Dienstag, 31. August 2010

Hilfe für Ladakh

Die erschreckenden Meldungen von den Überschwemmungen in Pakistan haben die Katastophe im benachbarten indischen Ladakh etwas aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verdrängt. Das hat sicher etwas mit der überwältigend großen Zahl der betroffenen Menschen in Pakistan zu tun, aber meines Erachtens nicht zuletzt auch etwas mit dem geopolitischen Interesse des Westens an Pakistan.

 Flutkatastrophen und das dadurch ausgelöste Elend kennen jedoch keine Grenzen. Am Freitag und heute erreichten mich zwei Emails einer Dharmaschwester -  zunächst aus Srinagar und dann heute aus Deutschland. Ich möchte Ihnen diese Nachrichten aus einer von den Medien und den großen Hilfsorganisationen weitgehend vergessenen Region hier zur Kenntnis geben - mit der Bitte um Hilfe.


Wie Ihr  wisst, haben wir alle in Ladakh eine sehr schwere Zeit durchgemacht. Wir haben die Angst, unter den aus den Bergen schießenden Schlammmassen  getötet zu werden, gemeinsam  aushalten müssen. Dann haben wir tagelang ohne Verbindung zur Außenwelt um das Wohl unserer Familien in Leh gebangt, geweint, gefürchtet. Unzählige Stunden habe ich am einzigen Telefon des Ortes, der fünf Tagesmärsche von der nächst erreichbaren Straße entfernt liegt, mit den  Frauen und Männern gehockt und auf Verbindung nach Leh gehofft und gebetet. Tausende Mantras sind über meine Lippen geflossen in der Hoffnung, meine Söhne in Leh mögen am Leben und wohl auf sein. Als dann endlich die erlösende Nachricht kam, dass Jonas und Mel gesund sind und in Leh dabei halfen, nach Vermissten zu  graben, hat das ganze Dorf meine Freudentränen geteilt und begleitet.

Dann begann ein fluchtartiger Rückweg . Mit drei Pferden und zwei wunderbaren jungen und mutigen Bauern aus Lingshed haben Ursel und ich uns durch die schlammspeienden Berge geschlagen. Die Flüsse waren durch den anhaltenden Regen so angeschwollen, dass wir nie wussten, ob wir sie heil überqueren konnten.

Am 20.8. erreichten wir das Kloster Lamayuru. Fünf fünftausender Pässe, unzählige Flussüberquerungen, Nächte im Regen voller Angst, großartige Fernblicke über die schneebedeckten Gipfel der Siebentausender, neun bis zehn Stunden zu Fuß und auf dem Rücken der Pferde täglich, lagen hinter uns. In Lamayuru warteten Jonas und Mel auf uns. Freude, Tränen, Erleichterung.  Nach über sieben Wochen eine heiße Dusche und ein richtiges Bett und etwas anderes zu essen,  als Reis und ein spinatähnliches Gemüse. Welch ein Luxus! Im Dukhang des Klosters verneigten wir uns tief vor den Buddhas.

Wir sind Zeugen einer Naturkatastrophe geworden. Wir haben erleben müssen, wie die Menschen die uns ans Herz gewachsen sind wie Geschwister, ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Wie sie auf der Flucht vor Wasser und Schlamm um ihr Leben rannten hinauf in die Berge und zusahen, wie ihre Häuser und ihr ganzer Besitz begraben wurden unter grauem Schlamm und rasenden Felsbrocken. Wir haben alles was wir noch hatten mit ihnen geteilt. Kleidung, Schuhe, Decken und und und. Wir haben unser Geld dagelassen, um die Not wenigstens ein wenig zu lindern. Wir haben getröstet und verzweifelt weinenden Freunden beigestanden.

Ich sitze am Flughafen von Srinagar in Kashmir während ich Euch diese Zeilen schreibe. Alle Flüge nach Leh/Ladakh sind gecancelt. Es regnet immer weiter und meine Augen füllen sich mit Tränen. In den nächsten Tagen schicke ich Euch ein paar Bilder dieser denkwürdigen Reise mit der dringenden Bitte auf ein Konto, welches ich in Deutschland einrichten werde, zu spenden. Ich selbst werde Sorge dafür tragen, das Euer Geld in die richtigen Hände gelangt.

