Mittwoch, 23. November 2011

Du hast ja noch dein Grab

Gestern morgen ist der Autor, Musiker und Komponist Georg Kreisler im Alter von 89 Jahren in Salzburg an einer schweren Infektion gestorben. Ich möchte ihn hier selbst seinen Nekrolog halten lassen - besser und angemessener als er könnte ich das auch nicht.



Man hat Kreisler Zynismus vorgeworfen - sicher nicht ganz zu unrecht. Wenn man ihn einen Misanthropen nennt, dann ist das allerdings verfehlt - der Menschenfeind war nur Maske. Oder nicht doch vielmehr ein Spiegel, den er seinem Publikum vorhielt? Sein Zynismus entstand aus dem Leiden an der Welt und an den Menschen - und um daran zu leiden, muss man sie lieben. Auch, wenn es schwerfällt ...

In seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Homburg, mit dem er vor anderthalb Jahren geehrt wurde, sagte er Folgendes:
Übrigens ist Hölderlin der Überzeugung, daß eines Tages alle Menschen Künstler sein werden, wobei er nicht nur diejenigen meint, die Kunst produzieren, sondern eben die Götter, die Kunst genießen, für die Kunst ein Bestandteil ihres Lebens ist. Möglich und zu wünschen wäre ja so eine Welt, aber heutzutage daran zu glauben, fällt schwer. Trotzdem - einige solche utopischen Nester gibt es, vielleicht auch heute Vormittag hier. Denn in seinem Gedicht „Götter wandelten einst" hebt Hölderlin die Liebenden hervor. Er schreibt: „Es schufen sich einst die einsamen Liebenden, nur von Göttern gekannt, ihre geheimere Welt." Auch der berühmte poetische Satz „Wo aber die Gefahr ist, wächst das Rettende auch" ist von Hölderlin. Man darf also auch Optimist sein.
Die letzten Jahre war er nicht mehr als Musiker unterwegs, "nur" noch mit Lesungen.
Ich setze mich nicht mehr ans Klavier und singe meine Lieder, aber nicht, weil ich das nicht könnte, sondern weil ich es falsch fände. Es paßt einfach nicht zu einem alten Mann wie mir. Ich habe in meinen jüngeren Jahren öfter erlebt, wie alte Männer ihre Lieder noch selbst gesungen haben, und es hat mir jedes Mal mißfallen. Bei einem Lied kommt es ja auch auf den Text an, und worüber soll ein alter Mann singen? Über die Liebe? Lächerlich! Über seine Träume? Wen interessiert das? Wenn er seine Träume sein ganzes Leben lang nicht verwirklichen konnte, soll er es bleiben lassen! Über Politik? Er hat doch keine Zukunft mehr. Über den Tod? Peinlich!
Ich möchte abschließend Georg Kreisler noch einmal selbst zu Wort kommen lassen - mit seinem vielleicht schlimmsten, zynischsten Lied. Das erschreckendste an diesem Lied ist seine Popularität in gewissen Kreisen - bei Leuten, die vermutlich zu dumm sind um zu wissen, dass der Autor mit 16 Jahren als "Halbjude" nach den kranken Definitionen der Nürnberger Rassengesetze vor den braunen Horden in die USA emigrieren musste. Diese Popularität zeigt, dass man sich in dem Spiegel, der einem von Kreisler da vorgehalten wird, durchaus erkennen kann - es ist kein Zerrspiegel.



Übrigens:

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage vom 07.10.2009 nennt 46 Todesopfer durch rechtsextremen Terror seit 1990. Da "DIE ZEIT" und "DER TAGESSPIEGEL" aufgrund eigener Recherchen am 16.09.2009 auf mindestens 137 Todesopfer kamen, wurde dieses Jahr erneut eine Große Anfrage gestellt und am 27.09.2011 beantwortet - da hatten sich die von der Bundesregierung "anerkannten" Todesopfer rechten Terrors seit 1990 schon auf wundersame Weise auf 79 erhöht. Wie wir seit ein paar Tagen wissen, kommen da mittlerweile noch ein paar mehr auf die Rechnung, die bislang merkwürdigerweise "übersehen" wurden. Die Amadeu-Antonio-Stiftung spricht von hingegen 182 Todesopfern, Welt Online (wie der Tagesspiegel wohl kaum als linkes Kampfblatt bekannt) listet sie auf.

Nur mal zum Vergleich - seit 1990 (vorher wurden Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gar nicht gesondert erfasst) sind 21 Jahre vergangen. Der Terror der RAF von 1971 bis 1993 (also in einem etwas längeren Zeitraum) kostete 34 Menschen das Leben. Natürlich soll das kein Aufrechnen sein, aber wenn man sich - wie ich - an die seinerzeitigen hysterischen Reaktionen von Politikern auf den Terror der RAF erinnert, kommt man nicht umhin, vergleichsweise eine gewisse staatliche 'Gelassenheit' im Umgang mit rechtem Terror zu konstatieren. Womöglich liegt das ja an den Opfern ...

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