Freitag, 18. Juni 2010

Happy Birthday Oli!



Es ist etliche Jahre her, dass ich auf einem Flohmarkt in einer Grabbelkiste eine CD fand, deren originelles Cover (siehe oben) mir auffiel und die ich nach kurzem Studium des Booklets für wenig Geld kaufte.  Es war das Debutalbum von Oliver Schroer. Ich lernte damit einen Musiker kennen, der nicht nur mich reich beschenkt hat. Heute wäre er 54 Jahre alt geworden; er war ein wenig jünger als ich. Er war nicht nur ein bemerkenswerter Musiker, sondern auch ein bemerkenswerter Lehrer. So, wie ein Zen-Lehrer Gruppen von Zen-Praktizierenden initiiert, rief der Fiddler Oliver mit seinem Projekt 'The twisted Strings' Gruppen von Fiddlern ins Leben - zumeist Gruppen von 8 - 12 jungen Leuten, die seine Musik öffentlich und privat spielen. To go where no fiddlers have ever gone before ...



'Twisted Strings' ist sein wahrscheinlich größtes Geschenk an seine Mitmenschen. Etwas bekannter wurde er, als er sich 2004 mit drei Freunden, seine Geige und ein transportables Aufnahmestudium im Gepäck, zu Fuß auf einen 1000-km-Weg nach Santiago de Compostela machte. Wo immer er eine offene Kirche fand, deren Akustik ihm zusagte, wurde seine Pilgerfahrt zu einer akustischen Wanderschaft mit seiner Geige durch die spezielle Klanglandschaft dieser Kirche. 25 Stationen dieser Reise veröffentlichte er auf der CD 'Camino', sein kommerziell erfolgreichstes Projekt. Hier das Eröffnungsstück 'Field of Stars' - Campo Stella, Compostela.


 


Insgesamt veröffentlichte er 8 Alben unter eigenem Namen, an über 100 Alben anderer Musiker wirkte er mit; auch als Produzent war er erfolgreich. So bemerkenswert wie sein Leben war auch sein Sterben. 2007 wurde bei ihm die Diagnose Leukämie gestellt. Am 5. Juni 2008 gab er sein letztes Konzert, "Oliver's Last Show on His Tour of This Planet". Knapp einen Monat später, am 3. Juli 2008, verließ er diesen Planeten für immer. Seine letzte Komposition 'Poise' ('Gleichgewicht, Haltung') schrieb er am Tag davor ...



Deutsche Übersetzung:
Oliver Schroer: In Anmut vom Leben Abschied nehmen

Der Musiker Oliver Schroer legt seinen 1,98 m großen Körper quer über sein Einzelbett in der Leukämiestation des Princess Margaret Cancer Hospital in Toronto. Er ist umgeben von Computern, CDs, Lautsprechern, Karten und Photos sowie einem beladenen Ständer für Infusionsflaschen. Wie große, undurchsichtige Blätter an einem glänzenden Silberbaum hängen daran Beutel mit Blutkörperchen, Demerol und Flüssigkeiten.

Schroers buschiges Ziegenbärtchen, an die Chemo verloren, ist wieder gewachsen, doch nicht sein Kopfhaar. Er trägt eine rote, sexy-nerd-Brille und einen gestreiften Schlafanzug. Seine Muskelmasse ist wegen der Steroide atrophiert, so sieht er noch schlaksiger aus in diesem kleinen Raum, den er dankbar sein Zuhause nennt.

"Wegen der Anzahl meiner roten Blutkörperchen bin ich praktisch ein Bluter. Wenn ich hier wegginge und mit dem Kopf irgendwo anstoßen würde, könnte ich mir eine Gehirnblutung zuziehen. Also bin ich froh, hier zu sein."

Die Worte "froh" und "hier" passen gewöhnlich nicht zum  Princess Margaret Hospital. Aber Schroer ist kein gewöhnlicher Mann.

Er nimmt den Laptop, auf dem er eine neue CD abmischt, von einem Stuhl so dass ich an seinem Bett sitzen kann. Und dann spricht dieser rätselhafte, geschlagene Mann sachlich über seine tödliche Krankheit und seine Sicht des "Wasserfalls, vor dem wir alle stehen" - Tod.

"Wir sterben alle, weisst du", sagt er, mit entwaffnend stillem Lächeln.

Schroer mag das Sterben nicht fürchten, aber er scheut unproduktives Leben. "Das wird ein anderer Lernprozess sein. Wenn ich nicht klar denken oder Dinge tun kann ... wir werden sehen."

Ich frage ihn, was er glaubt, was geschehen wird, wenn er stirbt. Er antwortet ohne zu zögern.

"In dem Moment, wo wir durch dieses Portal treten, ordnen sich die Dinge neu auf so gründliche Weise, dass es jetzt für uns keinen Sinn ergeben kann. Ich habe das Gefühl dass, in dem Augenblick, wo ich hinübergleite, es einen absoluten Sinn haben wird. Und ich werde nicht zurück schauen."

Die Nacht, bevor ich ihn in seinem Heim im Krankenhaus besuchte, hatte er Ausgang, um seinen 52. Geburtstag im Haus eines Freundes zu feiern. An seinem Geburtstag vor 2 Jahren war er wie ein Komet auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Er hatte gerade seine CD 'Camino' veröffentlicht, mit großem Erfolg bei Kritikern und beim Publikum. 'Camino' wurde 2004 im Laufe zweier Monate produziert, als er und zwei Freunde den Camino de Santiago gingen, eine alte Wanderroute durch Frankreich und Spanien. In Kirchen entlang des Weges spielte Schroer seine Geige.
 Im Januar 2007 wurde er zu dem gewaltigen Celtic Connections Festival in Glasgow eingeladen und spielte dort Musik von der Camino-CD. "Ich fühlte mich ein wenig merkwürdig, aber ich schrieb es den langen Nächten zu und dem, was man in Schottland eben tut: trinken."

Doch als Schroer zurück nach Hause nach Vancouver flog, war er entschlossen, einen Bluttest zu machen. Er dachte sich, er könne früh am Morgen seiner Ankunft zuhause zum Labor fahren. Er war der erste im Wartezimmer. "Mein Arzt rief mich an diesem Tag um 10 Uhr abends zurück" sagt er. "Man möchte, dass Ärzte prompt reagieren. aber doch nicht so prompt."

Man sagte ihm, er habe eine Frühform von Leukämie. Geschockt, las er laut seine Blutwerte der Frau, mit der er zu dieser Zeit zusammenlebte und die zufällig eine auf Leukämie spezialisierte Krankenschwester war, vor. Sie brach in Tränen aus.

Auch wenn er sagt, die Diagnose habe ihn, wie die Schotten es ausdrücken, "gobsmacked", ergab sie auch Sinn für ihn. In den vergangenen sechs Monaten hatte er sich oft dabei ertappt, dass er Dinge sagte wie "ich hatte ein großartiges Leben. Es ist in Ordnung, jetzt zu gehen". Und dann dachte er: "Wow, was ein übler Gedanke ..."

Jetzt kommentiert er: "So, ohne zu denken, es sei mein Fehler, fühlte es sich an, als habe meine ganze Einstellung zum Leben zwangsläufig dazu beigetragen, dort zu sein, wo ich war."

Er entschloss sich zu einigen Veränderungen. Er zog nach Toronto, wo er einen großen Kreis von hilfsbereiten Freunden hat. Und sofort begann er mit der Aufnahme eines neuen Albums, dem berührenden 'Hymns and Hers'.

"Meine Musik wurde mehr zu einer spirituellen Sache - etwas, das von außerhalb meiner selbst kam. Ich wurde zum Kanal für etwas viel größeres. Das hat sich auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgeweitet."

Schroer startete einen Blog, um sich selbst und seiner Umgebung zu helfen, seine Krankheit zu bewältigen. Als er seinen ersten Blogbeitrag absandte, kamen 250 Emails zurück.

"Ich habe es herausgefordert. Aber das sind viele Emails."

Im November, nachdem er nach zwei Runden Chemotherapie und Bestrahlung in Rehabilitation geschickt wurde, kam er auf die Warteliste für eine Knochenmarktransplantation - wie man sagt die aussichtsreichste Methode, Leukämie zu besiegen. Ein anonymer Spender wurde gefunden und getestet, aber dieser Prozess dauerte länger, als irgendjemand vorhergesehen hatte.

Seine Transplantation war für den 2. November angesetzt. Am 1. November entdeckten seine Ärzte, dass die Leukämie zurück war. Die Knochenmarktransplantation wurde abgesagt.

Also gingen seine Ärzte direkt zu dem über, was Schroer den "Sattelschlepper unter den Chemos" nennt. Das Leiden war intensiv, aber in der ganzen Zeit hielt er an dem Gedanken fest "nun, das muss es jetzt erledigen."

Das Endergebnis war fast schlimmer als zu hören, dass es nicht gewirkt hatte. Das Wort war: "ungewiss". Und schließlich sagte sein Onkologe: "Wir können nichts für Sie tun."

Schroer blieb wütend zurück, frustriert, dass sich die Knochenmarktransplantation so lange verzögert hatte, so dass man das Zeitfenster um einen Tag verfehlt hatte. Der Gedanke, dass sie ihn hätte retten können, quälte ihn.

Dann bekannte eine Lieblingskrankenschwester: "Ich bin so glücklich, dass du es nicht getan hast." Eine Transplantation "mäht dich nieder" erinnert er sich, habe sie gesagt. "Du würdest platt auf dem Rücken liegen und massiv leiden. Du hättest dein Konzert oder deine Arbeit nicht machen können. Und wahrscheinlich hätte es ohnehin nicht gewirkt."

Weg war das "wenn nur ...". Gesegnet mit einer von Bedauern unbefleckten Reinheit der Absicht konzentrierte sich Schroer darauf, seine meistgeliebten Projekte zu beenden, sein Vermächtnis von Lehre und Mentorschaft zu festigen und "mein letztes Konzert auf der Erde" aufzuführen.

Das Konzert fand statt am 5. Juni, für ein Stehplatz-Publikum von 800 Menschen.

"Es war vollkommen" sagt Schroer mit einem Seufzen. "Es ließ nichts zu wünschen übrig. Was das Publikum angeht, fühlte es sich spirituell und sehr emotional an."

Schließlich war es ein Abschied.

Eines der schönsten Nebenprodukte des Abends, sagt er, war das Verbundensein der Menschen miteinander und ihre Bereitschaft, sich nicht in Scheu von seinem Tanz mit dem Tod abzuwenden. Er selbst tut es ganz klar nicht.

"Ich könnte verzweifelt den Tod bekämpfen, aber das ändert nicht das Geringste. Ich habe ein starkes Gefühl von Annehmen - in dem Sinne, nicht Gott zu verfluchen oder das Internet nach Heilkräutern zu durchsuchen - und gleichzeitig von Bemühung um mehr Zeit."

Sein Annehmen seines unmittelbar bevorstehenden Todes kommt aus der Art und Weise, wie er gelebt hat.

"Als Künstler habe ich zu meiner eigenen einzigartigen Stimme gefunden und war in der Lage, dieser Stimme öffentlich Ausdruck zu geben. Ich konnte mit verschiedenen wundervollen Musikern zusammenarbeiten. Was will ein Künstler mehr?"

"Ich bin einer dieser hell brennenden Kerle, die alles verfeuern und dann in den Flammen untergehen."


Um es mit dem Namen einer Deiner Kompositionen zu sagen: A Thousand Thank-Yous!




2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diesen Hinweis.
    Die Musik hat mich sehr berührt.
    Schade, dass O.S. schon gegangen ist.

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  2. Counterculture aus der Perspektive von 20 Jahre danach (1988). Rubin ist Interviewpartner

    Growing Up in America

    http://www.realeyz.tv/de/morley-markson-growing-up-in-america_cont2822.html

    Video on demand stream

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