Sonntag, 7. Februar 2010

Bessere Herren im Vorfrühling

Der Februar scheint für poetische Gefühle eine denkbar ungeeignete Zeit zu sein - jedenfalls ist dies bislang dieses Jahr so. Zwar nun endlich "vom Eise befreit sind Strom und Bäche", um mit dem Herrn Geheimrath zu reden, doch auf "des Frühlings holden, belebenden Blick" gilt es noch ein wenig zu warten - bis zum Osterspaziergang ist noch eine Weile hin ...

Um so mehr sehnt sich der Mensch in diesen ungemütlichen Zeiten nach Geborgenheit und Sicherheit. Ein optimaler Zeitpunkt für verantwortungsbewusste Menschen, sich dieser Sorgen anzunehmen. Alle Jahre wieder ...

Blick in den Konferenzsaal. Foto: Kai Moerk


Das wiederum - wofür die Münchener Sicherheitskonferenz, vormals unter dem freilich weniger Behaglichkeit und Zuversicht vermittelnden Titel ''Wehrkundetagung' bekannt, ein Paradebeispiel ist - ist nun doch wieder ein geeignetes Sujet für Dichter von Format. Zur Verdeutlichung der überzeitlichen, zutiefst menschlichen Aspekte solcher Ereignisse möchte ich denn auch einen schon etwas älteren Dichter auswählen: Bo Juyi (772–846) .

Bo Juyi war konfuzianisch erzogen, wandte sich jedoch schon früh dem Buddhismus zu. 801 wurde er Lektor der kaiserlichen Bibliothek. Er kritisierte freimütig das Parasitentum der Eunuchen, die gnadenlose Ausbeutung der Bauern und die unmenschliche Strafjustiz - was ihm eine enorme Popularität aber begreiflicherweise auch erbitterte Feindschaften einbrachte. 814 wurde er kaltgestellt, ein Jahr später wegen einer unerbetenen Eingabe strafversetzt. 820 wurde er vom neuen Kaiser Muzong rehabilitiert und in der Folgezeit als einer der größten Dichter seiner Zeit anerkannt. In der Tat gehört er mit Du Fu und Li Bai zu den größten Dichtern der Tang-Dynastie. Und er war einer der produktivsten Dichter überhaupt: 3800 Gedichte von ihm sind überliefert.

Auf eine eigenhändige Übersetzung kann ich hier verzichten, da sich der große Günter Eich dieses Dichters angenommen hat.

Bessere Herren

Die mit den Pferden fast die Straße sperren,
Ihr Reitgeschirr seh ich im Staube blitzen.
Wer sind sie, die so stolz im Sattel sitzen?
Vom Hofe, sagt man, hochgestellte Herren.

Die im Zinnoberrock sind aus der Staatskanzlei,
Die mit den Purpurschnüren Generale,
In das Kasino reiten sie zum Mahle,
Die Kavalkade zieht wie ein Gewölk vorbei.


Aus Krug und Bütten schenkt man die Getränke,
Das Wasser wie das Land reicht Leckerbissen dar,
Vom Dung-ting-See Orangen wunderbar,
Geschnittnes Fleisch, Pasteten, Hecht und Renke.

Es ist gemütlich, wenn man satt gegessen,
Der Wein belebt die Stimmung ungemein.
Im Süden trockneten die Felder ein,
In Tjü-dschou hat man Menschenfleisch gegessen.


Bliebe noch das Menu nachzutragen, das den illustren Gästen gestern als Mittagsmahl gereicht wurde: als Vorspeise Salat von bayerischen Flusskrebsen mit Friséespitzen und Aprikosenchutney, als Hauptgang Hüfte vom Ruppiner Weide-Lamm in Senfsaat gehüllt mit Aromatenjus an provenzalischem Gemüse und gratinierten Rahmkartoffeln, als Dessert Blutorangen-Crème-Brûlée mit Gewürzkuchen und Pflaumensauce. Zur Vorspeise wurde ein Riesling oder Chardonnay empfohlen, zum Hauptgang ein leichter Rotwein, zum Beispiel ein Trollinger.

Um auf etwas Anderes zurückzukommen - Bo Juyi war nicht nur ein kritischer Geist, er gehörte auch zu jenen Dichtern, die durchaus etwas mit dieser unspektakulären Jahreszeit des Spätwinters / Vorfrühlings anfangen können, wie das folgende Beispiel aus seiner Verbannungszeit zeigt. Auch hier ist wieder Günter Eich unser Dolmetscher:

Vorfrühling am Mäander-See

1
Vom
Amt beurlaubt bin ich ungebunden,
Mein dürrer Klepper braucht mich nicht zu tragen.
Ich geh durchs Tor, wenn es beginnt zu tagen,
Am See hab ich den Frühling schon gefunden.


2
Der Wind hebt an, von Osten weich zu wehen.
Die Wolken öffnen sich. Die Berge hellen auf.
Das Eis zerschmilzt. Es brechen Quellen auf.
Der Schnee zerrinnt, lässt erste Gräser sehen.

3
Betaute Aprikosenknospe will sich röten.
Aus Nebel taucht der Weide unvollendet Grün.

Wildgänse: träge Schatten die vorüberziehn.
Verhalten fängt die Amsel an zu flöten.

4
Voll Frieden sind das Herz und das Gelände
Und wie das schöne Licht die Augen rein.
Im Rausch fühl ich der Welt mich nahe sein.
Mir half der Wein: die Krankheit ist zu Ende.

5
Zu bummeln ist der Taugenichtse Sache.
Das Einfache begehrt, wer in der Stille lebt.
Denk ich der Säle voller Bücher, lache
Ich, denen ungleich, die nach Ruhm gestrebt.


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