Ich habe mich heute eine Weile mit einer Anfrage beschäftigt, in der es um die Frage des freien Willens im Buddhismus geht und die Ergebnisse meiner Überlegungen möchte ich in meinem heutigen Eintrag für ein Weilchen festhalten. Aber zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf einen Radiobeitrag in der Reihe 'Camino' des Hessischen Rundfunks hinzuweisen - und mich tief vor meinem verehrten Dharmabruder SeiShun zu verneigen, dessen Arbeit da vorgestellt wird. Sie ist ein schönes Beispiel für das worum es in diesem Eintrag heute geht - viriya. SeiShun ist übrigens der Herr vorne rechts auf dem Foto.
Kommen wir zur erwähnten Anfrage. Ausgangspunkt der Irritation war wieder einmal die buddhistische Anatman-Lehre:
Buddha sagte:"Handlungen geschehen, aber es gibt keinen Handelnden." So gesehen gibt es keinen freien Willen, sondern nur einen Ablauf von Handlungen wie in einem Film. Doch unter http://www.kum-nye.de/texte/annata.pdf habe ich von der Willenskraft im Buddhismus Viriya gelesen. Widerspricht sich das nicht? Gibt es somit nicht doch einen freien Willen im Buddhismus?
Offensichtlich wird hier davon ausgegangen, dass Wille (insbesondere ein freier Wille) zwangsläufig an einen Träger gebunden ist, an ein Subjekt des Willens. Das ist auch durchaus richtig (wobei wir den Punkt der Willensfreiheit zunächst einmal auf sich beruhen lassen). Die Frage dabei ist jedoch die, ob dieses Subjekt des Willens für sich, also unabhängig von den Objekten des Willens existiert.
Buddha sagte:"Handlungen geschehen, aber es gibt keinen Handelnden."
Auch wenn das in Anführungszeichen gesetzt ist - es dürfte schwerfallen, dieses 'Zitat' in den Sutren (Lehrreden Buddhas) nachzuweisen. Grundsätzlich ist das allerdings schon eine zutreffende Interpretation. Ähnliche Aussagen finden sich in Buddhaghosas Visuddhimagga (um 500 u.Z. entstanden) - einem vor allem in Theravadabuddhismus hochgeschätzten Kompendium der buddhistischen Lehre:
Buddha sagte:"Handlungen geschehen, aber es gibt keinen Handelnden."
Auch wenn das in Anführungszeichen gesetzt ist - es dürfte schwerfallen, dieses 'Zitat' in den Sutren (Lehrreden Buddhas) nachzuweisen. Grundsätzlich ist das allerdings schon eine zutreffende Interpretation. Ähnliche Aussagen finden sich in Buddhaghosas Visuddhimagga (um 500 u.Z. entstanden) - einem vor allem in Theravadabuddhismus hochgeschätzten Kompendium der buddhistischen Lehre:
"Im höchsten Sinne hat man alle vier Wahrheiten als leer zu betrachten, und zwar weil es da: keinen Fühlenden, keinen Täter, keinen Erlösten und keinen auf dem Pfade Wandelnden gibt. Darum heißt es: Bloß Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da. Bloß Taten gibt es, doch kein Täter findet sich. Erlösung gibt es, doch nicht den erlösten Mann. Den Pfad gibt es, doch keinen Wand'rer sieht man da." (Visuddhimagga XVI.8.4, Übers. Nyanatiloka)
oder:
"Keinen Täter sieht er außerhalb der Tat, keinen die Karmawirkung Erfahrenden außerhalb der Karmawirkung. Daß aber die Weisen sich nur einer bloßen konventionellen Bezeichnung (samaññā) bedienen, wenn sie hinsichtlich des Stattfindens einer Tat von einem 'Täter' oder hinsichtlich des Eintrittes der Karmawirkung von einem 'die Wirkung Erfahrenden' sprechen: das hat er in rechter Weisheit klar erkannt. Darum sagen eben die Alten Meister: "Nicht findet man der Taten Täter, Kein Wesen, das die Wirkung trifft, Nur leere Dinge zieh'n vorüber: Wer so erkennt, hat rechten Blick. " (Visuddhimagga XIX.7.4, Übers. Nyanatiloka)
