Dienstag, 14. Juni 2011

Sangha

Zu einem (jedenfalls was das eigentliche Thema anging) eher nebensächlichen Aspekt meines letzten Beitrags erhielt ich per eMail eine Nachricht, die mich veranlasst hat, eben diesen Aspekt etwas ausführlicher zu behandeln. Es handelt sich dabei um das Verständnis von Sangha - zur Erinnerung: ich hatte in dem genannten Beitrag geschrieben "Sangha ist nach diesem Verständnis unbegrenzt; niemand ist davon durch einen Glauben, ein Bekenntnis oder einen rituellen Akt gleich welcher Art ein- oder ausgeschlossen, denn Sangha ist der soziale Ausdruck der ausnahmslos allen Wesen innewohnenden Buddhanatur." Insbesondere stellt sich bei diesem 'erweiterten' Sanghabegriff die Frage, wie sich dieser im Zusammenhang mit der dreifachen Zuflucht - der zu Buddha, Dharma und Sangha- darstellt.


Foto: Alicia Pudsey - My Shot

Ich möchte dazu zunächst grob skizzieren, wie sich das spezifische Verständnis von Sangha im Soto-Zen entwickelt hat. Dabei spielt zum einen der Wandel ökonomischer, sozialer und historischer Bedingungen eine Rolle, zum anderen die (davon natürlich nicht wirklich abtrennbare) geistesgeschichtliche Entwicklung des Mahayana.

Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die begriffliche Unterscheidung zwischen vierfacher 'Sangha', also den Vinaya-Ordinierten und den Laienbekennern beiderlei Geschlechts (richtiger: catur-parisad) einerseits, Sangha im engeren Sinne (nur Bhikshus und Bhikshunis) andererseits und schließlich Ariya Sangha (Sangha als Zufluchtsobjekt). Sangha als exklusive Bezeichnung für die nach dem Vinaya ordinierten Frauen und Männer ist dadurch, dass es von seltenen Ausnahmen abgesehen im japanischen Zen (und entsprechend in dessen westlichen Ablegern) keine Bhikshus gibt, weitgehend obsolet geworden. Was den Ariya Sangha angeht, so ist zu beachten, dass dieser sich nach traditioneller Auffassung aus Stromeingetretenen (Sotapanna), Einmal-Rückkehrern (Sakadagamin), Nicht-Rückkehrern (Anagamin) und Erleuchteten (Arhats) zusammensetzt. Kriterium für die Zugehörigkeit zum Ariya Sangha ist also der Grad der Überwindung der zehn Fesseln (samyojana) – nicht die Vinaya-Ordination. Es gibt wohl eine 'institutionalistische' Strömung im Theravada, die der Auffassung ist, die samyojana könnten nur durch Vinaya-Ordinierte überwunden werden. Meines Erachtens steht dies jedoch im Widerspruch zum Palikanon selbst. Zwar gibt es dort Aussagen, als Laienanhänger/in könne man lediglich Bedingungen für eine günstigere Neugeburt schaffen, doch bezieht sich dies eindeutig auf ein 'Minimum' buddhistischer Praxis: Zufluchtnahme, Einhaltung der fünf ethischen Übungspfade und Unterstützung der Ordinierten durch Spenden (dana-Praxis). Hingegen werden auch im Palikanon Laien erwähnt, die die verschiedenen Stufen eines 'ariya puggala' erlangt haben - vom Stromeingetretenen bis zum Arhat (bekanntestes Beispiel ist hier Buddhas Vater Suddhodhana).

Um zur Entwicklung des Sangha-Begriffs im Zen zurückzukehren - dabei spielte zunächst eine wesentliche Rolle, dass in China der Sangha stark abhängig von den Herrschenden war. Die Regierung regulierte den Zugang zum Sangha und alimentierte die Viharas, indem ihnen zu ihrem Unterhalt (vergleichbar den Klöstern im europäischen Mittelalter) Bauern bzw. ganze Dörfer zugewiesen wurden. Dadurch war die auf Dana basierende Symbiose von Laien und Ordinierten empfindlich gestört – man kann mit einiger Berechtigung stattdessen von einem Ausbeutungsverhältnis sprechen. Eine Symbiose nach ursprünglichem indischen Muster war unter den veränderten Bedingungen der "feudalen" Gesellschaft Chinas wohl auch gar nicht möglich.

