Freitag, 11. Juni 2010

Zazen als buddhistischer Weg - Teil 1

Es ist nun schon einige Wochen her, dass in Hamburg das sehr schöne Vesakh-Fest in den Großen Wallanlagen stattgefunden hat. Auf Einladung lieber Dharmafreunde war ich mit dem Zug dorthin gefahren und durfte bei dieser Gelegenheit einen Vortrag halten, dessen Transkript nun seitdem auf meiner Festplatte auf eine Bearbeitung für diesen Blog wartete. Wegen anderer Verpflichtungen wurde nichts daraus und nun, wo das Wetter endlich der fortgeschrittenen Jahreszeit angemessen ist, habe ich eigentlich keine Lust mehr dazu. Also habe ich  mich entschlossen, lediglich die Einleitung, in der es um das Motto des diesjährigen Hamburger Vesakh-Festes ging ("Buddhas Wege sind vielfältig"), wegzulassen und setze den Text ansonsten so hier herein, wie er ist. Leider ein wenig lang - ich bitte um Nachsicht dafür. Ich mache mal zwei Teile daraus - um Ihnen Gelegenheit zu einer Teepause zu geben, falls sie sich tatsächlich entschließen sollten, diesen ganzen Sermon zu lesen ...

Shunryu Suzuki in Zazen

Alle buddhistischen Traditionen haben ihre eigenen 'geschickten Mittel' - man muss eigentlich nur noch entscheiden, welches dieser Mittel für einen selbst das geschickteste ist. Welcher Deckel auf den eigenen Topf passt.

Nun, der Deckel, über den ich hier sprechen soll und darf, ist die Zen-Tradition, genauer das Soto-Zen - eine der beiden großen Zentraditionen, die aus Japan zu uns in den Westen gekommen sind. Darüber zu sprechen ist gar nicht so einfach, denn die Zentradition hat ihre Wurzel nicht in einem Text, einem Sutra oder einem Schriftenkorpus, worüber ich hier einfach referieren könnte. Nach unserer Überlieferung stand am Ursprung der Zentradition etwas ganz anderes - ein Lächeln ... ich erzähle Ihnen mal kurz unsere 'Gründungslegende': In einer Versammlung der Sangha, der buddhistischen Gemeinschaft auf dem Geierberg bei Rajgir hielt Buddha eines Tages, statt wie sonst üblich eine Lehrrede zu halten, wortlos eine Blume zwischen den Fingern und zeigte sie der Menge. Niemand wusste etwas damit anzufangen - nur Kashyapa konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. So wurde Kashyapa zum ersten Patriarchen des Zen in Indien. Nun ja ... was soll man zu so einer Geschichte schon groß sagen, außer, dass sich da offensichtlich ein wortloses Verstehen vollzieht? Was nun aber da verstanden wird - machen Sie sich selbst einen Reim darauf.

Wo also soll ich anfangen, über Zen zu sprechen? Ich möchte Ihnen stattdessen eine kleine Anekdote erzählen, die dieses Mal sogar historisch verbürgt ist. Sie handelt von Shunryu Suzuki, einem Sotopriester, der 1959 nach San Francisco kam, um die dortige japanische Gemeinde zu betreuen. Zu dieser Zeit entwickelte sich in den USA ein großes Interesse an Zen und bald hatte Suzuki mehr Beatniks und ungewaschene Hippies als seriöse japanische Geschäftsleute in seiner Gemeinde. Sehr viel mehr. Als Suzuki dann 1971 starb, war er einer der wichtigsten Übermittler von Zen für den Westen geworden. Es gibt eine kleine Sammlung von Vorträgen von ihm, seit 35 Jahren auch in deutscher Übersetzung und immer wieder neu aufgelegt. Sie heisst 'Zengeist - Anfängergeist'. Es gibt eine Unmenge von neuzeitlichen Büchern über Zen und jedes Jahr kommen neue hinzu. 'Zengeist - Anfängergeist' ist eines der ganz wenigen, die zu lesen sich wirklich lohnt.

Jedenfalls - dieser Shunryu Suzuki wurde eines Tages von der Stanford Universität gebeten, dort einen Vortrag über Zen zu halten. Eine große Ehre natürlich - Stanford ist schließlich keine dubiose kleine Klitsche, sondern eine der weltweit im Ranking führenden Universitäten. Nun, Suzuki kam in das Auditorium, legte sein Zafu, sein Sitzkissen, auf den Boden und verbeugte sich davor. Dann setzte er sich darauf und erklärte dem Publikum, dass man beim Zazen den Rücken aufgerichtet und gerade hält, die Ohren in einer Linie mit den Schultern, die Nase senkrecht über dem Bauchnabel. Die Hände formen vor dem Bauch ein Mudra, die Augen werden halb geschlossen, so dass nicht zu viel Licht eindringt und sie sind auf einen Punkt auf dem Boden etwa einen Meter vor dem Sitzenden gerichtet. Dann saß Suzuki Roshi. Er saß etwa eine Stunde lang. Dann stand er auf, verbeugte sich, nahm sein Kissen und ging. Wie zahlreich sein Publikum zu diesem Zeitpunkt noch war, ist nicht überliefert ...

Ich habe es mir verkniffen, heute dasselbe zu machen. Das wäre ja auch nicht sehr originell und ich bin weit entfernt davon, mich mit Suzuki Roshi vergleichen zu können. Wobei es natürlich gar nicht um Originalität geht oder sogar darum, sein Publikum zu verblüffen oder mit bizarrem Verhalten zu irritieren. Was wir aber jetzt machen können - wir können uns fragen, was uns dieser wortlose Vortrag über Zen eigentlich zu sagen hat. Und das ist, näher betrachtet, schon eine ganze Menge.

Zunächst einmal - Zen hat offensichtlich nichts mit Ideen, Theorien, Dogmen zu tun, über die man reden kann. Es ist vielmehr etwas Praktisches, ein Tun. Nämlich das Ausüben von Zazen - womit wir nun auch endlich beim Thema dieses Vortrags angelangt wären. Wobei das – der Primat der Praxis, des praktischen Tuns - grundsätzlich natürlich keine Spezialität von Zen ist, das gilt für Buddhas Lehre allgemein. Es geht da ja nicht um Glauben, um Philosophie, um Weltanschauung. Es geht ganz konkret um praktische Lebensführung. Die Inder nannten und nennen dies Yoga - wenn Ihnen das vielleicht etwas mehr sagt. Es geht um Tun, um Übung - und im Zentrum dieses Tuns steht für Zen-Praktizierende eben die Übung des Sitzens, Zazen.

Natürlich sind auch um Zen im Laufe der Jahrhunderte viele Worte gemacht worden und ich selbst füge da ja heute etliche mehr oder weniger sinnvolle noch hinzu. Aber das alles hat mit Zen eigentlich gar nichts zu tun. Wir können es problemlos weglassen, alle diese Worte können zu Zen nichts hinzufügen und - wenn wir sie vergessen oder ignorieren - von Zen nichts wegnehmen. Das Einzige, was unverzichtbar ist, weil Zen dann eben kein Zen mehr wäre – und was völlig ausreicht, genügt, weil es Zen ganz und gar beinhaltet, ist die Zenpraxis, ist Zazen.

Der zweite Punkt hängt mit dem ersten ganz eng zusammen, wird aber in unserer Anekdote nicht ganz so deutlich. Zen ist keine geistige Übung. Zen und auch Zazen ist keine Meditation, das wäre ein ganz großes Missverständnis. Zen ist eine Übung mit Geist UND Körper, ist eine Übung von ungetrenntem Körper und Geist. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt bei der Praxis von Zen - der Körper ist unmittelbarer Ausdruck des Geistes, der Geist unmittelbarer Ausdruck des Körpers. Die körperliche, physische Gestalt von Zazen und seine geistige Gestalt sind nicht voneinander zu trennen. Das unterscheidet es sehr von dem üblichen Verständnis religiöser Übung und auch vom üblichen Verständnis von Meditation als einer rein mentalen Angelegenheit.