Ich bin so dankbar, gesund, wenn auch mit Trauer im Herzen, zurück nach Hause zu kommen.
Ich grüße Euch von Herzen und freue mich, auf die Begegnungen mit Euch.
Anke

Einheimische und Touristen bilden Arbeitsketten
Liebe Freunde,
meine Söhne und ich sind wohlbehalten aus Ladakh zurückgekehrt. Wir sind dankbar, unversehrt von der schrecklichen Flut-Schlammkatastrophe wieder zu Hause angekommen zu sein. All die Eindrücke zu verarbeiten, wird sicher noch eine Weile dauern.

Wie in meiner mail aus Srinagar bereits angekündigt, schicke ich Euch/Ihnen hier die Spendenkontonummer zur Direkthilfe in Leh. Ich selbst werde Sorge dafür tragen, dass Euer/Ihr Geld in die richtigen Hände gelangt. Ich mache mir große Sorgen um meine Freunde vor Ort, zumal viele von ihnen im tibetischen Flüchtlingsdorf Choglamsar wohnen, was am Stärksten von den Schlamm-Fluten heimgesucht wurde. Nach neuesten Zahlen starben weit über 200 Menschen unter den Schlamm- und Trümmermassen, über 600 Personen werden noch immer vermisst. Die wunderbaren Menschen Ladakhs reagieren auf die Not mit ihrer zupackenden Einfachheit, aufopfernden Tatkraft und beeindruckenden Solidarität; ein Herzensthema aller mitfühlenden Menschen. Der lange und eisige ladakhische Winter naht und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die Menschen ohne Häuser und angemessene Kleidung und Decken zurecht kommen sollen.

Schlammmassen am und im Kinderheim


Das wertvolle Holz wird von den Kindern des Heimes gesammelt

 Kurz zum Hergang:
Bedingt durch sintflutartige Regenfälle in der Nacht auf den 6. August, kam es in der nordindischen Himalaya-Region Ladakh zu Überflutungen und Schlammlawinen. In den tiefer gelegenen Regionen des Industals um die Hauptstadt Leh, wurden unzählige Häuser weggerissen und es gab Todesopfer und Verletzte. Viele Einwohner stehen vor dem Nichts. Auch das Krankenhaus von Leh wurde von der mit zerquetschen Autos und riesigen Steinbrocken gefüllten Schlamm-Lawine extrem in Mitleidenschaft gezogen. Fast alle Räumlichkeiten haben sich mit bis zu einem Meter hohem Schlamm gefüllt, ob OP-Räume oder Kinderstation, annähernd der gesamte Maschinenpark ist zerstört. Die überlebenden Patienten wurden in der Nacht notdürftig evakuiert.

Krankenhaus Leh
Das tibetische Flüchtlingsdorf Choglamsar ist am Stärksten betroffen. Dort werden noch immer die meisten Menschen vermisst. Über 100 Menschen starben allein hier in der Schlammwelle in der Nacht zum 6.August. Die Aufräum - und Bergearbeiten werden noch Monate , wenn nicht Jahre, andauern.

Das Wetter in Ladakh ist noch immer sehr unbeständig, die Menschen leben voller Angst in Zelten in den umliegenden Bergen und beten Nacht für Nacht, dass der Regen aufhört.



Wenn Ihr/Sie Interesse habt, für die betroffenen Menschen vor Ort zu spenden ( auch kleine Beträge sind herzlich willkommen ), so bitte ich Euch/Sie dies zu tun auf unserem Direkthilfe-Konto unter dem Namen:

Schweitzer „Ladakh-Hilfe“
Konto: 204968039
BLZ:   37069840
Volksbank Wipperfürth-Lindlar


(keine Spendenquittung möglich!)

Ich werde die Gelder an vertrauenswürdige Ladakh-Hilfegruppen in Leh weiterreichen und einen Teil der Spenden gezielt betroffenen Personen und Familien vor Ort in Form der Direkthilfe übergeben. Über die Verwendung der gesamten Spendengelder werde ich Euch/Sie ausführlich informieren. Ich danke Euch/Ihnen für Euer/Ihr Vertrauen.

Anke Schweitzer





Freitag, 13. August 2010

Tathatā, Tathāgata-garbha, Ālaya-vijñāna

Heute serviere ich mal als Vorspeise einen dicken Kloß. Schaun wir mal, ob das Maul groß genug ist und es auch mit dem Kauen und Schlucken klappt. Folgendes Zitat stammt aus  'The Philosophy of Buddhism: A "Totalistic" Synthesis' von Alfonso Verdù, The Hague, M. Nijhoff 1981, ISBN 9024722241. Ich habe es aus dem Englischen übersetzt - ob es dadurch allerdings wesentlich verständlicher wurde, will ich mal offen lassen.

