrücklich nicht unterstellen - nur, wenn sie besteht, dann wird es bedenklich.

Natürlich besteht in dieser Hinsicht keinerlei Unterschied zwischen Islam und Christentum. Der Unterschied besteht lediglich darin, in welchem Ausmaß die Gesellschaft, in der Angehörige der jeweiligen Religion die Mehrheit stellen, aggressive religiöse Intoleranz duldet. Der allmähliche Rückgang religiöser Intoleranz in den westlichen Gesellschaften in den letzten drei Jahrhunderten ist nun wahrlich nicht einer Weiterentwicklung oder Reifung des Christentums zuzuschreiben, sondern vielmehr dem von den christlichen Kirchen erbittert bekämpften Prozess der Aufklärung; das Potential dazu ist nach wie vor latent vorhanden. Der Aufklärungsprozess ist in den islamisch geprägten Gesellschaften noch in einem frühen Stadium, aber er vollzieht sich in einem deutlich größerem Tempo als dies in den westlichen Gesellschaften der Fall war. Nicht zuletzt dies sowie die Parallelität dieses Prozesses mit der Integration in eine kapitalistische supranationale Weltwirtschaftsordnung (die dummerweise gleichgesetzt werden) ist eine der wesentlichen Ursachen für die Gewaltsamkeit der Gegenreaktion religiöser Fundamentalisten. Wogegen diese Menschen kämpfen, das sind rasante (und durchaus nicht uneingeschränkt begrüßenswerte) Entwicklungen in der eigenen Gesellschaft, für die in altbewährter Weise die Schuld bei äußeren Feinden gesucht wird - eben "dem Westen" (auch so ein unpräziser Pauschalbegriff, der ebenso diffamatorisch instrumentalisiert wird wie "der Islam").

Die politische Reaktion "des Westens" (um den eben benannten Begriffsmissbrauch aufzugreifen) auf diese Entwicklung ist in großen Teilen ebenfalls mit 'Dummheit' gut beschrieben. Insbesondere die Politik der USA in Afghanistan, im Iran und im arabischen Raum sind nur weitere Etappen auf dem "March of Folly", den die Historikerin Barbara Tuchman in ihrem gleichnamigen Buch (Deutsch: Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam) so entlarvend beschrieben hat, auch wenn sie (meines Erachtens euphemisierend) von der historischen Kraft von "unwisdom as distinct from stupidity" schreibt. Wie schon seinerzeit in Afghanistan wird heute in Syrien die Zerstörung eines  (zweifellos brutalen und undemokratischen) laizistischen Staates durch islamistische Söldner wohlwollend gefördert und durch publizistisches Sperrfeuer in amerikanischen und europäischen Medien abgesichert. Die Aussicht auf die absehbaren und heute schon spürbaren blutigen Konsequenzen etwa für die Alawiten und die Christen Syriens werden ignoriert. Es wird dort aller Voraussicht nach in Folge der Beseitigung des laizistischen Regimes zum selben Ausbluten (und diesen Ausdruck sollte man hier wörtlich nehmen) der christlichen Gemeinden kommen wie im Irak. Christen werden mittlerweile von der syrischen Armee zum Selbstschutz bewaffnet, da die Armee ihren Schutz vor den "Aufständischen" nicht mehr leisten kann. Und der Westen wird für seine Unterstützung bei den  syrischen "Freiheitskämpfern" - die meisten von ihnen wären zutreffender als Söldner Qatars und Saudi-Arabiens zu bezeichnen - dieselbe Dankbarkeit ernten wie beim Mob in Benghazi oder bei dem durch die CIA geförderten "Befreier" Afghanistans von den Sowjets - Osama Bin Laden. Was die syrische Opposition nun allerdings nicht daran hindert, über die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Filmchen und die Reaktionen darauf erfahren, recht unglücklich zu sein, weil sie sich nun um die ihnen gebührende Aufmerksamkeit der Medien und damit den Ertrag ihrer geschickten Öffentlichkeitsarbeit geprellt sieht. Vielleicht ist "Unschuld der Muslime" ja heimlich durch Assads Geheimdienst finanziert? Wir werden auch hier die Wahrheit (also das tatsächliche Motiv für die Produktion des Films) wohl nie erfahren und dumm sterben - wenn auch nicht ganz so dumm, wie es das Zielpublikum des Films (sowohl die Fans wie die leicht zu provozierenden militanten Filmkritiker) offensichtlich ist ...