Das frühe Chan (der chinesische Vorläufer des japanischen Zen) löste dieses Problem, indem durch Klosterregeln körperliche Arbeit zur Verpflichtung gemacht wurde – sogar zu einem Teil der Praxis. Eine zentrale Rolle spielte hier die sog. "Goldene Regel" Baizhangs (720–814). Chan-Klöster wurden so wirtschaftlich weitgehend autark (der Bettelgang wurde freilich nicht gänzlich abgeschafft). Dies wirkte der Ausbeutung der bäuerlichen Bevölkerung entgegen und erwies sich in der großen Buddhistenverfolgung ab 844 als Garant des Überlebens des Buddhadharma in China. Im wesentlichen überstanden die kurze, aber heftige Verfolgungszeit lediglich die Chan-Schule aufgrund ihrer wirtschaftlichen Autarkie und die in der Volksfrömmigkeit stark verankerte Schule des reinen Landes.

Parallel dazu bzw. schon etwas früher entwickelte sich in China das Bedürfnis, das Regelwerk des Vinaya durch einen weiteren Satz Gelübde mit deutlicherer mahayanischer Tendenz zu ergänzen – daraus entstand die Bodhisattva-Ordination nach dem Mahayana-Brahmajala-Sutra. Als dann Saichō die Lehren der damals noch florierenden chinesischen Tiantai-Schule nach Japan brachte, verzichtete die 806 gegründete japanische Tendai-Schule, als sie 822 gegen große politische Widerstände das Recht erhielt, selbst Ordinationen vorzunehmen, ganz auf die Vinaya-Ordination und beschränkte sich auf die Boddhisattva-Ordination einerseits und die Klosterregeln (Shingi) andererseits. In dieser Nicht-Vinaya-Tradition stehen dann auch alle Schulen, deren Gründer in der Kamakura-Zeit aus der Tendai-Schule hervorgingen: Dogen (Soto-Zen), Eisai (Rinzai-Zen), Honen (Jodo), Shinran (Jodo-Shin) und Nichiren (Nichiren-shu). Zumindest in meiner Tradition ziehen wir es daher auch vor, von 'Zen-Priestern' und von einer 'Priesterordination' zu sprechen, statt von 'Zen-Mönchen' und einer 'Mönchs-Ordination'.

Dass dieses 'Verwischen' des Unterschiedes zwischen Laien und Ordinierten ein anderes Verständnis von Sangha bewirkte, leuchtet sicher ein. In der Soto-Zentradition kommt noch hinzu, dass es nicht nur eine Priester-Ordination (shukke tokudo) gibt, sondern auch eine Laien-Ordination (zaike tokudo, jukai), bei der jeweils die gleichen Gelübde empfangen werden.

Eine noch bedeutendere Rolle spielt jedoch das erweiterte Verständnis der drei Juwelen (triratna), also der 'Zufluchtsobjekte' Buddha, Dharma, und Sangha, das sich aus der besonderen mahayanischen Auffassung des Buddha heraus entwickelte. Gemeint ist hier die Trikaya-Lehre; den drei 'Buddhakörpern' entsprechen auch drei hermeneutische Ebenen von 'Dharma' und von 'Sangha'. Dogen – dessen Auffassung der Trikaya-Lehre allerdings kaum als orthodox zu bezeichnen ist - behandelt diese 'mehrschichtige' Auffassung von den Triratna (drei Juwelen, jap. Sambo): vor allem in seiner Schrift Kie Buppōsō Hō (Über die Zufluchtnahme zu Buddha, Dharma und Sangha). Er unterscheidet dort:

"Die drei Juwelen als das, was verweilt und erhalten wird: Statuen und Stupas sind das Buddhajuwel; gelbes Papier auf rotem Stab [die auf Schriftrollen überlieferten Lehrtexte] sind das übertragene Dharmajuwel; Rasieren des Kopfes, Färben von Roben und die niedergelegte Form der Disziplinarregeln sind das Sanghajuwel."

Dieser Begriff von Sangha entspricht offensichtlich dem 'klassischen' Verständnis von Sangha als der Gemeinschaft der Ordinierten.

"Die drei Juwelen als Formen des Lehrens: Shakyamuni, der Weltgeehrte, ist das Buddhajuwel; das Rad des Dharma, das er in Gang setzte und die geheiligten Lehren, die er propagierte sind das Dharmajuwel; die fünf Menschen, Ajnyata Kaundinya und die Anderen, sind das Sanghajuwel."

