Donnerstag, 23. Februar 2012

Dumme Frage - dumme Antwort

Ich kenne einige Leute die schlecht über Gott/Jesus reden und ich bekomme da eine extreme Wut auf diese Leute. Ich würde sie am liebsten richtig zusammenschlagen! Wenn ich eine "böse" Tat begehe dann verantworte ich mich in erster Linie immer vor Gott. Wie würde Gott so eine Tat auffassen, wenn ich jemanden an seiner Statt bestrafe?
(in einem interreligiösen Forum gefragt)
 

So scheue dich denn nicht, ein dem HERRN wohlgefälliges Werk zu tun auf dass du Gnade findest vor seinen Augen! Heisst es denn nicht im Buch der Bücher:
"Wenn bei dir in einer deiner Städte jemand gefunden wird, Mann oder Frau, der da tut, was dem HERRN, deinem Gott, mißfällt, so sollst du den Mann oder die Frau, die eine solche Übeltat begangen haben, hinausführen zu deinem Tor und sollst sie zu Tode steinigen"?
Ruft nicht der Psalmist also zum HERRN:
"Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten! Denn sie reden von dir lästerlich, und deine Feinde erheben sich mit frechem Mut. Sollte ich nicht hassen, HERR, die dich hassen, und verabscheuen, die sich gegen dich erheben? Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden"?
Wahrlich, auch deinen Bruder, Freund und Nächsten sollst du nicht schonen, denn 
"als nun Mose sah, daß das Volk zuchtlos geworden war, trat er in das Tor des Lagers und rief: Her zu mir, wer dem HERRN angehört! Da sammelten sich zu ihm alle Söhne Levi und er sprach zu ihnen: So spricht der HERR, der Gott Israels: Ein jeder gürte sein Schwert um die Lenden und gehe durch das Lager hin und her von einem Tor zum andern und erschlage seinen Bruder, Freund und Nächsten. Die Söhne Levi taten, wie ihnen Mose gesagt hatte; und es fielen an dem Tage vom Volk dreitausend Mann. Da sprach Mose: Füllet heute eure Hände zum Dienst für den HERRN - denn ein jeder ist wider seinen Sohn und Bruder gewesen -, damit euch heute Segen gegeben werde".
So gehe denn hin und tue desgleichen, auf dass der Segen des HERRN auch auf dir ruhe. Und rede mir nicht davon, der HERR habe seinen Sohn gesandt, diese Gebote zu missachten! Schreibt nicht der heilige Paulus:
"alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, daß der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt"?
So denn also einer zu dir spricht:
"Laß uns andern Göttern folgen, die ihr nicht kennt, und ihnen dienen, so sollst du nicht gehorchen den Worten eines solchen Propheten oder Träumers; denn der HERR, euer Gott, versucht euch, um zu erfahren, ob ihr ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebhabt. Dem HERRN, eurem Gott, sollt ihr folgen und ihn fürchten und seine Gebote halten und seiner Stimme gehorchen und ihm dienen und ihm anhangen. Der Prophet aber oder der Träumer soll sterben, weil er euch gelehrt hat, abzufallen von dem HERRN, eurem Gott. Wenn dich dein Bruder, deiner Mutter Sohn, oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau in deinen Armen oder dein Freund, der dir so lieb ist wie dein Leben, heimlich überreden würde und sagen: Laß uns hingehen und andern Göttern dienen, so willige nicht ein und gehorche ihm nicht. Auch soll dein Auge ihn nicht schonen, und du sollst dich seiner nicht erbarmen und seine Schuld nicht verheimlichen, sondern sollst ihn zum Tode bringen. Deine Hand soll die erste wider ihn sein, ihn zu töten, und danach die Hand des ganzen Volks. Man soll ihn zu Tode steinigen, denn er hat dich abbringen wollen von dem HERRN, deinem Gott".