So gesehen gibt es keinen freien Willen, sondern nur einen Ablauf von Handlungen wie in einem Film.oder:
"Keinen Täter sieht er außerhalb der Tat, keinen die Karmawirkung Erfahrenden außerhalb der Karmawirkung. Daß aber die Weisen sich nur einer bloßen konventionellen Bezeichnung (samaññā) bedienen, wenn sie hinsichtlich des Stattfindens einer Tat von einem 'Täter' oder hinsichtlich des Eintrittes der Karmawirkung von einem 'die Wirkung Erfahrenden' sprechen: das hat er in rechter Weisheit klar erkannt. Darum sagen eben die Alten Meister: "Nicht findet man der Taten Täter, Kein Wesen, das die Wirkung trifft, Nur leere Dinge zieh'n vorüber: Wer so erkennt, hat rechten Blick. " (Visuddhimagga XIX.7.4, Übers. Nyanatiloka)
Inwiefern soll das daraus folgen? Gäbe es nach buddhistischer Auffassung tatsächlich einen strengen Determinismus, dann gäbe es entweder keine Befreiung (moksha) aus samsara oder aber man müsste zu dieser Befreiung nichts tun, sie erfolgte automatisch. Beides entspricht offensichtlich nicht der buddhistischen Lehre.
Im Buddhismus wird die empirische Person (der 'Handelnde' oder 'Täter', wenn man so will) als ein zeitweiliges Zusammenwirken verschiedener psycho-physischer Prozesse (skandhas) aufgefasst. Die empirische Person ist in diesem Sinne 'zusammengesetzt' (samskrta) und existiert aus den Ursachen und Bedingungen (hetupratyaya) dieser Prozesse heraus, verändert sich stetig und erlischt auch wieder entsprechend diesen selbst in ständigem Wandel begriffenen Ursachen und Bedingungen. Die Existenz einer unabhängig davon existierenden personalen Essenz, eines 'Wesenskerns' (etwa eines atman, jiva, einer Seele und was dergleichen mehr Konzepte sind), also eines 'Trägers' der empirischen Person, wird verneint. Ähnliche Auffassungen findet man übrigens auch in der europäischen Philosophie, beispielsweise schon bei David Hume (1711 - 1776).
Eines der oben erwähnten skandhas ist nun samskara, die aktive, (karmisch) gestaltende Komponente der empirischen Person. Die wirkende Energie dieses samskaraskandhas nun ist cetana. Der Begriff cetana ist nicht ohne weiteres deckungsgleich mit 'Wille' - er leitet sich von ceto/citta ('Geist') ab und bezeichnet die Aktivität dieses Geistes (bitte nicht mit dem abendländischen philosophischen Geistesbegriff verwechseln). Diese Aktivität - also cetana - ist absichtsvolles, zweckbedingtes, aktives Denken.
Nun ist auch dieser cetana (der Einfachheit halber nennen wir ihn 'Wille') bedingt - und insofern unfrei, als er von den Bedingungen abhängig ist. Bedingt ist er durch seine Motive - Wille ist immer Wille zu etwas und von diesem 'zu', also seinem Objekt, nicht abzutrennen; er existiert nicht unabhängig davon. Die Motive werden unter zwei Kategorien subsumiert: lobha (wörtl. Gier) und dosa (wörtl. Hass). Das ist sehr ähnlich dem Lust-/Unlustprinzip in der klassischen Psychoanalyse. Auch diese beiden Grundantriebe lobha und dosa sind wiederum bedingt, und zwar durch avidya - Nichtwissen. Avidya ist vor allem ein Nichtwissen um die tatsächliche Natur der Dinge, insbesondere des Ich. Allerdings kein intellektuelles Nichtwissen, sondern ein existentielles - avidya könnte man als kognitive Fehlhaltung bezeichnen.
