Donnerstag, 25. November 2010

Adorno Zenji revisited


Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.
- Walter Benjamin -

In der Tenpuku-Fassung seines Fukan Zazen Gi gibt Dogen die Anweisung "Immer wenn ein Gedanke auftaucht, sei dir seiner bewusst; sowie er dir bewusst ist, wird er verschwinden. Wenn du für einen längeren Zeitraum achtlos gegenüber Objekten bleibst [d.h. sie nicht abweist und nicht an ihnen haftest], wirst du auf natürliche Weise vereinheitlicht." Ich verstehe diesen Satz, den Dogen aus dem 'Meditationshandbuch' Zuochan yi (坐禪儀, um 1100 u.Z. entstanden) des Zenmeisters Changlu Zongze (長蘆宗賾, Daten unbekannt) übernommen hatte, in Richtung einer Vereinheitlichung von Körper (身, kaya) und Geist (心, manas) - die genannte Geisteshaltung und die im Fukan Zazen Gi unmittelbar davor behandelte Körperhaltung werden eins. Dieser vereinheitlichte shinjin (身心 - Körper-und-Geist) ist es, der sich in der Übung des Zazen 'löst und abfällt' (脱落, datsuraku) im Sinne eines Aufgehens in einem nichtpersonalen 'shinjin' - dem der Buddhas und Patriarchen.

Eine kürzliche Diskussion über den Begriff 'shinjin' bei Dogen hat mich dazu veranlasst, mich nach längerer Zeit noch einmal mit dem altbekannten Problem des Geist-Körper-Dualismus zu beschäftigen. Näher in der angesprochenen Diskussion ventilieren wollte ich das nicht - es wäre eine Sisyphusarbeit gewesen. Seit den Zeiten Parmenides bis hin zu Antonio Damasio ist derart viel unschuldige Tinte über dieses Thema vergossen und vergeudet worden, ohne dass dies der Menschheit zu einem merklichen Erkenntnisgewinn verholfen hätte, so dass ich Diskussionen über dieses Thema für sinnlos halte. Hier ist ein Verständnis nur auf praktische Art und Weise zu erlangen.

Trotzdem hat mich das Thema ein wenig zum Stöbern im Bücherregal angeregt - spukte mir da doch eine interessante dialektische Annäherung an dieses Thema noch im Hinterkopf. In Theodor W. Adornos Bestseller von 1966 'Negative Dialektik' wurde ich dann fündig. Da Adorno hier (was mich selbst überraschte) eine schöne Brücke von der dialektischen Untersuchung des Geistesbegriffes hin zur Überwindung des Leidens als Aufgabe der Gattung Mensch (nicht des Einzelnen - der Kern der Bodhisattva-Idee) schlägt, möchte ich dieses Zitat meinen Lesern nicht vorenthalten. In der Taschenbuchausgabe des Raub-Verlages findet es sich auf S. 200ff:

Theodor W. Adorno (1903 - 1969)

"Die Kontroverse über die Priorität von Geist und Körper verfährt vordialektisch. Sie schleppt die Frage nach einem Ersten weiter. Hylozoistisch fast geht sie auf eine ἀρχή, der Form nach ontologisch, mag selbst die Antwort inhaltlich materialistisch lauten. Beides, Körper und Geist, sind Abstraktionen von ihrer Erfahrung, ihre radikale Differenz ein Gesetztes. Sie reflektiert das historisch gewonnene >Selbstbewußtsein< des Geistes und seine Lossage von dem, was er um der eigenen Identität willen negiert. Alles Geistige ist modifiziert leibhafter Impuls, und solche Modifikation der qualitative Umschlag in das, was nicht bloß ist. Drang ist, nach Schellings Einsicht*, die Vorform von Geist.