Wang Cheng, *1965, Berichte aus dem Irrenhaus, 1995
DIE "TOTALITÄT" DER SUBSTANZ

Auf Tathatâ (Soheit) hat man sich bezogen als die "Essenz aller Phasen und Aspekte des Seins in ihrer Totalität". Das chinesische t'i (Körper) ist hier als der ursprüngliche "Körper des Seins" zu übersetzen, auf das universelle Substrat hindeutend, das allen "Aspekten von Verkörperung in ihrer Totalität" zugrunde liegt. Später wird im Text das Wort tzu-t'ti (Jap: jitai) verwendet in der Bedeutung des reinen Potentials zu handeln, die der "verborgenen" Essenz alles Seins innewohnt. In diesem Sinne wird t'i hier als die Substanz übersetzt, namentlich als der "verborgene" Aspekt einer sich beständig selbstenthüllenden und selbstverkörpernden Tathatâ. Diese Substanz bedeutet Tathatâ, d.h. die Essenz in ihrem Aspekt uranfänglicher "Nicht-Manifestation": Substanz ist die nicht-manifeste Essenz. An sich jedoch ist das Unmanifestierte da, um sich zu manifestieren, was heisst, dass es die Essenz des Unmanifestierten ist, sich zu manifestieren. Die Wahrheit dieser Aussage impliziert daher die inhärente und und essentielle Bestimmung von Tathatâ, auf Manifestation hin zu agieren. In Anbetracht dieser Bestimmung zu agieren kann man sich die Substanz als drei komplementäre Aspekte umfassend vorstellen: (I) die Substanz "an sich"; (II) die Substanz "als Agens"; (III) die Substanz "als Patiens".

I. DIE SUBSTANZ "AN SICH": BHÛTA-TATHATÂ

Die Substanz "an sich" bedeutet die "reine" Essenz von Tathatâ in ihrer bloßen, unbestimmten und leeren Einheit. Sie bezeichnet den Aspekt eigentlicher Unveränderlichkeit (pu-pien; Jap; fuhen) der letzgültigen Realität als absolute Unzerstörbarkeit. Sie ist Ausdruck der tiefsten Ruhe und der Unbeweglichkeit des ersten unbewegten Bewegers, dessen Bewegung es ist, sich selbst zu bewegen ohne sich selbst in seiner immerwährenden Unveränderlichkeit "fortzubewegen"; denn es ist seine unendliche Kapazität, sich selbst zu bewegen, die sich "in sich selbst" nicht ändert und nie endet, und in dieser Hinsicht ewig ein und dasselbe ist.

II. DIE SUBSTANZ "ALS AGENS": TATHÂGATA-GARBHA

Als essentielle Kapazität zu agieren ist die Substanz "an sich" zu verstehen im Sinne von Potential, das "Veränderliche" als das Andere des "Unveränderlichen" zu setzen, das "Bestimmte" als das Andere des "Unbestimmten", das "Viele" als das Andere des Einen. So ist Tathatâ das Potential zu "Aktivierung", die Entfremdung und Anders-Sein von sich selbst setzt. Diese "Aktivierung" repräsentiert daher den Yang-Aspekt der Essenz oder die "Essenz als Agens". Die "Essenz als Agens", in ihrer begriflichen Bedeutung, setzt die Pluralität potentieller Bestimmungen voraus als entgegen gesetzt zur unbestimmten Einheit, die die Essenz in sich selbst ist. Dieser Aspekt der "Essenz als Agens" wird Tathâgata-garbha genannt, oder "der Schoß der Emfängnis aller möglichen Wesen die als solche So-Gekommen sind". Tathâgata-garbha ist hier in seinem universellen Aspekt gemeint, so wie dieser Ausdruck oft vom Lankâvatâra-sûtra und von der "Vertrauenserweckung" gebraucht wird. Tathâgata-garbha beinhaltet den dynamischen Aspekt von Tathatâ "für sich", während die "bloße Einheit und Unbestimmtheit" das potentiell "Andere" ist. Somit als "Agens", setzt Tathâgata-garbha sich selbst als die Substanz "des Anderen".