Wahrlich,
"wenn du von irgendeiner Stadt, die dir der HERR, dein Gott, gegeben hat, darin zu wohnen, sagen hörst: Es sind etliche heillose Leute aufgetreten aus deiner Mitte und haben die Bürger ihrer Stadt verführt und gesagt: Laßt uns hingehen und andern Göttern dienen, die ihr nicht kennt, so sollst du gründlich suchen, forschen und fragen. Und wenn sich findet, daß es gewiß ist, daß solch ein Greuel unter euch geschehen ist, so sollst du die Bürger dieser Stadt erschlagen mit der Schärfe des Schwerts und an ihr den Bann vollstrecken, an allem, was darin ist, auch an ihrem Vieh, mit der Schärfe des Schwerts".
So gehe denn auch du hin und tue, was dem HERRN wohlgefällg ist und fürchte dich nicht, denn
"man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen". 
Amen

(Anmerkung: kursiv gesetzte Zitate - z.t. leicht, aber nicht sinnentstellend - gekürzt: Deuteronomium 17:2-5, Psalm 139:19-22, Exodus 32:25-29, Timotheus 3:16-17, Deuteronomium 13:2-10, Deuteronomium 13:12-16, Apostelgeschichte 5:29)



Notwendige Nachschrift, unter dem Betreff "Was soll das?" nachgeschoben:

Zunächst einmal zeigt die Anfrage, dass es bei Christen auch heute noch ein Potential für religiös motivierte Gewalt und militante Intoleranz gibt. Nun äußert sich dies in der Anfrage noch in einigermaßen harmloser Form - doch es sei daran erinnert, dass es vor allem in den USA in jüngster Zeit immer wieder Fälle fundamentalistisch-christlichen Terrors gegeben hat. Insbesondere seien hier die Bombenanschläge auf Kliniken genannt, in denen Abtreibungen vorgenommen werden sowie Mordattentate auf Ärzte, aber auch auf Homosexuelle. Selbstverständlich gibt es unter dieser Schwelle noch ein breites Spektrum weniger spektakulärer (und daher für die internationale Presse weniger interessanter) Aggression - von Schmähbriefen und -anrufen über Morddrohungen und Brandanschläge bis hin zu tätlicher Gewalt. Letztere anzuwenden, sieht sich unser Fragesteller ja nach eigener Auskunft selbst versucht.

Bei meiner Antwort ging es nun darum aufzuzeigen, dass die Bibel eine Fülle von Rechtfertigungsmustern für die Ausübung von Gewalt gegen Andersdenkende, also für das Ausagieren von "heiligem Zorn" anbietet - um mit diesem Ausdruck eine andere Anwort aufzugreifen, die auf Jesus' gewalttätige 'Tempelreinigung' verwies. Es ist eben nicht so, dass die Bibel als autoritative Grundlage der religiösen Überzeugung des Fragestellers diesem religiös motivierte Gewaltanwendung verbieten würde, wie wiederholt geltend gemacht wurde - weswegen es mich gereizt hat, solche Aussagen zu konterkarieren. Die Sachlage ist nun einmal deutlich komplexer.

Vielleicht sieht der Eine oder Andere ja auch - wie ich - hier Bezüge zur immer wieder aufgewärmten Diskussion über das Gewaltpotential des Islam. Religiös begründete Gewalt mag bei Muslimen derzeit in rein quantitativer Hinsicht (vielleicht auch nur in Hinsicht auf die öffentliche Wahrnehmung) ein größeres Problem sein als bei Christen - aber noch heute hat das Christentum im aufgeklärten Abendland dieses Problem selbst keineswegs überwunden und wird es wohl auch nie überwinden.

Religiös begründete Gewalt ist ein Problem, das in allen Religionen virulent ist - wobei zumindest die Weltreligionen (genauer: deren autoritative Schriften) jedoch nicht das aggressive Potential erzeugen. Sie werden vielmehr dazu missbraucht, das Ausleben solchen Potentials ideologisch zu verbrämen und zu rechtfertigen. Und dafür liefert die Bibel - wie vielleicht deutlich geworden ist - mehr und wohlfeileres Material als der aus eben diesem Grund so häufig und gern geschmähte Koran. Nicht der Koran oder die Bibel sind das Problem, auch nicht der Islam oder das Christentum (säkulare Ideologien sind zumeist noch einfacher für Rechtfertigungen von Gewalt zu missbrauchen als Religionen). Das Problem menschlicher Gewaltbereitschaft ist kein religiöses oder ideologisches - es ist ein anthropologisches. Religion oder Ideologie liefern lediglich Rechtfertigungen und Rationalisierungen.

Wenn uns dies bewusst wird, gelingt es vielleicht auch, mit den eigenen aggressiven Antrieben achtsamer und rationaler umzugehen - und Menschen mit anderen Überzeugungen toleranter (duldsamer, geduldiger) und gelassener zu begegnen.