Und immer wenn man denkt, der Irrwitz wäre nicht mehr zu steigern, dann kommt natürlich in Berlin ein Vollhorst in Amt und Würden daher wie nun der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag Johannes Singhammer (CSU) und quatscht eminent dummes Zeug. Herr Singhammer will also die Gelegenheit der Kontroverse um das Recht zur öffentlichen Aufführung dieses dämlichen amerikanischen Hetzfilmchens nutzen, um den Versuch aus dem Jahr 2000 zu wiederholen, mit einer Neufassung von § 166 StGB die Grundrechte auf Freiheit von Kunst und Wissenschaft sowie auf Meinungsfreiheit zu beschneiden.

Man braucht wahrlich kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, dass die verletzten Ehrgefühle von Muslimen so ziemlich das letzte ist, was die CSU bzw. Herrn Singhammer da umtreibt. Offensichtlich geht es vielmehr darum, religiösen Gemeinschaften (und man liegt wohl kaum mit der Vermutung verkehrt, dass die CSU da vor allem an eine ganz bestimmte, nichtmuslimische Gemeinschaft denkt) in unserem Staat zukünftig weniger Duldsamkeit zuzumuten, wenn Bürger ihre Grundrechte nach Art. 5 GG in Anspruch nehmen. Damit wurde nun der öffentliche Diskurs zum Thema 'Blasphemie' völlig erwartungsgemäß auf die politische Ebene gehievt - erinnern wir uns, dass diese Debatte unlängst von dem Schriftsteller Martin Mosebach eröffnet wurde - der damit (außer sich selbst) wohl nochmals in Erinnerung bringen wollte, wie sehr sich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung bei der Wahl des Preisträgers des Georg-Büchner-Preises im Jahr 2007 vergriffen hat. Natürlich erntete Mosebach umgehend Zustimmung offizieller Kirchenvertreter wie z.B die des Bamberger Bischofs Ludwig Schick - insbesondere die katholische Kirche betrachtet ja spätestens seit Salman Rushdie und den Morddrohungen wegen der Mohammed-Karikaturen den islamischen Glaubenseifer mit Neid und sieht wohl die Zeit für einen kultur- und gesellschaftspolitischen Rollback gekommen. Weniger ernst gemeint aber dafür um so lesenswerter war die Zustimmung des Schriftstellers Ingo Schulze zu Mosebachs Thesen. Ernster zu nehmen (jedenfalls, was die Intention angeht) war hingegen die im Vergleich zu Mosebach etwas substantiellere Argumentation des päpstlichen Leibphilosophen Robert Spaemann - auch wenn ich den Verdacht habe, dass Spaemann vordringlich auf seine alten Tage die These seines Vaters vom "gesunkenen geistigen Grundwasserspiegel der katholischen Kirche" exemplarisch belegen wollte.

Da zeigt sich eine unheimliche Allianz von Gegnern des 'Projekts Aufklärung' in Ost und West, von Abwehrkampf im Osten und Reconquista im Westen, von Taliban dort und Katholiban hier. Die einen mobilisieren die muslimischen Frömmler mit ihren antiwestlichen Ressentiments, die anderen den konservativen Urnenpöbel mit seiner Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung und den guten alten Zeiten, wo man schon einmal einen Schriftsteller wie etwa Ludwig Thoma sechs Wochen in den Knast steckte, wenn er es mit dem Humor übertrieb. Ein strunzdummes Video, das sowohl der erbärmlichen intellektuellen Kapazität wie auch der moralischen Verkommenheit seiner Macher ein überdeutliches Zeugnis ausstellt wird für einen Moment nicht nur zum Motor der Welt- sondern auch der deutschen Innenpolitik. Wie üblich folgt auf das Trauerspiel unweigerlich die Farce.