III. DIE SUBSTANZ ALS "OBJEKT DES EINWIRKENS": ÂLAYA-VIJNÂNA (CHIN.: A-Ll-YEH SHIH)

Tathatâ ist Kapazität zu wirken. Jedoch hat diese Kapazität zu wirken nichts, auf das sie wirken kann außer Tathatâ selbst. Insofern Tathatâ Kapazität zu wirken ist, ist sie auch Kapazität, die primären Effekte seines eigenen Wirkens zu empfangen. Daher ist Tathatâ als Agens auch das Patiens; d.h. sie ist der einzige Empfänger und Träger des "Anderen seiner Einheit", das die Mannigfaltigkeit seiner eigenen Wirkungen ist. Tathatâ, als "Empfänger" der allerersten Wirkungen des Wirkens, das sie selbst setzt, betrachtet, wird Âlaya-vijnâna genannt. Als solches setzt es sich selbst in Gang als Reservoir und Depot der primären Wirkungen universeller Verursachung, was traditionell das "Eindringen der Samen der Mannigfaltigkeit" genannt wird. Als Rezipient dieses Eindringens verdrängt und hebt die eine Substanz das "Anders-Sein" des möglichen Vielen auf, denn das Viele kann Tathatâ nur immanent und mit ihm identisch sein insofern es nicht nur das "wirkende" Prinzip (Tathâgatha-garbha) ist sondern auch und untrennbar davon das "Objekt des Einwirkens" (Âlaya-vijnâna). Schließlich: Tathatâ als "Objekt des Einwirkens" und als Empfänger all der "Samen der Mannigfaltigkeit" setzt die "Reflexivität" von Tathatâ als "Substanz für sich". Daher bezeichnet Âlaya-vijnâna das "Auf-Sich-Selbst-Zurückkommen" von Tathatâ in ihrer Kapazität zu wirken, wie sie es aus ihrer Gleichheit und Einheit in das "Andere" tut und dabei die Differenz dieses "Anderen" innerhalb der "Identität" ihrer Gleichheit wieder aufhebt.

Der Ausdruck âlaya-vijnâna, insofern er zusammengesetzt mit dem Nomen âlaya (Speicher, Lagerhaus) ist, kennzeichnet offensichtlich seinen passiven Charakter als Empfänger des "Eindringens" und "Bewahrer" der universellen "Samen". Insofern er mit dem Nomen vijnâna
(Erkenntnisvermögen, Bewusstsein) zusammengesetzt ist, enthüllt er direkt das ideo- oder psychogenetische Konzept von Realität, das die Wurzel des Totalismus bildet, wie er von der "Vertrauenserweckung" und von der Hua-Yen-Schule vertreten wird. Dinge sind keine Substanzen, sondern strukturierte Gewebe von Ereignissen. Der ganze Prozess von Selbst-Bestimmung und Selbst-Verkörperung, der Tathatâ inhärent ist, ist transzendental ganz und gar ein "bewusstseinserzeugender" Prozess, wo alle Phasen und Aspekte raum-zeitlichen Seins begründet werden durch die Gefühls-, Sinnes- und Gedankenentfaltung sowohl von individuellem wie universellem Geistes-Handeln; sei es in seinen Aspekten "begrenzten Wissens" (Aspekt der Nicht-Erleuchtung") oder in seinen Aspekten "unbegrenzten Wissens" (Aspekt der Erleuchtung). So wird, während wir uns vorbereiten, die "Totalität" der Funktion von Tathatâ, wie sie sich selbst bestimmt, zu erläutern, der umfassende, universell "noetische" (kognitiv-volitive) Charakter dieser Funktion herausgestellt. Es ist in diesem Sinne, wenn es in der "Vertrauenserweckung" heisst:

"Der Geist, in seinem Aspekt der Verursachung, gründet im tathâgatagarbha. Was âlayavijnâna genannt wird, ist jenes (Prinzip), in dem die Abwesenheit von "Geburt und Tod" (Unbegrenztheit) harmonisch mit "Geburt und Tod" (Begrenztheit) koexistiert ... Der âlayavijnâna hat zwei Aspekte (von Potenzialen), die alle Phasen und Zustände von Sein beinhalten und hervorbringen, namentlich: (I) den Aspekt der Erleuchtung und (II) den Aspekt der Nicht-Erleuchtung."
Dies bedeutet, dass Tathatâ als "Speicher des Bewusstseins" all die "Samen" (bîja) des multiplen, sich ewig entwickelnden Prozesses empfängt und enthält, durch die Tathatâ sich selbst zu einem Zustand "begrenzten Wissens" (Chin: pu-chüeh; Jap: fukaku) bestimmt, der in Konsequenz ebenfalls ein Zustand des Nichtwissens ist. Jedoch enthält sie gleichermaßen ein inhärentes "Potential der Erleuchtung" wodurch sich dieser Zustand "begrenzten Wissens" (was Individualisierung und Partikularisierung als subjektive und objektive Bestimmungen impliziert) in der Lage ist, sich zum "Zustand des (uneingeschränkten) Wissens" (Chin: chüeh; Jap: kau) zu entwickeln, wodurch die Bestimmungen, die durch "begrenztes Wissen" gesetzt wurden, wieder zur ursprünglichen Unendlichkeit (von wo der gesamte Prozess ausging) aufgehoben werden.

Insofern vom âlaya-vijnâna gesagt wird, es "speichere" diese beiden Aspekte von Potentialität, namentlich (1) pu-chüeh (Jap: fukaku) = Nicht-Wissen (oder begrenztes Wissen, Nicht-Erleuchtung) und (2) chüeh (Jap: kaku) = Zustand uneingeschränkten Wissens (oder der Erleuchtung), ist der aktive Prozess, durch den Tathatâ sich selbst in absoluter Freiheit bestimmt, formell mitbezeichnet und dadurch wird diese Funktion explizit. Somit setzt der Begriff des âlaya-vijnâna mittels "Komplementarität" den Begriff der Funktion an sich voraus.

Genau so ist es.

Auch wenn sich der Witz nicht auf Anhieb erschließt - das Zitat entbehrt durchaus nicht der Komik. Komik hat zumeist etwas mit Inkongruenzen zu tun - wenn sich beispielsweise tatsächliche Umstände und deren Wahrnehmung oder Interpretation nicht decken. Und die Inkongruenz zwischen stillem Sitzen, zwischen heiter-gelassenem Widerspiegeln ohne Er- und Begreifen des Widergespiegelten durch Begriffe einerseits und solcher Begriffsakrobatik auf hoher Abstraktionsebene andererseits ist schon sehr erheblich. Nicht zuletzt zeigt auch die 'Uneigentlichkeit' der verwendeten Begriffe (die inflationäre Verwendung von Anführungszeichen ist da ein deutliches Merkmal) die Fleisch- und Blutlosigkeit solch theoretischen 'Begreifens' in Kontrast zur ganz und gar konkreten Präsenz im Sitzen, im Zazen.

Darüber hinaus beschlich mich beim Übersetzen das eigenartige Gefühl, als würde da jemand meine eigenen Gedankengänge, den "Theoriensport", dem ich mich gelegentlich hingebe, parodieren ... Insofern sind Sie als Leser herzlich eingeladen, sich mit mir über mich und den zitierten Text zu amüsieren. Insbesondere, wenn sie der Argumentation nicht folgen mögen oder können - betrachten Sie den Text ruhig als letzlich sinnfreie Persiflage.

Natürlich kann man den Sachverhalt auch anders ausdrücken.

Ein Mönch fragte. "Was ist die Essenz von Buddhas Lehre?"
Der Meister stieß einen Schrei aus.
Der Mönch verbeugte sich tief.
Der Meister sprach: "Dieser hervorragende Mönch ist von der Sorte, zu der es sich  zu sprechen lohnt."

Nun ist Rinzais Auskunft (um eben jenen Meister handelt es sich; die Szene finden wir am Beginn des Rinzai Roku) zwar weniger geschwätzig als die von Alfonso Verdú, aber deswegen nicht richtiger. Oder weniger falsch. Es ist lediglich eine andere Form, in der der  Essenz von Buddhas Lehre Ausdruck gegeben wird.