Montag, 20. Februar 2012

Karma?

Viele Menschen, die sich in der geistesgeschichtlichen Tadition der Aufklärung verorten, stehen nicht nur theistischen Religionen skeptisch bis ablehnend gegenüber, sondern auch dem Buddhismus. Insbesondere sind es hier die Konzepte Reinkarnation und Karma, die als irrational, als unwissenschaftlicher Aberglaube abgelehnt werden. Fast immer stellt sich in Diskussionen heraus, dass dies auf schlichter Unkenntnis dessen beruht, wie die spezifisch buddhistische Auffassung dieser Konzepte tatsächlich aussieht. Kritisiert werden dann in aller Regel die Vorstellungen, die die Kritiker sich von diesen Konzepten machen - zumeist aufgrund des Schindluders, den diverse Esoteriker damit treiben - und nicht das, was der Buddhismus dazu zu sagen hat. Zu Reinkarnation habe ich mich hier bereits geäußert; im aktuellen Artikel möchte ich nun speziell auf den Karmabegriff eingehen.

http://www.dilbert.com/
 Will man sich an einer Definition von karman versuchen, so muss man zunächst einmal von der unmittelbaren Semantik des Begriffes ausgehen - und da findet sich die deutsche Übersetzung 'Handlung'. Nun gehören zu dieser unmittelbaren Bedeutung natürlich bestimmte Konnotationen. Wenn man dabei einmal die mehr oder weniger phantasievollen abendländisch-esoterischen Ausdeutungen außer Betracht lässt und sich auf die indische Geistesgeschichte beschränkt, in der der Begriff karman bekanntlich wurzelt, so können wir allein hier drei große hermeneutische Traditionen unterscheiden: die brahmanisch-hinduistische, die jainistische und die buddhistische. Nicht nur für die buddhistische Tradition gilt, dass innerhalb dieser Traditionen noch zu differenzieren wäre. Wenn wir eine "neutrale" Definition von karma versuchen, so kommen wir über ein recht allgemein gehaltenes 'moralisch/ethisches Kausalitätsgesetz' nicht hinaus. Alles Weitere ist in eine bestimmte philosophisch-religiöse Tradition eingebunden und von dieser abhängig.

Hier wäre insbesondere noch anzumerken, dass speziell in der buddhistischen Tradition der Begriff karma keineswegs zwangsläufig mit dem Konzept der Reinkarnation verbunden ist. 'Reinkarnation' ist nun einmal alles andere als deckungsgleich mit dem buddhistischen Konzept von samsara, wie sich allein schon aus dem Verwerfen des Konzeptes einer 'Seele' (oder eng verwandter Konzepte wie atman) ergibt. Nach buddhistischer Auffassung existiert eben nichts, das da reinkarniert werden könnte.
"Keinen Täter sieht er hinter den Taten, keinen Erleidenden getrennt von der Frucht des Handelns. Und mit voller Einsicht versteht er klar, dass die Weisen lediglich konventionelle Begriffe verwenden, wenn sie in Bezug auf das Stattfinden einer Handlung von einem Täter sprechen oder wenn sie von einem Erleidenden der karma-Ergebnisse bei deren Reifen sprechen. Daher haben die alten Meister gesagt:

Kein Täter der Taten wird gefunden
Niemand erntet jemals ihre Früchte
Leere Erscheinungen pflanzen sich fort:
diese Sicht alleine ist richtig und wahr.

Und während die Taten und ihre Folgen
Sich fortpflanzen, alle auf Bedingungen gestützt,
Kann keine erste Ursache gesehen werden
So, wie es mit dem Samen und dem Baum ist."
(Visuddhimagga XIX)