Diese eigenartige 'Verkürzung' von Sangha auf Buddhas erste Gefährten als konkrete Personen verdeutlicht den historischen, zeitgebundenen Aspekt. Man kann diese fünf ersten Arhats aber sicherlich auch als stellvertretend für den oben erläuterten 'Ariya Sangha' auffassen.

"Die drei Juwelen als Verkörperung der Wahrheit: der fünffache Dharmakörper wird Buddhajuwel genannt; die Wahrheit der Beendung [von Duhkha], absichtsloses Nichtanhaften, wird Dharmajuwel genannt; die Verdienste Lernender und jener jenseits des Lernens sind das Sanghajuwel."

- eine Charakterisierung, die nun von der vertrauten Auffassung von Sangha doch sehr unterschieden ist. Der 'fünffache Dharmakörper' (gobun hosshin) ist im Einzelnen bezogen auf Sittlichkeit/Gelübde (Shila), Versenkung (Dhyana), Weisheit (Prajna), die Befreiung und das Wissen um die Befreiung. Eine nähere Erläuterung dieser "fünf Düfte des Dharmakörpers" findet sich im Plattformsutra (Liuzu Dashi Fabaotan Jing 六祖大師法寶壇經), das die Lehren des 6. Patriarchen Huineng (jap. Daikan Eno, 638 - 713) enthält, gewissermaßen die Gründungsurkunde des Chan. Bei dem Sangha-Aspekt ist hier bemerkenswert, dass nicht auf Personen Bezug genommen wird, sondern auf 'Verdienste' (kudoku). Das mag jemandem, der mit dem mahayanischen Konzept der 'Verdienstübertragung' (wo durch heilsames karmisches Handeln erzeugte Früchte / 'Verdienst' der Befreiung aller Wesen 'gewidmet' werden), nicht vertraut ist, etwas kryptisch erscheinen. Jedenfalls ist hier der Sangha-Begriff prinzipiell schon auf alle fühlenden Wesen ausgeweitet; sie alle sind in die 'Übertragung' von Verdienst, kudoku, die zwischen Erzeuger und Empfänger nicht unterscheidet, mit eingeschlossen. Hier schließt nun Dogen noch eine synoptische Schau dieser drei Aspekte an:

"Die drei Juwelen als ein Körper: Erfahren und Verstehen des großen Zustandes der Befreiung wird Buddhajuwel genannt; Reinheit jenseits jeder Befleckung wird Dharmajuwel genannt; die letzten Prinzipien in Harmonie, Sein ohne Hemmung und Schwinden, wird Sanghajuwel genannt."

Vor allem Ittai-Sambo (die drei Juwelen als ein Körper) enthält den Aspekt von Sangha, auf den ich mich in dem von Ihnen zitierten Absatz bezogen habe. Ittai-Sambo ist ein Fingerzeig auf die Natur der Dinge, wie sie sind, wie sie sich im Erwachen präsentieren - nicht, wie sie dem verblendeten Geist erscheinen.

Interessanterweise identifiziert Dogen hier Reinheit mit dem Dharmajuwel - während der schon oben erwähnte legendäre sechste Patriarch des Zen Daikan Eno (Huineng) im Plattform-Sutra hingegen bei seiner Darstellung der drei formlosen Bekenntnisse (also: der Zufluchtnahme) Reinheit mit Sangha assoziiert. "Formlos" ist das Bekenntnis bzw. die Zufluchtnahme, weil sie sich auf das eigene Wesen bezieht - und 'Sangha' ist dessen Reinheitsaspekt:

"Ich empfehle euch, verehrte Zuhörer, euch zu den drei Kostbarkeiten des eigenen Wesens zu bekennen. Buddha, das ist Erleuchtung. Dharma, das ist Wahrheit. Sangha, das ist Reinheit. [...] Sich im eigenen Geist zu Reinheit bekennen bedeutet, dass auch wenn im eigenen Wesen alle Begierden und verirrten Gedanken vorhanden sind, das eigene Wesen nicht davon befleckt wird."
 Selbstverständlich ist dieses "eigene Wesen" nicht als eine Art 'atman', ein Persönlichkeitskern, eine Art 'Ich-Essenz' misszuverstehen. Dieses eigene Wesen ist vielmehr die erleuchtete Buddhanatur, die wir mit allen Wesen teilen - und die von Begierden und Unwissen unberührt bleibt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen