Sonntag, 31. Januar 2010

Bokuseki - Tintenspuren

Wie schön, wenn man Weggefährten hat - Menschen, die mit uns zusammen auf dem gestaltlosen Pfad unterwegs sind. Zwar ist dieser Weg gar nicht beschwerlich - aber trotzdem freut man sich über Begegnungen und geht sich gegenseitig ein wenig zur Hand.

Hakuin: Zwei Blinde tasten sich über einen Brücke

Der alte
Zhaozhou drückte es so aus:

"Ältere und jüngere Brüder! Wenn jemand aus dem südlichen Gebiet ankommt, helfen wir ihm, sein Gepäck abzuladen. Und wenn jemand aus dem nördlichen Gebiet ankommt, helfen wir ihm, sein Gepäck aufzuladen. Manchmal, wenn wir uns an jemanden wenden, der erfahrener ist als wir, und nach der Wahrheit fragen, verlieren wir sie. Und manchmal, wenn wir uns an jemanden wenden, der weniger erfahren ist als wir, und nach der Wahrheit fragen, erlangen wir sie. Ältere und jüngere Brüder! Wenn ein rechtschaffener Mann falsche Lehren erteilt, werden diese falschen Lehren recht, und wenn ein schlechter Mann rechte Lehren erteilt, werden sie im Ergebnis falsch sein. Es gibt viele Meister in den verschiedenen Richtungen, aber es ist schwierig, ihre Wahrheit zu erkennen, obwohl wir sie in der Wirklichkeit erfahren können."

Weggefährten sind nicht immer Zeitgenossen - Menschen, denen wir von Angesicht zu Angesicht begegnen können. Manchmal finden wir nur ihre Spuren. Spuren erkennen und ihnen folgen zu können, ist eine wichtige Fertigkeit für Wegsucher. Man braucht ein besonderes Auge dafür - nur Buddhas können Buddhas erkennen. So steht es im Lotossutra, und Dogen hat diesem Wort ein eigenes Kapitel des Shobogenzo gewidmet, dessen letzten Absatz ich immer wieder gerne zitiere:

"Weil sie keine Spur und kein Zeichen hinterlassen, sind Vögel im Flug nicht zu verfolgen.... Ein Wagen, der einen schlammigen Weg passiert, und ein Pferd auf dem Feld sind leicht zu verfolgen, weil sie klar unterscheidbare Spuren hinterlassen. Ein Vogel benötigt solche Spuren jedoch nicht, um den Vögeln zu folgen, die bereits davongezogen sind.

Das ist prinzipiell das gleiche wie dem buddhistischen Weg zu folgen. Die Buddhas sind sich all der Buddhas bewusst, die ihnen vorangingen, kleiner, großer und weniger bekannter Buddhas. Nur Buddhas können Buddhas erkennen. Wer das in Frage stellte, würde zu hören bekommen: 'Nur die Buddhas allein besitzen das Buddha-Auge. Ohne dieses Auge kann der Weg weder gesehen noch erkannt werden.'....

Wenn wir diesen Weg gesehen haben, sollten wir ihn als Standard nehmen, um unseren eigenen Weg daran zu messen. Ein Vergleich dieser Art eröffnet tieferes Verständnis der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden.... Nur durch Klären der Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, können wir Einblick in die Abdrücke unseres eigenen Weges gewinnen. Wenn wir sie erkannt und verstanden haben, sollten wir den Zeichen, die von den Buddhas hinterlassen wurden, mit unserem ganzen Körper und Geist folgen. Das ist das buddhistische Dharma."


Zhaozhou und Dogen - zwei alte Buddhas, deren Spuren wir in ihren überlieferten Worten finden können. Oder doch nicht? Ein wenig darüber - über Spuren in Worten - finden wir in einer Tintenspur eines anderen Alten gesagt - Yuanwu Kequin. Yuanwus Spuren gehören zu den frühesten, auf die ich auf meinem Weg stieß, ist er doch der berühmte Kommentator des Bi Yan Lu (Hekigan Roku), das Wilhelm Gundert so großartig übersetzt hat. Der folgende Hinweis stammt freilich nicht aus diesem Buch, sondern aus einer Briefsammlung von ihm, die J.C. Cleary und Thomas Cleary ins Englische übersetzt haben. Was mir Gelegenheit gibt, mich hier und heute in Dankbarkeit vor meinem Weggefährten Matthias zu verbeugen, der mir letztes Jahr dieses Büchlein geschenkt hat. Hat er mir da nun geholfen, Gepäck aufzuladen oder Gepäck abzuladen?

Ein Lotos im Feuer

Ich würde nicht sagen, dass die, die heutzutage den Weg studieren, sich keine Mühe geben - aber oft lernen sie einfach Zen-Geschichten auswendig und versuchen, über alte und moderne Zenmeister Urteile zu fällen, wählerisch in Worten und Sätzen herumstochernd und dabei komplizierte Begründungen schaffend und abgestandene Slogans lernend. Wann kommen sie je damit zu Ende? Wenn du Zen auf diese Art und Weise studierst, dann wird alles, was du davon hast, eine Sammlung abgenutzter Antiquitäten und Kuriositäten sein.

Wenn du es auf diese Weise unternimmst "die Quelle zu suchen und das Fundamentale zu studieren", dann kletterst du letzlich nur den Fahnenmast deines Intellekts und deiner Fantasie hoch. Wenn du keinem Eingeweihten begegnest, wenn du nicht selbst einen unbezwingbaren Willen hast, wenn du niemals in dich selbst zurückgetreten bist und an deinem Geist gearbeitet hast, wenn du nicht all dein früheres und späteres Wissen und deine Ansichten von unübertrefflichen Wundern abgeschüttelt hast, wenn du dich nicht direkt von all dem befreit und die ursächlichen Bedingungen der fundamentalen großen Angelegenheit verstanden hast - dann ist genau das der Grund dafür, dass du immer noch nur halb angekommen bist, zurückfällst und nicht unterscheiden oder verstehen kannst. Wenn du einfach so weiter machst, dann wirst du, selbst wenn du dich dein ganzes Leben lang eifrig bemühst, trotzdem die fundamentale Quelle nicht einmal im Traum erblicken.

Darum sagte der Mann in den alten Zeiten: "Erwachen ist getrennt von Erklärungen mit Worten - nie gab es je einen Erlanger." Deshan sagte: "Unsere Schule hat keine Ausdrücke in Worten und nicht ein Ding oder eine Lehre, sie den Leuten zu geben."

Zhaozhou sagte: "Ich höre das Wort Buddha nicht gerne."

Schaut mal, wie sie, nur indem sie mit Worten von wörtlichen Erklärungen abrücken, schon Dreck verspritzen und die Leute aufmischen. Wenn ihr weiter nach Mysterien und Wundern in den Schlägen und Rufen, den Grimassen, finsteren Blicken und Bewegungen des Zenmeisters Ausschau haltet, werdet ihr sogar noch tiefer in den Fuchsbau fallen.

Alles, was in dieser Schule wichtig ist, das ist, dass Erwachen klar und gründlich zu sein hat, wie der silberne Berg und die eiserne Mauer, die sich einsam und steil erheben, viele Meilen hoch. Da diese Verwirklichung so plötzlich ist wie Funken und Blitz - egal ob du versuchst, es herauszufinden oder nicht - fällst du unmittelbar in die Grube. Darum haben seit undenklichen Zeiten die Eingeweihten diese eine Offenbarung bewahrt und alle kamen sie zusammen in derselben Verwirklichung an.

Hier, da gibt es nichts, woran du dich halten kannst. Wenn du einmal deinen Geist klären kannst und du fähig bist, alle Verstrickungen loszulassen und du im Vertrauen auf einen erwachten spirituellen Freund Praxis kultivierst, dann wäre es doch wirklich zu schade, wenn die Geduld fehlte, die Ebene zu erreichen, wo die zahllosen Schwierigkeiten nicht an dich herankommen können, wo du deinen Körper und deinen Geist ablegst und untersuchst, bis du den ganzen Weg durchdringst.

Über tausende von Leben und hunderte von Äonen bis jetzt, gab es da je eine Unterbrechung in der fundamentalen Realität? Da es da keine Unterbrechung gab, welche Geburt und welcher Tod, welches Gehen und Kommen gibt es da für dich, an dem zu zweifeln wäre? Offensichtlich gehören diese Dinge zum Bereich ursächlicher Bedingungen und haben absolut keine Verbindung mit der grundlegenden Angelegenheit.

Mein Lehrer Wuzu sagte häufig: "Ich bin fünf Jahrzehnte lang hier gewesen und habe tausende und abertausende Zen-Leute gesehen, die zu meinem Meditationsplatz kamen. Alle haben sie nur danach gesucht, ein Buddha zu werden und den Buddhismus darzulegen. Nie habe ich auch nur einen einzigen wahren Träger der Flickenrobe gesehen."

Wie wahr ist das! Wie wir derzeit sehen, sind selbst jene, die den Buddhismus darlegen, schwer zu finden - wieviel schwerer irgendwelche echten Leute. Die Zeiten sind im Niedergang und die Weisen weiter und weiter entfernt. Im ganzen großen Reich stirbt die Linie Buddhas direkt vor euren Augen aus. Vielleicht finden wir eine Person oder eine halbe, die den Dharma in Praxis umsetzt, aber wir sollten es nicht wagen zu erwarten, sie seien wie die großen Beispiele des Erwachens, die "Drachen und Elefanten" von damals.

Trotzdem - wenn ihr einfach die Vorgehensweisen und Ziele der praktischen Anwendung des Dharma kennt und korrekt von Anfang bis Ende weiter macht, dann erzeugt ihr schon einen Lotos aus dem Feuer heraus.

Ihr müsst alle die Einwirkungen, die euch verstricken, beiseite tun. Dann werdet ihr in der Lage sein, den inneren Gehalt des großen Erwachens zu erkennen, das seit Urzeiten überliefert ist. Ruht, wo immer ihr seid und tragt die geheime, dicht-ununterbrochene Praxis auf vertrauter Ebene weiter. Die Devas werden keine Straße finden, sie mit Blumen zu bestreuen und Dämonen und Nichteingeweihte werden nicht in der Lage sein, eure Spur zu finden. Das ist es, was 'in die Hauslosigkeit gehen' und sich selbst gründlich verstehen wirklich bedeutet.

Wenn, nachdem ihr diese Ebene erreicht habt, als Resultat von Verdiensten Umstände entstehen, die euch dazu führen, vorzutreten und eine Hand auszustrecken, um Erwachen Anderen zu übermitteln, wäre dies nicht unangemessen. Wie Buddha sagte: "Fügt euch einfach in die Wahrheit und mit Sicherheit werdet ihr nicht getäuscht."

Doch auf diese Weise zu sprechen ist selbst für mich nur ein anderer Fall von einem Mann aus einer Banditengegend, der einen Dieb durchschaut.

Dienstag, 19. Januar 2010

Reinkarnation

Wohl in keinem Punkt der buddhistischen Lehre existieren so viele Missverständnisse und Unklarheiten wie bei der Frage, ob und wie sich die Auffassung einer Wiedergeburt mit ihr vereinbaren lässt. Für den Außenstehenden und nur oberflächlich Informierten scheint die Sachlage klar zu sein: Buddhisten glauben an Wiedergeburt. Der Dalai Lama ist der Beweis dafür … Wer sich allerdings ein wenig tiefer mit dem Dharma beschäftigt, dem fällt recht schnell auf, dass vor allem die westliche Vorstellung von Reinkarnation (die im Abendland seit Buddhas Zeitgenossen Pythagoras präsent ist) als einer Metempsychose (Seelenwanderung) mit einer Kernaussage des Dharma in unauflösbar scheinendem Widerspruch steht: der Lehre vom Anatman, die die Existenz eines unveränderlichen Persönlichkeitskernes, einer Seele, bestreitet. Eine der Konsequenzen der Anatman-Lehre ist, dass zwischen zwei aufeinanderfolgenden Existenzen / Inkarnationen keinerlei Identität in der Substanz besteht.


(Der nette Cartoon stammt von Iris Leier, hier ihre Webseite)

Ja, viele tibetische Buddhisten glauben an eine Art Reinkarnation. Bis die Tibeter von Buddhas Lehre zu ihrer eigentümlichen Reinkarnationslehre fanden, musste allerdings sehr viel Wasser den Ganges hinunterfließen. Die Entwicklung dieser Idee lässt sich geistesgeschichtlich einigermaßen gut verfolgen und ich versuche mal, das ein wenig zu skizzieren. Besonderes Gewicht werde ich auf die früheste Phase legen, da sie die Basis für das Verständnis des Späteren bildet.

Einmal alle Fragen der Textkritik beiseitegelassen, so können wir doch mit einiger Sicherheit annehmen, dass die Sutten des Palikanon ziemlich genau die ursprüngliche Auffassung des Buddhadharma wiedergeben - wobei nicht verschwiegen werden soll, dass es gerade in der 'atman-Frage' schon sehr früh eine zahlenmäßig bedeutende dissidente Schulrichtung gab - die Vatsiputriya oder 'Personalisten'. Bei deren Lehren geht es uns freilich ähnlich wie bei frühen christlichen Häresien - wir kennen sie fast nur aus Polemiken ihrer Gegner und können sie daher nicht zuverlässig rekonstruieren.

Das beschreibende Modell dafür, wie das 'Wandern in Samsara' vor sich geht, ist der sog. Konditionalnexus, pratityasamutpada (pali paticcasamuppada) - 'bedingtes Entstehen'. Um meine Ausführungen nicht allzusehr auszuwalzen, möchte ich nun nicht näher auf pratityasamutpada eingehen, nur klarstellen, dass eben dieses Modell das karmische Wirken beschreibt, ohne dazu eine durch die Zeiten (und verschiedene Leben) wandernde Entität annehmen zu müssen, einen 'atman'. Die Person ist 'zusammengesetzt' aus 'Aggregaten des Ergreifens', upadanaskandha. Darüber hinaus existiert nichts und diese skandhas sind 'leer' von einem Eigensein, was bedeutet, dass sie nur aus ihren spezifischen Ursachen und Bedingungen heraus existieren und mit diesen untergehen, also vergänglich (anitya) sind. So wie aus dem 'anatman' das 'anitya' folgt, folgt aus diesem wiederum das 'dukkhata', die leidhafte Qualität - das dritte der 'Seinsmerkmale' trilaksana.

Um dies mit Belegstellen des Palikanon zu illustrieren:

18. "Ist das Bewußtsein unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr." - "Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?" - "Leidig, o Herr." - "Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen: 'Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst'?" - "Gewiß nicht, o Herr."
[...]
23. "Daher, o Sona, was es irgend an Bewußtsein gibt, vergangen, künftig, gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe: von jedem Bewußtsein gilt: 'Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst'. - So hat man dies der Wirklichkeit gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.

Samyutta Nikaya 22.49 - diese Aussage über das Bewusstsein (vijnana-skandha) wird für sämtliche weiteren skandhas wiederholt - ich erspare mir hier diese Wiederholungen. Des weiteren:

Wenn nun, ihr Mönche, einer sagt: 'Außerhalb von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Gestaltungen will ich des Bewußtseins Kommen oder Gehen, Schwinden oder Entstehen, Wachstum, Entwicklung, Fülle verkünden' - so besteht keine Möglichkeit dafür.

Samyutta Nikaya 22.53 - d.h. das Bewusstsein, der vijnana-skandha, ist durch die anderen skandhas bedingt und kann nicht unabhängig von ihnen existieren.

Konkrete Hinweise, wie man sich nun den Vorgang des 'Wanderns in Samsara' vorzustellen hat, findet man in den Sutten nicht - offensichtlich empfand Shakyamuni Buddha solche Darlegungen als nicht hilfreich. In der Regel beantwortete er konkrete Fragen in dieser Hinsicht mit Verweisen auf pratityasamutpada oder indem er derartige metaphysische Spekulationen als 'unweises Nachdenken' verurteilte - was für nachfolgende Generationen allerdings kein Hinderungsgrund war und ist, solche Spekulationen anzustellen.

Als Beispiel dafür, wie die Theravada-Tradition die Sutren in Bezug auf 'Wiedergeburt' auslegt möchte ich mich im Folgenden auf das Visuddhimagga des Buddhaghosa beziehen. Zunächst die bekannte Stelle, die so anschaulich das Prinzip der 'Leere von einem Eigensein', anatman, wiedergibt:

Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Die Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es, doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen Wanderer sieht man da.
(Visuddhimagga XVI.4)

Folglich kann auch nichts durch die Existenzen wandern - obwohl eine karmische Verbindung zwischen verschiedenen Existenzen besteht:

Die in der Vergangenheit durch Karma bedingt entstandenen Daseinsgruppen [= skandhas, also Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, Wille und Bewusstsein], die sind eben dort erloschen. Durch das vergangene Karma aber bedingt, sind in diesem Dasein andere Gruppen entstanden; doch ist aus dem vergangenen Dasein nichts in dieses Dasein übergegangen. Auch die in diesem Dasein durch Karma bedingt entstandenen Gruppen [skandhas] werden erlöschen; doch wird aus diesem Dasein nichts in das künftige Dasein übergehen.
(Visuddhimagga XIX.8)

Wie nun die Aufeinanderfolge verschiedener Existenzen vorgestellt wird, erläutert zunächst Kapitel XIV des Visuddhimagga, in dem der Vijnana-skandha untersucht wird - dort ist von einem individuellen 'Bewusstseinstrom' oder 'Bewusstseinskontinuum' (bhavanga sota) die Rede. Allerdings keinem anfangs- und endlosen, sondern einem, das mit der Geburt ins Dasein tritt (patisandhi citta) und mit dem Sterben endet (cuti citta). Nyanatiloka gibt in seiner Übersetzung (die ich hier zitiere) 'patisandhi' bzw. 'patisandhi-vinnana' mit 'Wiedergeburt' und 'Wiedergeburtsbewusstsein' wieder, was vielleicht seine eigenen Ideen wiedergibt, aber nicht unbedingt den Text. 'Patisandhi' heisst 'Wiederverknüpfung', 'Regruppierung'. Was da wieder verknüpft und gruppiert wird, sind skandhas. Unmittelbar auf patisandhi ("Sobald aber das *Wiedergeburtsbewußtsein* geschwunden ist") folgt nun das 'Unterbewusstsein' bhavanga mit demselben Bewusstseinsobjekt. Das bhavanga ist nicht präexistent, es entsteht erst mit dem "Schwinden" des patisandhi-vinnana. Dieses bhavanga liegt nun sämtlichen folgenden Bewusstseinsprozessen zugrunde; die es konstituierenden Bewusstseinsmomente bilden das individuelle "geistige Kontinuum", das im Theravada gelehrt wird.

Der allererste Bewusstseinsmoment, das patisandhi-vinnana, initialisiert also ein permanentes Substrat, das sogenannte Bewusstseinskontinuum oder bhavanga-sota, das dann als tiefste Schicht des Bewusstseins karmische Prägungen aufnimmt. Diese 'Prägungen' sind das Bewusstseinsobjekt des Bewusstseinsubjektes bhavanga-sota. Ein 'Kontinuum' ist dieser Bewusstseinstrom, weil er auch im Tiefschlaf oder bei tiefer 'Bewusstlosigkeit' nicht abreisst - er ist der eigentliche Grund für die Kontinuität der empirischen Person. So wie patisandhi-vinnana der erste Bewusstseinsmoment dieses Bewusstseinsstromes ist, so ist das Sterbebewusstsein cuti-vinnana sein letzter. Der Bewusstseinsskandha ist dann auf seine tiefste Schicht, sein Substrat, reduziert bevor es unwiderruflich erlischt.

Pratityasamutpada, das bedingte Entstehen wird nun in Visuddhimagga XVII erläutert. Die 'Verknüpfung' zweier Existenzen, patisandhi, wird über ein karmisch gestaltetes Bewusstseinsobjekt hergestellt. Das Subjekt dieses Bewusstseinsobjektes ist zunächst ein Sterbebewusstsein, cuti-citta.
"Der allerletzte Unterbewußtseinsmoment in einem Dasein nämlich wird wegen seines Schwindens als das 'Abscheiden' (cuti, Sterben) bezeichnet".
Mit diesem "Schwinden" ist die Kontinuität eines Bewusstseins beendet, der Vijnana-skandha nicht mehr existent. Das Bewusstseinsobjekt wird nun als initialisierendes Objekt eines anderen Subjektes, eines neu entstehenden Bewusstseins, ergriffen. Eben dies ist patisandhi, der erste Bewusstseinsmoment eines neuen Vijnana-skandha.

Ein bloßes Phänomen ist's, ein bedingtes Ding, Was da ins Leben tritt im spätern Dasein. Nicht wandert es aus früh'rem Dasein dort hinüber, Und doch ist's nicht entstanden ohne früh'ren Grund. [...] Hierbei nun wird das frühere Bewußtsein wegen seines Abscheidens als das 'Sterben' (cuti) bezeichnet, das spätere Bewußtsein aber wegen seines Sichwiederverbindens mit dem Anfang eines neuen Daseins als die 'Wiedergeburt' (patisandhi, wörtlich 'Wieder- verbindung'). Nicht aber ist dieses Bewußtsein aus dem früheren Dasein in dieses herübergewandert, noch auch ist es entstanden ohne solche Anlässe wie Karma, Karmaformationen, Neigung, Objekt usw., wie man wissen sollte.
(Visuddhimagga XVII)

Nochmals - patisandhi ist der Moment, in dem ein neu entstehendes ("aufsteigendes") Bewusstsein, das als patisandhi-vinnana bezeichnet wird, ein Bewusstseinsobjekt ergreift, das vorher Objekt eines nicht mehr existenten (geschwundenen) Bewusstseins (cuti-vinnana) war. Zwischen cuti-vinnana und patisandhi-vinnana ist eine 'Nullstelle' (um den Begriff 'Kontinuum' physikalisch zu gebrauchen), ist die Grenze zwischen zwei individuellen geistigen Kontinua, die als bhavanga-sota bezeichnet werden. An dieser 'Nullstelle' existiert kein Bewusstsein, es existiert lediglich das Bewusstseinsobjekt als 'Verknüpfung'.

Wer bisher mitgelesen hat, wird sich nun vielleicht fragen, wie denn ein Bewusstseinsobjekt von einem Bewusstsein in ein anderes wechseln kann, als wäre es ein Frosch, der von einem Tümpel zum anderen hüpft. Das hieße praktisch, dass das Bewusstseinsobjekt (zumindest im Moment des Wechsels, der 'Nullstelle' zwischen den Bewusstseinskontinua) unabhängig von einem Subjekt existieren kann. Dieses Problem bleibt - soweit ich sehe - im Theravada-Abhidhamma ungeklärt. Die (nach dem Madhyamaka) zweite große Schule des Mahayana, die Yogacara- oder Vijnaptimatra-Schule, hat hier einen Lösungsansatz formuliert, indem sie ein zeitlich unbegrenztes, über-individuelles Kontinuum postuliert hat, das gewissermassen das Medium darstellt, mittels dessen karmische Eindrücke als 'Samen' (bija) oder 'Gewohnheitsenergien' (vasana) von einem untergangenen Bewusstsein in ein neu entstehendes eintreten können. Dieses Medium oder Kontinuum ist der alaya, der 'Speicher'. Die (gängigere) Bezeichnung 'alaya-vijnana' ist etwas verfänglich, da sie häufig die irrige Auffassung begünstigt, es handle sich um ein individuelles überzeitliches Bewusstsein - eines, das womoglich sogar ein Selbstbewusstsein hat. Das wäre natürlich nichts anderes als ein atman / brahman - Konzept. Der alaya-vijnana ist jedoch eher mit dem abendländischen Begriff 'Geist' (im Hegel'schen Sinn) verwandt - es ist der Seinsgrund aller Dinge, der durch karmische Impulse Form erhält, jedoch 'leer' im Sinne der anatman-Doktrin ist.

Bis hierher haben wir also zwei unterschiedliche Konzepte von geistigen Kontinua. Wir haben den individuellen, zeitlich begrenzten bhavanga-sota des Theravada-Abhidhamma und wir haben den überzeitlichen, aber auch jede Indivdualität übersteigenden und umfassenden alaya der Yogacarin. Lassen wir jetzt noch ein paar hundert Jahre die Wasser des Ganges weiterplätschern und im 7. Jahrhundert - weit über ein Jahrtausend nach Buddhas parinirvana - tritt in Nordindien ein Mann namens Dharmakirti auf, der sich vor allem als Logiker einen Namen machte. Bei ihm (bzw. in seinem Werk Pramanavarttika) finden wir nun die Wurzel der spezifisch tibetischen Vorstellungen von Reinkarnation. Diese beruhen - zusammengefasst - ebenfalls auf einem individuellen Bewusstseinsstrom, Bewusstseinskontinuum oder Geisteskontinuum (die Terminologie ist nicht einheitlich), das dem bhavanga-sota durchaus vergleichbar ist, nur dass dieses als anfangs- und endlos angesehen wird. Oder anders formuliert: ein alaya, das aber nicht monistisch (alles Sein umfassend) aufgefasst wird, sondern als individuelles Bewusstseinssubstrat. Aus dem einen alaya-vijnana der Yogacarin werden also unendlich viele, individuelle und überzeitliche Bewusstseinsströme. Ausgebaut, ausformuliert und schließlich bis in unsere Tage tradiert wurde diese Lehre dann im Anuttara-Yoga-Tantra (nicht vor dem 8. Jahrhundert u.Z. entstanden). Die Kagyupa (eine der vier tibetischen buddhistischen 'Sekten') führen außerdem noch gerne das Uttaratantra-Shastra an, das Asanga von dem zukünftigen Buddha Maitreya persönlich diktiert worden sein soll. Was natürlich ein krasser Anachronismus ist, wenn man es mit anderen Schriften des Yogacara-Begründers Asanga (geb. um 300) vergleicht. 'Entdeckt' wurde der Text von Maitripa (im 11. Jahrhundert u.Z.) .... Gemäß dieser Lehre wird jedem Wesen ein eigenes, isoliertes "geistiges Kontinuum" zugeordnet, das ohne Anfang und Ende ist und das nach dem Tod dieses Wesens auf Grundlage einer "subtilen Energie" oder eines "subtilen Körpers" weiterexistiert bis es sich "mit einer anderen physischen Grundlage fortsetzt" (die in Anführungszeichen gesetzten Passagen stammen aus einem einschlägigen Vortrag Alexander Berzins, vgl. hier). Würde ich um eine Definition von 'atman' oder 'Seele' gebeten, dann würde sie sich ziemlich genau so anhören.

Die Namen der Texte (Anuttara-Yoga-Tantra, Uttaratantra-Shastra) verraten es schon - wir sind hier im Vajrayana, dem esoterischen tantrischen Buddhismus und es ist nicht zu übersehen, dass hier in erheblichem Umfang hinduistische Vorstellungen Eingang gefunden haben. Diese tantrische 'Bewusstseinskontinuum-Theorie' hat keinen Eingang in den 'mainstream' des fernöstlichen Buddhismus (China, Korea, Japan, Vietnam) gefunden und selbstverständlich auch nicht in den Theravada-Buddhismus Sri Lankas und Südostasiens (Burma, Thailand, Siam, Kambodscha). Sie wurde nach dem Untergang des Buddhismus in Nordindien zu einer tibetischen 'Spezialität'.

Mittwoch, 13. Januar 2010

Papa Woytila revisited

Anlässlich einer Diskussion über die Anerkennung nichtchristlicher Religionen bzw. deren Wertschätzung durch die katholische Kirche hatte ich sie mal wieder hervorgekramt - die Enzyklika Redemptoris Missio ("Die Mission des Erlösers" ) vom 7. Dezember 1990. Ein bemerkenswerter Text - vor allem jenen ans Herz zu legen, die sich im interreligiösen Dialog engagieren bzw. sich dafür interessieren. Da sich die Enzyklika nicht gerade durch eine knappe, prägnante Formulierung auszeichnet, erlaube ich mir, hier ein paar Kernsätze zu zitieren. Auf die Gefahr hin, dass dem einen oder anderen diese Zitate als aus dem Zusammenhang gerissen und entstellend erscheinen. Der vollständige Text ist z.B. hier zu finden:
http://www.missio.at/fileadmin/media_data/downloads/themen/redemptoris_missio.pdf

"Christus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. [...] Die Menschen können demnach mit Gott nicht in Verbindung kommen, wenn es nicht durch Jesus Christus unter Mitwirkung des Geistes geschieht. [...] Andere Mittlertätigkeiten verschiedener Art und Ordnung, die an seiner Mittlerschaft teilhaben, werden nicht ausgeschlossen, aber sie haben doch nur Bedeutung und Wert allein in Verbindung mit der Mittlerschaft Christi und können nicht als gleichrangig und notwendiger Zusatz betrachtet werden. [...]

Der interreligiöse Dialog ist Teil der Sendung der Kirche zur Verkündigung des Evangeliums. [...] In Christus ruft Gott alle Völker zu sich [...]. Er macht sich auf vielfältige Weise gegenwärtig, nicht nur dem einzelnen, sondern auch den Völkern im Reichtum ihrer Spiritualität, die in den Religionen ihren vorzüglichen und wesentlichen Ausdruck findet, auch wenn sie "Lücken, Unzulänglichkeiten und Irrtümer" enthalten. Das Konzil und die folgenden lehramtlichen Äußerungen haben all das ausführlich unterstrichen und dabei immer daran festgehalten, daß das Heil und die Fülle der Offenbarung von Christus kommt und der Dialog nicht von der Verkündigung des Evangeliums enthebt. [...]

Ich habe jüngst den Bischöfen Asiens geschrieben "Wenn auch die Kirche gerne alles anerkennt, was in den religiösen Traditionen des Buddhismus, des Hinduismus und des Islam wahr und heilig ist [...] so mindert dies doch nicht ihre Pflicht und Entschlossenheit, ohne Zögern Jesus Christus zu verkünden [...]. Die Tatsache, daß die Anhänger anderer Religionen auch außerhalb der normalen Wege, die Christus festgelegt hat, die Gnade Gottes empfangen und durch Christus erlöst werden können, nimmt den Aufruf zum Glauben und zur Taufe nicht zurück, die Gott für alle Völker will. [...] Der Dialog muß geführt und realisiert werden in der Überzeugung, daß die Kirche der eigentliche Weg des Heiles ist und daß sie allein im Besitz der Fülle der Heilsmittel ist."


Die Enzyklika ist für Angehörige nichtchristlicher Religionen aus meiner Sicht weniger wegen der arrogant-herablassenden 'Anerkennung' von Interesse, sondern vor allem deswegen, weil sie unmissverständlich deutlich macht, was "interreligiöser Dialog" in den Augen des Vatikan eigentlich ist und wozu er dient - er ist Fortsetzung der Missionierung mit anderen Mitteln. Glücklicherweise sehen nicht alle Christen, die vor Ort tatsächlich diesen Dialog ganz konkret führen, das auch so.

Interreligiöser Dialog kann eine durchaus sinnvolle Sache sein, wenn er vernünftig gestaltet wird. Unter 'vernünftiger Gestaltung' verstehe ich dabei, dass man Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede feststellt und definiert. So kann ein solcher Dialog zum besseren Verständnis nicht nur der anderen, sondern auch der eigenen Religion beitragen; im Gegenüber gewinnen die Religionen Kontrast und Konturen. Wer meint, es ginge darum, aus falsch verstandenem Harmoniebedürfnis einen mehrheitsfähigen eklektischen Religionsbrei zusammenzurühren, hat das Anliegen des interreligiösen Dialogs nicht verstanden. Insofern liege ich mit meiner persönlichen Auffassung von Dialog durchaus auf der Linie dieser Enzyklika. Fundamentalisten unter sich ...

Eine Grundvoraussetzung eines solchen Dialoges ist es jedenfalls, dass die Beteiligten mit der Doktrin der eigenen Religion vertraut sind und damit im Dialog eine klare Position beziehen können. Ein westlicher 'Buddhist', der z.B. auf den lieben Gott ob mit oder ohne Sohn samt heiligem Geist und unsterblicher Seele nicht verzichten mag, hat alles Recht dazu und er hat Anspruch auf Respekt und Toleranz. Aber er hat nicht den Anspruch darauf, es im Dialog als buddhistische Position auszugeben, wenn er sich aus dem Dharma die ihm zusagenden Brocken herauspickt und das Ganze womöglich mit anagogischer Bibelexegese garniert. Ich will damit nichts über den 'Wert' der Privatreligionen solcher 'Grenzgänger' sagen. Sollen sie damit glücklich werden – das ist mein aufrichtiger Wunsch. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand sagt 'so geht's auch'. Wenn ich dagegen sage 'möglicherweise, aber der Dharma ist das nicht', dann erwarte ich den gleichen Respekt. Mit Intoleranz hat das nicht das Geringste zu tun. Der Dharma ist nun einmal keine 'anything goes' – Angelegenheit.

Eine weitere Voraussetzung interreligiösen Dialoges ist die Bereitschaft, etwas über die Religion des Dialogpartners zu lernen. Das muss nicht heißen, dass man dessen Positionen übernimmt, aber doch, dass man sich bemüht, sie zu verstehen. Dabei ist es hilfreich, wenn man wenigstens in Grundzügen mit der Dogmatik der jeweils anderen Religion vertraut ist. Dies bedeutet auch, dass man sich der anderen Religion vom Grundsatz her fragend nähert – nicht mit Vorurteilen. Jemand, der eine andere Religion a priori "nicht als gleichrangig" abqualifiziert, als "Lücken, Unzulänglichkeiten und Irrtümer" enthaltend, der disqualifiziert sich damit selbst für einen Dialog. Er will ihn offensichtlich auch gar nicht. Ihm geht es nicht um das Voneinander-Lernen, sondern um Polemik, wenn nicht gar Diffamierung. Dass gerade diese Art des Umgangs mit anderen Religionen bei den Christen eine lange und offensichtlich noch immer nicht ganz überwundene Tradition hat, wirft zwangsläufig die Frage auf, wie ernst es den christlichen Kirchen - insbesondere der katholischen - denn tatsächlich mit dem interreligiösen Dialog ist.

Ein interreligiöser Dialog kann nur auf der Grundlage gegenseitigen Respekts funktionieren. Das besagt zunächst einmal, dass jeder der Teilnehmer von der Grundannahme auszugehen hat, der Gesprächspartner KÖNNTE recht haben. Erst dann nimmt man den Gesprächspartner ernst, erst dann kann der Dialog auf gleicher Augenhöhe stattfinden. Auf einer solchen Ebene kann man dann über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Sicht sprechen und so voneinander und übereinander lernen. Eine solche Basis zu schaffen ist allerdings bei Religionen, deren Anhänger häufig den Anspruch erheben, die absolute Wahrheit für sich gepachtet zu haben, naturgemäß manchmal etwas schwierig und manchmal auch schlicht unmöglich

Ich habe größte Hochachtung vor einem konsequent gegangenen christlichen Weg und vor denen, die ihn gehen. Das Christentum selbst hat eine faszinierende Art, spirituelle Wahrheiten in einer Symbolsprache auszudrücken. Es ist allerdings eine Religion, die ich persönlich wie ein Kunstwerk betrachte - eine Religion, die mich ästhetisch anspricht. Natürlich auch die damit verbundenen Ausdrucksformen, sei es die Musik J.S. Bachs, sei es romanische Architektur usw. Ich kann die christliche Lehre nicht als Heilsweg annehmen - sie ist in sich kreisend, zeigt mir keinen Weg ins Freie, in die Freiheit. Andere sehen das anders und das ist auch in Ordnung, solange sie mich mit Missionierungsversuchen verschonen. Ich bewundere diese Religion als eine Kulturleistung - und auch hier finde ich es wie beim Buddhadharma höchst bedauerlich, wenn sie zum Ersatzteillager privat zurechtgezimmerter Do-ist-yourself-Patchwork-Religionen wird und dadurch ihre Schönheit und ihre innere Schlüssigkeit verliert.

Ein Dialog, zumal ein interreligiöser, lebt von Differenzen, von Unterschieden. Jede Religion hat ihre eigenen, spezifischen Heilsgewissheiten und solche Gewissheiten lassen sich nicht als ein Kompromiss unterschiedlicher Auffassungen neu aushandeln. So etwas befriedigt lediglich Harmoniebedürfnisse. Dahinter steht der Traum einer Einheits- oder Universalreligion - aber das wiederum ist nichts, als der alte Absolutheitsanspruch, der anscheinend untrennbar mit dem westlichen Religionsbegriff verbunden ist, im Tarngewand. Davon halte ich nichts. Und ich denke, auch die meisten Christen, die einen ernsthaften christlich-buddhistischen Dialog führen, nicht.

Donnerstag, 7. Januar 2010

Die Quelle des Herzsutra

Dieser Tage war ich wieder einmal damit beschäftigt, diese kleine Passage im Mahaprajnaparamita-Sutra zu suchen - es ist die Passage, die Edward Conze als 'Kern' des Herzsutras identifiziert hat. Der Korpus der Prajnaparamita-Sutren entstand als Ausarbeitung des Astasahasrika-Sutra (oder eines verloren gegangenen Vorläufers) als vermutlich ältestem Text der Gruppe (möglicherweise ist auch dessen Versform, das Prajnaparamita Ratnagunasamcayagatha, der ältere Text). Einer Phase von 'Aufblähung' der Prajnaparamita-Lehre vom Astasahasrika in 8.000 slokas (Versen) bis hin zum Satasahasrika-Sutra in 100.000 slokas folgte eine Phase, in der 'kondensierte' Texte entstanden, deren bekannteste das Diamantsutra (in 300 slokas) und das Herzsutra (in 25 slokas) sind.

Um mir zukünftig die Sucherei zu sparen (ich werde wohl n
och öfters darauf zurückgreifen), habe ich mir den hier vorliegenden Textabschnitt herauskopiert und die Gelegenheit genutzt, für diesen Blog eine deutsche Übersetzung zu erstellen. Ich habe mir mit Conzes Text nur wenig Freiheiten erlaubt - habe ihn jedoch zur Verdeutlichung mit Anmerkungen in eckigen Klammern versehen. Meine Vorliebe für die originalen Sanskritbegriffe mag man gerne als eitle Wichtigtuerei ansehen - ich finde, sie helfen, Missverständnisse durch unscharfe Übersetzungen zu vermeiden. Conzes Anmerkungen fehlen hier; bei tieferem Studium ist es ohnehin unerlässlich, seinen Text beizuziehen.

Nur noch zwei Hinweise: was genau mit den "sieben Leerheiten"
gemeint ist, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Conze verweist darauf, dass hier Differenzen zwischen dem Text des Satasahasrika und der Parallelstelle des älteren Pancavimsati-sahasrika Prajnaparamita Sutra (in 25.000 slokas) bestehen - der ältere (aber auch weniger ausführliche) Sanskrit-Text des Pancavimsatisahasrika spricht von "allen Leerheiten", der zentralasiatische (unrevidierte) Gilgit-Text hingegen von "zehn Leerheiten". Die philologischen Probleme, die die unterschied- lichen Versionen aufwerfen, sind äußerst kompliziert und fast nur noch von Spezialisten zu überschauen.

Zweitens: die von mir mit "Weil die Leerheit der Form nicht [über die indriya deren Objekte] formt" wiedergegebene Stelle enthä
lt ein eigentlich unübersetzbares Wortspiel mit skrt 'rupam' und 'rupayati'. Conze gibt 'rupayati' mit 'molests' wieder, das ich für zu sehr sinnentstellend halte. Ich habe mich für eine Deutung in Richtung 'formen' durch 'phassa', Kontakt, entschieden. Die tibetische Übersetzung gibt thogs-par byed-pa - 'auftreffen, auf Widerstand stoßen, hemmen', was meines Erachtens dazu passt. Conze tendiert zu einer Deutung in Richtung "Weil die Leerheit der Form keine Gestalt hat" ("form has no figure"). Ich habe mich dagegen entschieden, weil bei den anderen skandhas eindeutig auf deren Funktion Bezug genommen wird und Gestalt eben keine Funktion des rupaskandha ist, sondern das 'Gestalt geben' durch 'berühren' / 'abtasten' (im übertragenen Sinn) der Sinnesobjekte durch die Sinnesfähigkeiten.

Tibetische Teilübersetzung des Satasahasrika Prajnaparamit Sutra
(British Library, Fundort Dunhuang)

O Sariputra, ein Bodhisattva, ein großes Wesen, das mit der Leere der Form vereint ist, nennt man "vereint". Und ebenso, wenn es vereint ist mit der Leerheit von Empfindung usw. [den anderen skandhas]; von Auge bis Geist [den sechs Sinnesfähigkeiten, indriya]; von Seh-Objekt bis Geistesobjekt [den den indriya zugeordneten Objekten sinnlicher Wahrnehmung, visaya]; von Augen-Element, Seh-Objekt-Element, Augen-Bewusstseins-Element bis Geistes-Bewusstseins-Element [die 18 'Sinnessphären', dhatu, bestehend aus indriya und visaya - die 12 'Felder' sinnlicher Wahrnehmung, ayatana - sowie die 6 zugehörigen Bewusstseinsformen, vijnana-dhatu]; von Leiden, Entstehung [des Leidens], Anhalten [Überwindung des Leidens], Weg [zur Überwindung - die vier edlen Wahrheiten, aryasatya]; von Unwissenheit usw. bis zu Verfall und Tod [die 12 Glieder, nidana, von wechselseitig bedingtem Entstehen, pratityasamutpada]. Vereint mit der Leere aller dharmas [Seinselemente] wird es "vereint" genannt. Von welchen bedingten und nicht-bedingten dharmas auch immer es einen Begriff gefasst haben mag - vereint mit der Leere all dieser dharmas nennt man es "vereint".

Darüber hinaus, Sariputra, ein Bodhisattva, ein großes Wesen, das in vollkommener Weisheit [prajnaparamita] wandelt, sollte "vereint" genannt werden, wenn es mit der Leere der essenziellen, ursprünglichen Natur vereint ist. Deswegen, Sariputra, ist der Bodhisattva, das große Wesen, das in vollkommener Weisheit wandelt, wenn er mit diesen sieben Leerheiten [? - möglicherweise lt. E. Conze 1. skandha 2. indriya 3. visaya 4. vijnana-dhatu 5. aryasatya 6. nidana 7. dharmas] vereint ist, "vereint" zu nennen. Deswegen, Sariputra, sollte derjenige, der mittels dieser sieben Leerheiten in vollkommener Weisheit wandelt, aus diesem Grund [eigentlich] nicht einmal "vereint" oder "nicht vereint" genannt werden. Und warum? Weil er da nicht Form usw. als "vereint" oder "nicht vereint" wertet.

Er wertet Form usw. [die skandhas] nicht als dem Entstehen unterworfen oder als dem Vergehen unterworfen. Er wertet Form usw. [die skandhas] nicht als [durch Gier, Hass und Verblendung entstehenden] Trübungen [klesha] unterworfen oder Klärungen unterworfen. Er wertet nicht Form als sich verbindend mit Empfindung; Empfindung als sich verbindend mit Form; Empfindung als sich verbindend mit Wahrnehmung; Wahrnehmung als sich verbindend mit Empfindung; Wahnehmung als sich verbindend mit Willensimpulsen; Willensimpulse als sich verbindend mit Wahrnehmung; Willensimpulse als sich verbindend mit Bewusstsein; Bewusstsein als sich verbindend mit Willensimpulsen. Und warum? Weil kein dharma sich mit irgendeinem anderen dharma verbindet noch sich von ihm löst; es ist weder vereint noch nicht vereint - auf Grund der Leerheit ihrer essenziellen, ursprünglichen Natur. Das, was Leerheit ist, ist nicht Form usw. Weil die Leerheit der Form nicht [über die indriya deren Objekte] formt, die Leerheit der Empfindung nicht empfindet, die Leerheit der Wahrnehmung nicht wahrnimmt, die Leerheit der Willensimpulse nicht [die subjektive, emotional besetzte Erfahrungswelt] zusammensetzt, die Leerheit des Bewusstseins nicht bewusst ist. Und warum? Form ist nicht das eine Ding, und Leerheit ein anderes, Leerheit ist nicht das eine Ding und Form ein anderes. Die eigentliche Form ist Leerheit, die eigentliche Leerheit ist Form. Und ebenso bei Empfindung usw. [den andern skandhas].

Und diese Leerheit, die weder erzeugt noch angehalten wird, sie ist weder getrübt noch geklärt, nimmt nicht ab oder zu; und das, was weder erzeugt noch angehalten wird, weder getrübt noch geklärt, das ist nicht vergangen, zukünftig oder gegenwärtig. In ihr ist keine Form, keine Empfindung usw. [keine fünf skandhas]; kein Auge usw. bis: kein Geist [manas, also keine sechs indriya]; keine [visuell wahrnehmbare] Form usw. bis: keine Geistesobjekte [keine sechs visaya]; kein Augen[Bewusstseins]-Element usw. bis: kein Geistes-Bewusst- seinselement [keine sechs vijnana-dhatu]; kein Nichtwissen [avidya], kein Enden von Nichtwissen usw. bis: kein Verfall und Tod, kein Enden von Verfall und Tod [keine zwölf nidana von pratityasamutpada und keine Aufhebung der nidana]; kein Leiden [duhkha] und kein Verstehen von Leiden; kein Entstehen [Entstehen von duhkha, samudaya] und kein Aufgeben des Entstehens; kein Anhalten und keine Verwirklichung des Anhaltens [von duhkha]; keinen [edlen achtfachen] Pfad und kein Entfalten des Pfades; kein Erlangen und keine Wiedervereinung; keinen Stromeingetretenen [srotapanna] und keine Frucht [phala] des Stromeingetretenen usw. [skridagamin, anagamin und arhat, mit dem srotapanna die vier Stadien der Befreiung und ihre jeweiligen Früchte] bis: kein Bodhisattva und kein Wissen um die Arten des Pfades [die 'Fahrzeuge' der gerade genannten 'sravakas' und der Bodhisattvas]; kein Buddha und kein Erwachen. In diesem Sinne, Sariputra, ist es, dass ein Bodhisattva, ein großes Wesen das in vollkommener Weisheit wandelt, "vereint" genannt wird.

Mittwoch, 6. Januar 2010

New Kid on the Blog

Der Buhmann der deutschen Zen-Szene, der Frankfurter Übersetzer und Verleger (http://www.angkor-verlag.de/) Guido Keller, hat nun endlich seine schon vor Wochen ausgesprochene Drohung wahr gemacht und beglückt nun die Internet-Sangha auch noch mit einem eigenen Blog:
http://der-asso-blog.blogspot.com/
Das hat gerade noch gefehlt ...

Guido Keller treibt sich ähnlich wie ich schon geraume Zeit in der offenen Weite (nichts von heilig) des Internets herum und macht sich bei vielen Leuten unbeliebt. Ich stieß erstmals vor etlichen Jahren im Usenet auf ihn und bald hatten wir den schönsten Streit. Es sollten auf den unterschiedlichsten Plattformen noch viele fröhlich-verbissen und z.T. mit harten Bandagen öffentlich geführte Diskussionen folgen ...


Guido Keller hat eine Auffassung von Buddhismus allgemein und Zen speziell, die nicht gerade mainstreamkompatibel ist (was für sich genommen ja grundsätzlich noch nichts Schlechtes aussagt). Insbesondere seine Ansichten zu diversen ethischen Problemen - gerne mit dem Gestus zenbuddhistischer Orthodoxie vorgetragen - waren immer wieder Anlass für hitzige Auseinandersetzungen. Was durchaus positiv ist, da so etwas ja auch immer eine eigene tiefere Auseinandersetzung mit diesen Themen provoziert. Man kann sich wunderbar an ihm reiben - und sich selbst ein wenig zurechtschleifen dabei.

Natürlich gab und gibt es auch noch andere weniger konfliktträchtige Differenzen unterschiedlichster Art - beispielsweise sein Eintreten für Dr. Tony Pages eigenartige Exegese des Mahaparinirvana-Sutra oder seine verlegerische Entscheidung, den kostenfreien Zugriff über das Internet auf eine digitalisierte Version von Torakazu Dois Übersetzung des Avatamsaka-Sutra zu unterbinden und und und .... Manchmal ist der Mann wie ein Pickel am Arsch. Umgekehrt bin ich in seinen Augen wahrscheinlich ein sturer Dogmatiker und typischer Sektenbürokrat ...

Auch, wenn er mir manchmal auf den Wecker geht - in vielem sind wir durchaus auf ähnlicher Wellenlänge. Er hat einen eingebauten bullshit-Detektor - und auch ich bin jemand, der für jeglichen Obskurantismus wenig übrig hat. Etwas überempfindlich ist er, für meinen Geschmack, und manchmal kommen mir seine Kampagnen zu moralinsauer, zu rigoristisch herüber. Aber das ist Geschmackssache. Dass er sich aus tiefempfundener Verantwortung für eine gesunde Rezeption des Dharma im Westen engagiert, kann man ihm meines Erachtens durchaus abnehmen. Jedenfalls hat Guido Keller ein gutes Maß an gesundem Menschenverstand, der ihn auf Schwärmerei, kritiklose Verehrung und naive Gutgläubigkeit allergisch reagieren lässt. Macken, die auch in der (zen-)buddhistischen Szene gar nicht so selten sind.

Daher möchte ich sein Blog hier uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen - selbstverständlich mit dem immer angebrachten Hinweis, beim Lesen den eigenen Verstand nicht abzuschalten. Interessanter und unterhaltsamer als beispielsweise das harmonieschwangere Fanzine 'Buddhismus Aktuell' der DBU dürfte das, was es da zukünftig zu lesen gibt, allemal sein.