Damit kommen wir jedoch auch zu dem Punkt, der an Shunryu Suzukis wortkargem Vortrag zu kritisieren wäre. Er hat seinem Publikum Zen gezeigt, demonstriert - was natürlich schon ein gutes Stück mehr ist als das, was ich hier tue, nämlich über Zen nur zu reden. Sein Sitzen, sein demonstratives Zazen, ist um vieles klarer, deutlicher, ein-deutiger als alles, was man mit Worten sagen kann. Und trotzdem ist es unbefriedigend, weil es den geistigen Aspekt, von dem ich eben gesprochen habe, sehr viel weniger deutlich macht als den körperlichen. Niemand kann sich an einem vorgezeigten Stück Brot satt essen, niemand, dem man ein Stück Kuchen zeigt, weiss damit auch, wie es schmeckt. Insofern war das, was Suzuki Roshi da getan hat, ziemlich sinnlos - jedenfalls, so weit es sein Publikum angeht. Wenn auch nicht ganz so sinnlos, wie mein Gerede hier ... denn ich kann Ihnen natürlich erzählen, wie der Kuchen schmeckt. Aber davon haben Sie auch nicht mehr, als wenn ich ihn Ihnen zeige. Eher weniger ...

Worauf ich hinaus will, ist natürlich Folgendes: wenn Sie heute abend nach Hause gehen und denken, sie hätten heute etwas über Zen und Zazen gelernt, nur weil sie jetzt gerade hier sitzen und mir zuhören, dann irren sie sich. Man lernt nichts über Zen durch Zuhören und auch nicht durch Zusehen. Man lernt, indem man Zazen sitzt. Deswegen meine Bitte - gehen Sie nachher, um halb drei, in das Zelt der Stille und üben Sie gemeinsam mit uns ein wenig Zazen. Wenn Sie stattdessen lieber hier einen Vortrag hören möchten - was ich natürlich verstehen kann, denn es kommen noch sehr interessante Vorträge - dann fassen Sie sich ein Herz und kommen Sie demnächst am Montag abend oder am Mittwoch abend in die Beisserstraße zur Buddhistischen Gesellschaft Hamburg und sitzen dort Zazen. Oder suchen Sie sich eine andere Gemeinschaft, in der Zazen geübt wird. Ansonsten vergeuden Sie hier nur Ihre Zeit - Sie erfahren hier von mir nicht wirklich etwas über Zen und Zazen. Was es da zu erfahren gibt, müssen Sie schon selbst herausfinden, indem Sie Zazen üben. Sorry, anders geht es nicht.

Nun rede ich schon eine ganze Weile und habe vieleWorte darauf verwandt, nur um Ihnen zu erklären, dass ich Ihnen eigentlich nichts zu sagen habe, weil es wenig Sinn macht, über Zen und Zazen zu reden. Ungeachtet der ganzen Bibliotheken, die man mit Literatur über Zen füllen könnte. Aber da wir nun schon einmal hier beisammen sind und ich noch etwas Zeit habe, könnten wir die Sache vielleicht einfach einmal von einer anderen Seite angehen.

Mein Vortrag heute war mit dem Titel angekündigt 'Zazen als buddhistischer Weg'. Ich möchte das als Gleichung verstanden wissen - NICHT 'Zazen als EIN buddhistischer Weg', sondern 'Zazen als DER buddhistische Weg'. 'Zazen' ist gleich 'buddhistischer Weg'. Das soll nun natürlich nicht bedeuten, dass die Praxiswege anderer buddhistischer Traditionen KEIN buddhistischer Weg wären. Nein, Zazen ist der buddhistische Weg, wie er in der Tradition des Soto-Zen gegangen wird. Auch wenn man korrekter sagen müsste, der Weg wird gesessen … Insofern ist es berechtigt, hier - also im Kontext der Soto-Tradition - von einer Gleichung zu sprechen.

Wenn wir nun über Zazen - die eine Seite der Gleichung - nicht wirklich sprechen können, dann können wir vielleicht über das sprechen, was auf der anderen Seite des Gleichheitszeichens steht. Sprechen wir also über den buddhistischen Weg. Was wäre darunter zu verstehen?


Was hat es mit Zazen denn nun wirklich auf sich?
Wird SoGen irgendwann noch einmal auf den Punkt kommen?
Blickt er selbst noch durch? Werden wir erleuchtet?

Verpassen Sie nicht die spannende Fortsetzung:

1 Kommentar:

  1. Danke, das ist erfrischend zu lesen, daß wir da ganz und gar einer Meinung sind .

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