Montag, 18. April 2011

Der Bonze und der Chinese

Der Preis fürs Kommen eines Heiligen ist, dass Tausende äußerst Unheiliger mit ihm kommen. (Ko Un)


Wenn es interessieren sollte - auf den Brief, mit dem ich die Vertreter der Zaltho Sangha e.V. gebeten hatte, sich bei Claude AnShin Thomas für eine Distanzierung von "Thich" Thien Son und dem von ihm geleiteten Unternehmen einzusetzen, ist keinerlei Reaktion erfolgt. Nun ist eine Bitte eine Bitte - ob sie erfüllt wird, liegt nicht beim Bittsteller, weswegen mir das auch keine schlaflosen Nächte bereitet. Es kann immer gute Gründe geben, einer Bitte nicht zu entsprechen - auch wenn meine Fantasie in diesem Fall nicht ausreicht, mir solche auszudenken. Nun ja - vielleicht geht das ja nicht nur mir so ...

Eine Bitte jedoch schlicht zu ignorieren halte ich weder für ein gelungenes Beispiel für Verwirklichung der Bodhisattva-Gelöbnisse noch für das auch von Claude AnShin Thomas propagierte "deep listening".




Wie auch immer - zumindest hatte sich an dem Brief eine, wie ich finde, recht interessante Diskussion im Webforum der DBU entzündet. Dabei war es wohl kaum zu vermeiden, dass sich die Diskussion auch mit verschiedenen problematischen Aspekten mehr oder weniger bekannter buddhistischer Lehrer beschäftigte und wie angemessen damit umzugehen ist. Zumindest für mich war dabei bemerkenswert, dass offensichtlich auch hier im Westen eine gar nicht so seltene Bereitschaft existiert, in Bezug auf buddhistische Lehrer problematisches Verhalten auszublenden oder doch zumindest achselzuckend hinzunehmen - ein Reaktionsmuster, das man eher als typisch für Asien anzunehmen geneigt wäre (sicher eine nicht ganz gerechtfertigte Pauschalisierung).

Eine Ursache für solche Nachsichtigkeit (hier im Sinne einer der Kurz- und Weitsichtigkeit durchaus verwandten Wahrnehmungsschwäche) ist sicher ein großes Harmoniebedürfnis (wer hat das nicht ...) und eine häufig daraus resultierende Konfliktscheu. Wobei sich das selbstverständlich auch positiv formulieren lässt: skrupulöser Umgang mit Sprache im Sinne von 'Rechter Rede' - da ist Schweigen durchaus nicht selten  (nur eben nicht immer, so einfach ist es nicht) die angemessenere, heilsamere Alternative. Zumindest ist man damit auf der sicheren Seite, oder man glaubt es doch wenigstens zu sein. Nur ist es dann freilich auch nicht ganz konsequent, auf durchaus kritikwürdiges Verhalten nach dem Muster der drei Affen zu reagieren, gegenüber Kritikern solchen Verhaltens jedoch diese Nachsicht nicht in gleichem Maße zu üben. Da vermutet der Kritiker vielleicht nicht ganz zu Unrecht als treibende Kraft doch eher ein Bedürfnis nach Ruhe und Frieden als danach, Anderen die lobenswerte Praxis 'Rechter Rede' näher zu bringen. Und die Ermahnungen, mit denen er bedacht wird, klingen ihm irgendwie einfach nach "Pssssst ..... - bitte nicht stören".

Aber eigentlich soll es hier und heute um etwas Anderes gehen - nämlich um die grundsätzliche Frage, was es mit den Meistern eigentlich auf sich hat. Offensichtlich gibt es auch unter den so aufgeklärten westlichen Buddhisten ein großes Bedürfnis nach dem 'perfekten Meister' und eben dieses Bedürfnis macht den Kalyanamitra (den älteren, reiferen Freund und Weggefährten) zu einer Projektionsfläche der spirituell Bedürftigen. Das auf ihn projizierte Bild verdeckt den Menschen, der der Meister ist und bleibt - und wenn dieser Mensch gelegentlich durch das Bild lugt wie des Antisthenes Eitelkeit durch die Löcher seines Mantels, wird die dadurch entstehende kognitive Dissonanz gerne ausgeblendet. Genau das ist die Geschäftsgrundlage von Scharlatanen und Bauernfängern, so alt wie Religion selbst. So schrieb ich in der oben verlinkten Forumsdiskussion unter anderem über das Kritisieren problematischen Verhaltens:
Es vervollständigt lediglich das Bild des erleuchteten Meisters - jedenfalls für die, die es vorziehen, nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt zu laufen. So etwas schraubt die Meister auf ein menschliches Maß zurück - und Menschen sind und bleiben sie. Dass dieses menschliche Maß bei manchen dann überraschend klein ausfällt - das liegt nicht an dem, der genauer hinschaut.

... um dann noch einen Rat hinzuzufügen, der - ich muss es gestehen - nicht ganz unbeabsichtigt eine Spitze gegen einen gewissen Typus von "Dharma-Prominenz" enthält:

Im großen und ganzen ist man gut beraten, sich einen Lehrer oder eine Lehrerin zu suchen, dessen öffentlich herumgetragene Ikone nicht ganz so strahlend und überlebensgroß ist. Da ist die Differenz zum menschlichen Maß geringer. Und das liegt nach meiner Erfahrung häufig nicht nur an der nicht ganz so glanzvollen Ikone - sondern auch am jeweiligen menschlichen Maß.