Es kann für den Aspekt "unbegrenzten Wissens" (um damit eine Formulierung Verdús aufzugreifen) keinen adäquaten begrenzten Ausdruck geben - und begrenzt ist der Schrei Rinzais ebenso wie die philosophische Vorlesung. Rinzai wäre kein Meister gewesen, hätte er selbst dies nicht genau gewusst. Sagt er doch kurz vor der Frage des Mönchs:

"Wenn ich die Grosse Angelegenheit der Lehre Buddhas vom Standpunkt eines Angehörigen der Schule der Zen-Patriarchen erörtern sollte, dann könnte ich nicht einmal meinen Mund öffnen und ihr wüsstet nicht, wo ihr eure Füße hinstellen sollt."
Ist Schweigen der "unbegrenzte Ausdruck" "unbegrenzten Wissens"? Wohl kaum - denn auch Schweigen ist begrenzt durch das Nicht-Schweigen. Es hat jedoch den Vorteil, "unbegrenztes Wissen"  sich selbst ausdrücken zu lassen und eben diesen Ausdruck nicht übertönen zu wollen. Schweigen gibt uns Gelegenheit, den Klang dieses Ausdrucks wahrzunehmen, uns von ihm durchfließen zu lassen und in ihm mitzuschwingen. Und dann können wir auch den Versuch wagen, unser Nicht-Schweigen zu einem harmonischen Teil dieses Klanges werden zu lassen. Und ob da nun Rinzais Schrei harmonischer tönt oder Alfonso Verdús philosophische Erörterung - allein hier zu unterscheiden, geht schon an der Sache vorbei.






Vom Wenden des Sutra

Angeregt zur Beschäftigung mit Verdú hat mich die zu Beginn dieses Monats auf Guido Kellers Assoblog in vier Teilen veröffentlichte Einführung Dr. Tony Pages in das Mahaparinirvana-Sutra. Die dort dargestellte Auffassung speziell von Tathāgata-garbha weicht erheblich von der Auffassung, wie sie Verdú vor allem anhand des Mahayana Shraddotpada Shastra (der Ashvagosha zugeschriebenen "Vertrauenserweckung") entwickelt, ab. Nun wollen wir ja die Frage nach der 'Harmonie' unterschiedlicher Aussagen vermeiden - aber die Frage, ob der Grund dieses Unterschieds nun bei Dr. Page oder beim Mahaparinirvana-Sutra liegt, darf man sicher stellen. Wobei die Antwort wohl lauten muss: sowohl als auch ...

Das Mahaparinirvana-Sutra ist ein durchaus komplexer und in seinen Aussagen nicht einheitlicher, ja gelegentlich widersprüchllicher Text. Die berühmteste Kontroverse um dieses Sutra entzündete sich freilich nicht an der Frage eines 'Tathāgata-garbha-Buddhismus' - mag es nun einen solchen historisch tatsächlich gegeben haben oder nicht - sondern am Konzept der Icchantika. Wesen, die 'agotra' sind (wörtl. 'Nicht-Familie', also Ausgeschlossene). D.h. Wesen, die nicht in der Lage sind, Erwachen zu verwirklichen. Oder, wie es im Mahaparinirvana Sutra heisst:
"Was ist ein Icchantika? Ein Icchantika schneidet [in sich selbst] alle Wurzeln guter Taten ab und sein Geist ruft keinerlei Assoziationen mit dem Guten hervor. Nicht einmal der kleinste Gedanke an Gutes steigt auf."
 Eine Kontroverse, die insbesondere wegen der ethischen Konsequenzen (vor allem in Hinsicht auf die Frage, ob das Töten von Icchantika karmisch neutral ist) von wegweisender Bedeutung für die Entwicklung des Buddhadharma in Fernost war und mit dem Namen  Chu Tao-shen verbunden ist. Ich möchte hier auf diesen Aspekt nicht näher eingehen - er soll nur verdeutlichen, dass dieses Sutra sehr unterschiedlich gelesen werden kann - womöglich, weil die Urheberschaft bei mindestens zwei verschiedenen Buddhas zu suchen ist, die nicht in allem einer Meinung waren ...

Solche Überlegungen führen uns zu einer Frage von grundsätzlichem Interesse. Nämlich zu der, wie wir mit tatsächlichen oder vermeintlichen Widersprüchen in den Sutren (oder in unterschiedlichen Interpretationen der Sutren) umgehen. Die Frage stellt sich noch deutlicher, wenn wir sie nicht nur an ein einzelnes Sutra  wie das Mahaparinirvana-Sutra stellen, sondern an den Korpus der schriftlichen Überlieferung insgesamt.