karma wird weder von Hindus, noch von Jaina noch von Buddhisten als eine Art kosmische Autorität, die belohnt und bestraft verstanden. Vielleicht von ein paar neuzeitlichen westlichen Esoterikern - aber das fällt angesichts einer mindestens zweieinhalb Jahrtausende alten indischen Begriffsgeschichte wohl kaum ins Gewicht. karma bezeichnet in allgemeinster Form schlicht und einfach eine Erweiterung des Kausalitätsprinzips auf die ethisch-moralische Ebene. karma ist im indischen Denken das Fundament der Ethik. Anders als im abendländischen Denken gibt es da eben keine "kosmische Instanz", die Verhaltensvorschriften ('Gebote') erlässt und nach Maßgabe ihrer Befolgung "belohnt und bestraft". Brahma (der für die buddhistische Auffassung von karma ohnehin verzichtbar ist) ist - anders als Jahwe - kein Gesetzgeber und Richter. Die Ethik im indischen Denken hat jedenfalls keinen transzendenten Ursprung. Sie beruht auf der einfachen Prämisse, dass das Prinzip von Ursache und Wirkung auch auf die Qualität moralischen Handelns anzuwenden ist. Anders ausgedrückt - dass Handeln bewertet werden kann anhand der daraus entstehenden Folgen und dass diese Folgen gesetzmäßig entstehen.

Hier gibt es nun in den einzelnen philosophisch-religiösen Traditionen eine erhebliche Spannbreite vor allem in Bezug auf die Strenge der Gesetzmäßigkeit. Anders gesagt: die Frage des Determinismus wird sehr unterschiedlich beantwortet. So gehören nach buddhistischer Auffassung zum Reifen einer karmischen Frucht außer der willentlich begangenen Handlung als Ursache zusätzlich begünstigende Bedingungen - es gibt mithin auch 'folgenloses karma' (ahosi karma). Die Frage, wie weit wirksam werdendes vergangenes Handeln (karma) die Freiheit aktuellen Handelns einschränkt, wird ebenfalls sehr unterschiedlich und differenziert beantwortet.

Man braucht dazu auch keine Reinkarnation zu bemühen - ein guter Teil karmischer Früchte kommt sehr unmittelbar zur Reife. Wenn ich aus Gier und Habsucht das karma des Stehlens und Raubens auf mich nehme, so werde ich bei entsprechenden Begleitbedingungen die karmische Frucht eines Gefängnisaufenthaltes ernten. Anders ausgedrückt - von der Frage der Reinkarnation einmal völlig abstrahiert - hat mein Handeln bestimmte moralische Qualitäten, die als heilsam (kusala) oder unheilsam (akusala) qualifiziert werden. Maßgebend für die Bewertung als heilsam oder unheilsam ist, ob das so bewertete Handeln geeignet ist, Leid zu erzeugen / zu perpetuieren oder aber zu verringern / zu überwinden.

Welches Handeln wofür geeignet ist - darüber gibt es bei Hindus, Jaina und Buddhisten z.T. gemeinsame und z.T. unterschiedliche Auffassungen. Jedenfalls jedoch ist bei ihnen diese Auffassung von karma in nuce die Grundlage der Ethik und schon daher nicht gerade mal so auf die Schnelle als 'Aberglauben' abzutun. Das ist keine Freizeitbeschäftigung für spirituelle Buchhalter, vielmehr ist die Kenntnis karmischer Gesetzmäßigkeiten - das Wissen, dass unser Tun Folgen hat, die auf uns selbst zurückfallen und das Wissen welche Folgen dies sind - notwendig, um das eigene Leben so zu gestalten, dass wir und unsere Mitgeschöpfe es möglichst leidfrei führen können. Das "auf uns selbst zurückfallen" unseres Handeln bedeutet dabei zunächst und ganz unmittelbar, dass die Qualität des Willens, der unser Handeln bestimmt, auch die Qualität unseres psychischen Erlebens bestimmt.

Wie ich schon oben schrieb, hat karma eine jahrtausendealte Begriffsgeschichte. Speziell in der hinduistischen Rezeption wird das Konzept karma mit dem Konzept svadharma (grob: soziale Verpflichtung) in Verbindung gebracht. Die eigenartige traditionelle hinduistische Gesellschaftsform ist speziell dieser Verbindung geschuldet, nicht dem Karmabegriff an sich. Die Karmalehre für problematische soziale Erscheinungen wie das Kastensystem verantwortlich zu machen (auch, wenn sie speziell von fundamentalistischen Hindus zweifellos als Rechtfertigungsmuster für deren Aufrechterhaltung missbraucht wurde und wird) ist verfehlt - ebenso das Argument, die Karmalehre stehe in einem zwangsläufigen (logisch zwingenden) Zusammenhang mit  Reinkarnationstheorien. Beides gehört nicht notwendig und untrennbar zum Karmabegriff; lediglich in bestimmten - nicht allen - hermeneutischen Traditionen wird das eine oder andere bzw. beides mit karma in Zusammenhang gebracht.