Die vermeintlichen Grundtatsachen des Bewußtseins sind ein anderes als bloß solche. In der Dimension von Lust und Unlust ragt Körperliches in sie hinein. Aller Schmerz und alle Negativität, Motor des dialektischen Gedankens, sind die vielfach vermittelte, manchmal unkenntlich gewordene Gestalt von Physischem, so wie alles Glück auf sinnliche Erfüllung abzielt und an ihr seine Objektivität gewinnt. Ist dem Glück jeglicher Aspekt darauf verstellt, so ist es keines. In den subjektiv sensuellen Daten wird jene Dimension, ihrerseits das dem Geist Widersprechende in diesem, gleichsam zu ihrem erkenntnistheoretischen Nachbild abgeschwächt, gar nicht so verschieden von der wunderlichen Theorie Humes, der zufolge die Vorstellungen, ideas - die Bewußtseinstatsachen mit intentionaler Funktion - blasse Abbilder von Impressionen sein sollen. Bequem ist diese Lehre als insgeheim naiv-naturalistisch zu kritisieren. Aber in ihr zittert ein letztes Mal das somatische Moment erkenntnistheoretisch nach, bis es vollends ausgetrieben wird. In der Erkenntnis überlebt es als deren Unruhe, die sie in Bewegung bringt und in ihrem Fortgang unbesänftigt sich reproduziert; unglückliches Bewußtsein ist keine verblendete Eitelkeit des Geistes sondern ihm inhärent, die einzige authentische Würde, die er in der Trennung vom Leib empfing. Sie erinnert ihn, negativ, an seinen leibhaften Aspekt; allein daß er dessen fähig ist, verleiht irgend ihm Hoffnung. Die kleinste Spur sinnlosen Leidens in der erfahrenen Welt straft die gesamte Identitätsphilosophie Lügen, die es der Erfahrung ausreden möchte: »Solange es noch einen Bettler gibt, solange gibt es noch Mythos« ** darum ist die Identitätsphilosophie Mythologie als Gedanke. Das leibhafte Moment meldet der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle. »Weh spricht: vergeh.«° Darum konvergiert das spezifisch Materialistische mit dem Kritischen, mit gesellschaftlich verändernder Praxis. Die Abschaffung des Leidens, oder dessen Milderung hin bis zu einem Grad, der theoretisch nicht vorwegzunehmen, dem keine Grenze anzubefehlen ist, steht nicht bei dem Einzelnen, der das Leid empfindet, sondern allein bei der Gattung, der er dort noch zugehört, wo er subjektiv von ihr sich lossagt und objektiv in die absolute Einsamkeit des hilflosen Objekts gedrängt wird. Alle Tätigkeiten der Gattung verweisen auf ihren physischen Fortbestand, mögen sie es auch verkennen, sich organisatorisch verselbständigen und ihr Geschäft nur noch beiher besorgen. Sogar die Veranstaltungen, welche die Gesellschaft trifft, um sich auszurotten, sind, als losgelassene, widersinnige Selbsterhaltung, zugleich ihrer selbst unbewußte Aktionen gegen das Leiden. Borniert freilich im Eigenen, kehrt ihre totale Partikularität sich auch gegen jenes. Ihnen konfrontiert, verlangt der Zweck, der allein Gesellschaft zur Gesellschaft macht, daß sie so eingerichtet werde, wie die Produktionsverhältnisse hüben und drüben unerbittlich es verhindern, und wie es den Produktivkräften nach hier und heute unmittelbar möglich wäre. Eine solche Einrichtung hätte ihr Telos an der Negation des physischen Leidens noch des letzten ihrer Mitglieder, und der inwendigen Reflexionsformen jenes Leidens. Sie ist das Interesse aller, nachgerade einzig durch eine sich selbst und jedem Lebenden durchsichtige Solidarität zu verwirklichen.