Das Auflösen dieses Nichtwissens, das lobha und dosa und damit auch den karma-erzeugenden Willen cetana versiegen lässt, ist bodhi, die sog. 'Erleuchtung' (besser: 'Erwachen'). Um dieses avidya zu überwinden, gibt es eine Methode - ariyamarga, den sog. edlen achtfachen Pfad. Da es nicht, wie schon erwähnt, um ein Überwinden von Nichtwissen durch intellektuelle Einsicht geht, sondern vielmehr um die Korrektur einer kognitiven Fehlhaltung, genügt es nicht, die Sutren zu studieren, sondern man braucht eine Übungsmethode, einen Yoga - oder anders gesagt: eine Therapie. Eben dies ist der achtfache Pfad - eine ganzheitliche Therapie für Geist und Körper.
Sich diesem Pfad zuzuwenden, bedarf es natürlich zunächst einmal ebenfalls eines Motives und eines auf dieses Motiv gerichteten Willens sowie zusätzlich einer initialisierenden Erkenntnis - und in eben dieser Erkenntnis steckt wiederum das Moment der Freiheit.
Das Motiv ist natürlich zunächst die Überwindung persönlicher Leiderfahrung, fällt also in die Kategorie dosa (Ablehnung von Unliebsamem). Die initialisierende Erkenntnis ist die, dass Leid (duhkha) nicht durch einen auf Lust (lobha) oder Vermeidung von Unlust (dosa) gerichteten Willen (cetana) überwunden werden kann, sondern durch Erkenntnis, die durch eine bestimmte Art praktischer Lebensführung gewonnen werden kann. Diese initialisierende Erkenntnis (sie fällt unter den Aspekt samma ditthi, 'Rechte Sicht', des achtfachen Pfades) wird poetisch als 'Vernehmen des Löwenrufes' bezeichnet, was sich auf Buddha bezieht, der den Beinamen sakyasimha (Löwe [aus dem Klan] der Sakya) führte.
Mit diesem Bild - dem Vernehmen eines Rufes - wird auch deutlich, dass die initialisierende 'Rechte Sicht' nicht aus einer selbst karmisch erzeugten Ursache (hetu) resultiert, sondern dass man auf sie in Form einer begleitenden Bedingung (pratyaya) trifft. Hinzu kommt, dass nach buddhistischer Auffassung bodhi (das Erwachen / die Erleuchtung) emergent ist, also selbst in seiner höchsten Form (wenn auch höchst selten) spontan auftreten kann. So stimmen alle buddhistischen Schulen darin überein, dass Nirvana nicht 'samskrta' ist - d.h. nicht bedingt und also von kausalen oder karmischen Bedingungen unabhängig. Es ist allerdings rein statistisch ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, sich auf die Emergenz der Erleuchtung zu verlassen - also schafft man durch eine entsprechende religiöse Praxis, nämlich die des achtfachen Pfades, begünstigende Ursachen und Bedingungen. Speziell im Soto-Zen wird sogar die Auffassung vertreten, dass die religiöse Praxis des Buddhadharma nicht das Setzen von begünstigenden Ursachen und Bedingungen für das Erwachen ist, sondern selbst unmittelbar die Emergenz des Erwachens.
Das Motiv ist natürlich zunächst die Überwindung persönlicher Leiderfahrung, fällt also in die Kategorie dosa (Ablehnung von Unliebsamem). Die initialisierende Erkenntnis ist die, dass Leid (duhkha) nicht durch einen auf Lust (lobha) oder Vermeidung von Unlust (dosa) gerichteten Willen (cetana) überwunden werden kann, sondern durch Erkenntnis, die durch eine bestimmte Art praktischer Lebensführung gewonnen werden kann. Diese initialisierende Erkenntnis (sie fällt unter den Aspekt samma ditthi, 'Rechte Sicht', des achtfachen Pfades) wird poetisch als 'Vernehmen des Löwenrufes' bezeichnet, was sich auf Buddha bezieht, der den Beinamen sakyasimha (Löwe [aus dem Klan] der Sakya) führte.
Mit diesem Bild - dem Vernehmen eines Rufes - wird auch deutlich, dass die initialisierende 'Rechte Sicht' nicht aus einer selbst karmisch erzeugten Ursache (hetu) resultiert, sondern dass man auf sie in Form einer begleitenden Bedingung (pratyaya) trifft. Hinzu kommt, dass nach buddhistischer Auffassung bodhi (das Erwachen / die Erleuchtung) emergent ist, also selbst in seiner höchsten Form (wenn auch höchst selten) spontan auftreten kann. So stimmen alle buddhistischen Schulen darin überein, dass Nirvana nicht 'samskrta' ist - d.h. nicht bedingt und also von kausalen oder karmischen Bedingungen unabhängig. Es ist allerdings rein statistisch ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, sich auf die Emergenz der Erleuchtung zu verlassen - also schafft man durch eine entsprechende religiöse Praxis, nämlich die des achtfachen Pfades, begünstigende Ursachen und Bedingungen. Speziell im Soto-Zen wird sogar die Auffassung vertreten, dass die religiöse Praxis des Buddhadharma nicht das Setzen von begünstigenden Ursachen und Bedingungen für das Erwachen ist, sondern selbst unmittelbar die Emergenz des Erwachens.
Die Praxis des edlen achtfachen Pfades wiederum erfordert eine spezielle 'Willensenergie', die nun als viriya bezeichnet wird. Etymologisch betrachtet ist viriya der 'Zustand eines [starken] Mannes'; der Begriff ist z.B. eng mit dem lateinischen 'virtus' (männliche Tugend i.S.v. Tapferkeit, Tüchtigkeit) verwandt. Anders als cetana, das sich (bei allen genannten Vorbehalten) am besten mit 'Wille' wiedergeben lässt, ist viriya treffender mit 'Energie' im Sinne von Tatkraft, 'Anstrengung', 'Anspannung' übersetzt.
Vor allem aber ist viriya im buddhistischen Kontext anders als cetana nicht auf Befriedigung von lobha und dosa gerichtet, sondern auf Überwindung von avidya. Als Konnotation schwingt da immer die Ausrichtung auf bodhi, das Erwachen, mit. Wie weiter oben schon angesprochen, gibt es keinen 'Willen' an sich, es gibt immer nur ein ganz konkretes Ausrichten des Geistes, eine konkrete Aktivität von Geist und Körper. Wenn man also cetana mit 'Wille' übersetzt, dann wäre viriya eine Ausrichtung des Geistes ganz anderer Art - ein 'Gegenwille' oder 'Unwille'.
Vor allem aber ist viriya im buddhistischen Kontext anders als cetana nicht auf Befriedigung von lobha und dosa gerichtet, sondern auf Überwindung von avidya. Als Konnotation schwingt da immer die Ausrichtung auf bodhi, das Erwachen, mit. Wie weiter oben schon angesprochen, gibt es keinen 'Willen' an sich, es gibt immer nur ein ganz konkretes Ausrichten des Geistes, eine konkrete Aktivität von Geist und Körper. Wenn man also cetana mit 'Wille' übersetzt, dann wäre viriya eine Ausrichtung des Geistes ganz anderer Art - ein 'Gegenwille' oder 'Unwille'.
Ohne Erinnerung gibt es gar nichts - noch nicht mal eine Melodie, geschweige denn eine buddhistische Analyse des Seins. Was aber ist Erinnerung? Eine zusammengesetzte Erscheinung, die das Jetzt mit etwas verbindet, das es gar nicht mehr gibt (auch Vergangeheit genannt) und so das Bewusstsein erschafft. Bewusstsein ist Wahrnehmung, die das Jetzt über die Erinnerung in einen Kontext mit der Vergangenheit bringt und so das Ich erzeugt (Ich- Bewusstsein = Ego).
AntwortenLöschenAber jede Erinnerung ist vergänglich und zerbricht schliesslich. Was heisst das? Man braucht keinen Weg einer Religion oder Philosophie - auch keinen der Analyse als Konzept einer endgültigen Leidbefreiung (der Nicht-Wiederkehr). Man erschafft sich durch so etwas nur dass, was man auch Verblendung nennen kann und wird zu einem Spiel in einem Spiel.
Viele brauchen so etwas wohl.
Gruss M.G.
Warum sagt man nicht einfach, ob von einem freien Willen ausgegangen wird im Buddhismus oder nicht?! Ja oder Nein! >:( Diese Texte lesen sich immer, wie das Geschwafel von Politikern! Und Handlungsfreiheit ist keine Willensfreiheit!
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