Zwei sehr schöne Beispiele für solche "Ikonen" und die Art und Weise, wie sie "herumgetragen" werden, liefert der sehr lesenswerte, letzten Monat von Stuart Lachs veröffentlichte Artikel 'When the Saints Go Marching In' , der sich mit einem Phänomen beschäftigt, das man im Westen eigentlich als der Vergangenheit angehörig vermutet hätte, das jedoch gerade im Bereich Buddhismus allgemein und Zen speziell fröhliche Urständ feiert: dem der Hagiographie. Für dieses Fremdwort gibt es auch ein durchaus geläufiges deutsches: Legende. Legendenbildungen haben in aller Regel nur sehr wenig mit der Realität zu tun. So inspirierend Legenden sein können - was wir im Westen brauchen, sind mehr Menschen aus Fleisch und Blut, die den Dharma durch die Zeiten und Länder tragen und weniger Legenden. Stuart Lachs ist für die, die sich eingehender mit Problemen der Inkulturation speziell von Zen im Westen beschäftigen, kein unbekannter Name. Auf dieser auch sonst sehr empfehlenswerten Webseite finden sich noch weitere Arbeiten von ihm.

Falls sich nun der Eine oder Andere fragt, was das nun alles eigentlich mit dem Titel zu tun hat - gemach. Als ich gestern unter meinen Büchern nach einer Bettlektüre stöberte, fiel mir ein fast vergessenes Werk in die Hände; ein Mitbringsel aus einem lange zurückliegenden Kurztrip nach Paris. Ich war Zivildienstleistender und um Geld zu sparen schliefen ich und meine beiden Mitreisenden die paar Stunden, in denen es sich nicht vermeiden ließ, zu dritt im Auto. Immerhin hatte ich 88 Francs (der handgeschriebene Preiszettel dient immer noch als Lesezeichen) übrig für das Buch 'Fables et Symboles' des Erzokkultisten Eliphas Lévi, "ou sont révélés les grands secrets de la direction du magnétisme universel et des principes fondamenteaux du grand oeuvre".

Nun - all die dort geoffenbarten "großen Geheimnisse der Lenkung des universellen Magnetismus und der Grundprinzipien des Großen Werks" haben mich schon vor über 30 Jahren nicht sonderlich erleuchtet - aber die Fabel vom Bonzen (von Jap. 凡僧 bonsō, 'gewöhnlicher Mönch') und dem Chinesen (Livre II, Fable V) sowie die zugehörige Erläuterung fand ich gestern doch so anregend, dass ich sie zur Konvenienz des geehrten Publikums übersetzt habe:

Der Bonze und der Chinese

Ein alter Bonze verließ betrunken das Haus,       
und da ist er nun, auf öffentlichem Platz,       
macht singend, taumelnd, grimassierend Rabatz,   
und streckt den Leuten die Zunge heraus.
Da kommt ein Chinese vorbei und lacht
und der alte Bonze lallt aufgebracht:
- verzieh dich, du Scheusal von einem Heiden
ein finsteres Los wird deine Seele erleiden.
Nicht nur verhöhnst du den gebrechlichen Alten
Du spottest auch des Himmels, dem ich diene!
Ich kann, spricht der nun mit lachender Miene,
wohl Zecher und Pfaff' auseinander halten.
Nicht göttliche Tugend rötet dir das Gesicht
Und dein Trinken berauscht die Unsterblichen nicht.
Respekt den Altären und den Göttern
doch alte Säufer gehören den Spöttern.

Der Kaiser Konstantin sagte: Würde ich einen Priester sehen, der eine schändliche Tat begeht, würde ich meinen Purpur über ihn breiten, um ihn zu verbergen. Das ist ein übles Mittel, da dieser Purpurstoff ihn noch bemerkbarer machen würde. Aber in dem Priester gibt es zwei sehr verschiedene Dinge: den Diener Gottes und den Menschen. Der Diener Gottes ist makellos; doch der Mensch ist um so zerbrechlicher als seine Verpflichtungen strenger sind. Das der Menschheit auferlegte Priesteramt, das ist ein Geistlicher rittlings auf einem Esel. Wenn es einen Skandal gibt, dann ist es nicht der Geistliche, der Übles tut, es ist der Esel des Geistlichen, der durchgeht. War es also dieser Esel, dem Konstantin die Ehre seines kaiserlichen Mantels erweisen wollte?
Man sagt, die Priester hätten die Bartholomäusnacht gemacht. Nein, das sind nicht die Priester, das sind die Menschen, und zwar bösartige. Die Priester, die wie solche handeln, stellen sich zwischen die Opfer und die Henker. Das wäre, als würde man sagen, die Philosophie, die Vernunft und die Menschlichkeit hätten die Septembermorde gemacht.
Und - da ich kein großer Nachdichter bin, für die Frankophonen die Fabel nochmals im Original:

Le Bonze et le Chinois

Un vieux bonze un jour s'enivra,
Et le voilà sur une place,
Chantant, se dandinant et faisant la grimace,
Tirant langue et caetera.
Un Chinois qui passait alors se prend a rire;
Et le vieux bonze de lui dire:
- Va t'en, monstre d'impiété,
Ou prépare ton âme au sort le plus sinistre.
Non content d'insulter à ma caducité,
Tu te moques du ciel dont je suis le ministre.
- Halte là! répond le rieur,
Et ne confondons pas le prêtre et le buveur;
Ce n'est pas la vertu qui te rougit la trogne.
Crois-tu donc en buvant griser les immortels?
Ne puis-je respecter les dieux et leurs autels,
Et me moquer d'un vieil ivrogne!