Das Problem verdeutlicht sich, wenn wir es im Lichte der frühen Phase der europäischen Auseinandersetzung mit dem Buddhadharma betrachten - eine Auseinandersetzung, die nahezu ausschließlich über  die Rezeption buddhistischer Texte erfolgte. Bereits recht früh (Minayeff 1894) bemerkte man inhaltliche Inkonsistenzen im Palikanon, die man auf  ältere und jüngere Überlieferungsschichten zurückführte. Da lag dann das Projekt nahe, eine Stratigrafie (zeitliche Abfolge) dieser Überlieferungsschichten zu erstellen und so einen 'Urbuddhismus' zu rekonstruieren. Ein auch für westliche buddhistische Laien interessanter Ansatz, liegt es doch nahe, einen solchen Urbuddhismus mit 'wahrem Buddhismus' zu identifizieren und von 'falschem Buddhismus' (degeneriertem, verfälschten, entarteten ...) abzugrenzen.

Das letzlich nicht befriedigend lösbare Problem dabei ist - nach welchen Kriterien erstellt man diese Stratigrafie? Insbesondere bei den populär gewordenen Rekonstruktionsversuchen eines 'ursprünglichen Buddhismus', wie er von Gautama Shakyamuni selbst gelehrt worden sein sollte, war das Kriterium ein postuliertes Modell - Texte, die sich widerspruchslos in dieses Modell einfügten, galten als (zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit) original, andere als spätere, verfälschende Zutaten. Vereinfacht gesagt: man pickt sich heraus, was einem passt - alles Andere wird aussortiert. Natürlich erhält man, je nachdem welches 'Modell' man benutzt, auch unterschiedliche 'Urbuddhismen'. Wissenschaftlich ist ein solcher Ansatz natürlich nicht; er wurde auch von der Indologie recht bald aufgegeben, wofür Namen wie Stcherbatsky und Rosenberg stehen. Was freilich nichts daran änderte, dass sich solche 'Urbuddhismen' als recht zählebig erwiesen. Natürlich ist gegen sie nichts einzuwenden - lediglich gegen einen fundamentalistischen Anspruch, den einzig wahren und echten Buddhismus zu verbreiten.

Dieser etwas umständlich-weitschweifige Ausflug in die Geschichte westlicher Buddhismusrezeption soll eigentlich nur eines illustrieren: Im Wesentlichen lesen wir - wir alle - aus den Sutren nur das heraus, was wir selbst in sie hineinlegen. Gerade hier liegt der Grund für die Skepsis des Zen gegenüber der schriftlichen Überlieferung. Wobei diese Skepsis sich nicht gegen die Sutren richtet - sie richtet sich gegen das Sich-Stützen auf die Sutren. Die Sutren sind keine Stütze, sie sind ein Spiegel. Das, was wir in sie hineinlegen, das ist bedingt durch unsere Praxis des Edlen Achtfachen Pfades und verändert sich, entwickelt sich weiter durch eben diese Praxis. Damit verändert  und entwickelt sich auch das, was wir aus ihnen herauslesen. Und das, was wir herauslesen, ist immer ein kleines bißchen mehr als das, was wir hineingelegt haben. Jedenfalls, so lange wir unseren Weg gehen und nicht auf ihm stehenbleiben.

Erst wendest du  das Sutra, dann wendet das Sutra dich. Dann wendest du das Sutra ...

Das Wandern des Geistes
ist Gewendet-Werden durch die Blume des Dharma
Das Erwachen des Geistes
ist sein Wenden der Blume des Dharma
Wenn das, was wir verwirklichen, voll und ganz so ist
Dann ist es die Blume des Dharma,
die das Blühen des Dharma in Gang setzt
(Dogen, Shobogenzo Hokke Ten Hokke)

Freitag, 6. August 2010

In Memoriam

Das Vergessen führt in die Verbannung; das Geheimnis der Erlösung liegt in der Erinnerung.
(Baal Shem Tov)










Richard Benz, bis vor gut einem Jahr Bürgermeister von Büchel, hat da andere Sorgen als Tadatoshi Akiba, Bürgermeister von Nagasaki. Ausweislich der offiziellen Webseite der Gemeinde Büchel ist man dort mit der Nachbarschaft des Jagdbombergeschwaders 33 ausgesprochen zufrieden.

Vielen Deutschen geht es ähnlich wie den Bürgern Büchels. Deutschland hatte das Glück, gut zwei Monate vor der Einsatzfähigkeit der Atombombe zu kapitulieren. Es gibt daher in Deutschland keine Hibakusha. Ein Grund, sich deren Erinnerungen nicht zu eigen zu machen? Den Klang der Glocke zu überhören?