Dass karma im Kontext von pratityasamutpada neben der ethischen auch eine sehr wichtige ontologische Rolle spielt (die des 'Motors', der pratityasamutpada zu einem dynamischen Modell und nicht zu einem statischen 'Netzwerk' macht) sei hier nur beiläufig erwähnt, da es sich hier um eine buddhistische Eigenheit handelt.

Zum Thema karma ist ganz allgemein zu bemerken, dass sich dieser Begriff nicht für 'Schuldzuweisungen' eignet - überhaupt mit dem Konzept Schuld und Sühne nichts zu tun hat - und ernsthaften Buddhisten auch nicht dazu dient, Prognosen für zukünftige Existenzen zu stellen oder vergangene zu ergründen. In der buddhistischen religiösen Praxis wird man sich vernünftigerweise auf die Analyse des drsta-dharma-vedaniya-karma beschränken - des unmittelbar in diesem Leben wirksam werdenden karma. Mein gegenwärtiges und vergangenes Verhalten hat Einfluss darauf, wie mir meine soziale Umwelt begegnet und darauf, wie ich diese Reaktion empfinde. Beides ist Frucht (phala) meines Handelns/Wirkens (karma). Alles Andere - über die Analyse persönlichen Verhaltens und der daraus folgenden Resultate hinausgehendes Spekulieren - ist völlig nutzlos; speziell wenn es auf den Bereich "Reinkarnation" angewandt wird. Ja, sogar schädlich.
"Es kommt darauf an, ob man weise nachdenkt oder unweise. Wer unweise nachdenkt, bei dem entstehen immer neue Anwandlungen und die alten werden stärker; bei dem, der weise nachdenkt, entstehen keine Anwandlungen und die alten schwinden.
[...]
Unweise denkt man:
> War ich in früherer Zeit oder war ich früher nicht?
> Was war ich früher?
> Wie war ich früher?
> Was wurde ich früher, nachdem ich vorher was gewesen war?
> Werde ich künftig sein oder werde ich künftig nicht sein?
> Was werde ich künftig sein?
> Wie werde ich künftig sein?
> Was werde ich künftig werden, nachdem ich was geworden sein werde?

[...]

Wer so unweise nachdenkt, verfällt auf eine dieser sechs Theorien:
1. Als wahr und feststehend erscheint ihm die Theorie 'Mein Ich ist'
2. oder 'Mein Ich ist nicht',
3. oder die Theorie 'Mit dem Ich erkenne ich das Ich',
4. oder die Theorie 'Mit dem Ich erkenne ich das Nicht-Ich',
5. oder die Theorie 'Mit dem Nicht-Ich erkenne ich das Ich',
6. oder es bildet sich bei ihm folgende Theorie: 'Dieses mein Ich, das hier und dort die Folgen guter und böser Taten erlebt, ist unvergänglich, dauernd, immerwährend, unveränderlich, es wird immer dasselbe bleiben'.

Dies nennt man

Theorien-Gestrüpp,
Theorien-Gaukelei,
Theorien-Sport,
Theorien-Fessel.

Mit dieser Theorienfessel gefesselt kann ein unkundiger Weltling nicht frei werden von Geborenwerden, Altern und Sterben, von Sorgen, Jammer, Schmerzen, von Kummer und Verzweiflung. Nicht wird er frei vom Übel, sage ich."
(Sabbasava-Sutta, M I,2)
Was ansonsten in diesem Zusammenhang noch unter "weises Nachdenken" fiele, wäre das Ergründen des Zusammenhanges zwischen karma (Handeln, Wirken), cetana (Wille), dem upadanaskandha-Modell (insbesondere dem samskaraskandha) und pratityasamutpada (Entstehen in Abhängigkeit) - hier insbesondere die Beziehung zwischen den nidanas samskara und bhava - sowie der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen bhava (Werden) und punarbhava (Wieder-Werden - im Buddhismus wird dieser Term zur Unterscheidung vom hinduistischen 'punarjati', 'Wiedergeburt' verwendet). Da wird man - alleine schon zur Begriffsklärung - freilich an einem ernsthaften, sowohl theoretischen wie auch praktischen Studium von Buddhas Lehre nicht vorbeikommen. Eine tiefergehende Darstellung macht hier nur Sinn, wenn eben diese Begriffe klar sind.