Denen, die möchten, daß es nicht sich verwirkliche, hat unterdessen der Materialismus den Gefallen seiner Selbsterniedrigung getan. Die Unmündigkeit, die das verursachte, ist nicht so, wie Kant es dachte, von der Menschheit selbst verschuldet. Mittlerweile zumindest wird sie planvoll reproduziert von den Machthabern. Der objektive Geist, den sie steuern, weil sie seiner Fesselung bedürfen, mißt dem durch die Jahrtausende gefesselten Bewußtsein sich an. Solcher Praxis hat der zur politischen Macht gelangte Materialismus nicht weniger sich verschrieben als die Welt, die er einmal verändern wollte; er fesselt weiter das Bewußtsein, anstatt es zu begreifen und seinerseits zu verändern."

Anmerkungen:

* »So ist auch das Seyn vollkommen gleichgültig gegen das Seyende. Aber je inniger und an sich wonnevoller diese Gelassenheit ist, desto eher muß sich in der Ewigkeit, ohne ihr Zuthun und ohne daß sie es weiß, ein stilles Sehnen erzeugen, an sich selbst zu kommen, sich selbst zu finden und zu genießen, em Drang zum Bewußtwerden, dessen sie doch sich selbst nicht wieder bewußt wird.« (Schelling, Die Weltalter, München 1946, S, 136.) - »Und so sehen wir die Natur, von der tiefsten Stufe an, ihrem Allerinnersten und Verborgensten nach begehrend und immer aufsteigend und weiter schreitend in ihrer Sucht, bis sie endlich das höchste Wesentliche, das rein Geistige selbst an sich gezogen, sich zu eigen gemacht hat.« (a. a. O., S. 140.)

** Benjamin, Passagenarbeit, Manuskript, Konvolut 6.

° [eigene Anmerkung] Friedrich Nietzsche, Also sprach Zahnarzt Hustra, Vierter und letzter Teil, Das trunkne Lied.



1 Kommentar:

  1. zitat: " Die kleinste Spur sinnlosen Leidens in der erfahrenen Welt straft die gesamte Identitätsphilosophie Lügen, die es der Erfahrung ausreden möchte: »Solange es noch einen Bettler gibt, solange gibt es noch Mythos« ** darum ist die Identitätsphilosophie Mythologie als Gedanke. Das leibhafte Moment meldet der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle. »Weh spricht: vergeh.«° Darum konvergiert das spezifisch Materialistische mit dem Kritischen, mit gesellschaftlich verändernder Praxis. Die Abschaffung des Leidens, oder dessen Milderung hin bis zu einem Grad, der theoretisch nicht vorwegzunehmen, dem keine Grenze anzubefehlen ist, steht nicht bei dem Einzelnen, der das Leid empfindet, sondern allein bei der Gattung, der er dort noch zugehört, wo er subjektiv von ihr sich lossagt und objektiv in die absolute Einsamkeit des hilflosen Objekts gedrängt wird. "

    steht für mich die frage im raum, ob das bedingungslose grundeinkommen genau da greifen könnte. das konzept ist ja mitlerweile bekannt. der erste fürsprecher ist werner, der von sich sagt, er sei antroposoph.
    [ was es mit dieser antroposophie auf sich hat, weiß ich nicht. es scheint so zu sein, das an den walldorfschulen wert gelegt wird, das individuell schöpferische potential des einzelnen zu fördern, wenn das so stimmt, finde ich das ganz gut. (es gibt das gerücht das die walldorfschulen aus einem ganz anderen grund so beliebt sind, ist ein andres thema...)]

    wie auch immer, die verbindung von geschäftstüchtigkeit und religion gelingt bei den christen und den antroposophen anscheind ganz gut, bei den bhuddhisten hingegen hat man immer den eindruck, das außer nabelschau nicht viel passiert, aber vielleicht täuscht das auch. jedenfalls die frage, ob das bg dem bhuddhismus entspricht/widerspricht/garnichts damit zu tun hat?
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    http://www.youtube.com/watch?v=USLvbv1MTSM

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