Zur Frage des Determinismus im Zusammenhang mit der buddhistischen Auffassung von karma ist anzumerken, dass karma hier lediglich eine Art von Kausalität und somit nicht alleine bestimmend für das Eintreten von Wirkungen ist. Im Theravada-Abhidharma (einer der ältesten buddhistischen philosophischen Traditionen) werden fünf Klassen unterschieden. Die pancaniyama (wörtl. fünf Begrenzungen / Einschränkungen) sind ein Klassifizierungsschema, nach dem Gesetze, Bedingungen oder Beschränkungen (ich fasse dies im Weiteren der Einfachheit halber als 'Gesetzmäßigkeit' zusammen) fünf verschiedenen Arten von Prozessen zugeordnet werden. Neben der Gesetzmäßigkeit soterologischer Prozesse (dhammaniyama) und biologischer Prozesse (bijaniyama) gibt es da die Gesetzmäßigkeit karmischer Prozesse (karmaniyama), die von der Gesetzmäßigkeit mechanisch-physikalischer Prozesse (utuniyama) zu unterscheiden ist - und auch von der psychisch-geistiger Prozesse (cittaniyama). D.h. nach dem Abhidharma der Theravadin folgen karmische Prozesse ihren eigenen Regeln - nicht physikalisch-naturgesetzlichen und auch nicht psychologischen. Wenn Menschen aufgrund eines Erdbebens und eines dadurch ausgelösten Tsunami ertrinken, so sind dies zunächst einmal physikalische und biologische Prozesse (utuniyama, bijaniyama), die hier ineinandergreifen und begründen, warum diese Menschen ertrinken. Wie diese Menschen dies nun wiederum subjektiv erleben, ist das Ergebnis karmischer und psychologischer Prozesse (karmaniyama, cittaniyama).

Zumindest im buddhistischen Karmabegriff spielt das aktive Moment die entscheidende Rolle. karma ist Handeln, Wirken. Die Wirkung des Handelns hingegen - Frucht - ist jedoch nicht karma, sondern phala. Aus solchen begrifflichen Unsauberkeiten können dann Fehldeutungen in der Art entstehen, als sei karma eine Art Schicksal. Mit einer 'Reinkarnation' des Handelnden hat karma hingegen nach buddhistischem Verständnis nichts zu tun. punarbhava ist keine 'Reinkarnation', keine 'Wiedergeburt' - es sei hier nochmals auf das obige Zitat aus dem Visuddhimagga verwiesen: "Keinen Täter sieht er hinter den Taten, keinen Erleidenden getrennt von der Frucht des Handelns" usw. usf.

Es wird nach buddhistischer Auffassung keine Person oder Seele oder sonst ein 'Persönlichkeitskern' wiedergeboren. Was über den Zerfall der psycho-physischen Aggregate (skandhas), die die empirische Person ausmachen, hinaus wirkt, das sind die psychischen Energien des samskaraskandha: Neigungen, Tatabsichten, Wollen. Dieses 'Wollen' manifestiert sich, führt zu einem Werden. Buddhisten sprechen hier von einem Wieder-Werden (punarbhava) – nicht von 'Wiedergeburt'. Dieses 'Werden' vollzieht sich im Übrigen permanent, auch im Kontext der empirischen Person. Das Konzept bhava/punarbhava hat insofern Ähnlichkeit mit Eckarts "ewiger Geburt".

Eine buddhistische Definition von karma ist daher recht einfach – sie stammt von Buddha selbst: cetanaham bhikkave kammam vadami (A VI,63). "Den Willen, ihr Mönche, nenne ich karma".

karma, wie es aus buddhistischer Sicht zu verstehen ist, ist empirisch erfahrbar. Es ist ein Ursach-Wirkungszusammenhang, der zum Teil für jeden evident ist und zum anderen – was subtilere Auswirkungen willentlichen Handelns (also von karma) angeht – erst von jenen nachvollziehbar ist, die sich der dafür geeigneten Praxis widmen. Es gibt also eine allgemein empirische Nachvollziehbarkeit und eine subjektiver Erfahrung bei entsprechender Geistesschulung vorbehaltene Nachvollziehbarkeit. Natürlich ist letzteres nicht wissenschaftlich – und soll es auch gar nicht sein.